Heute reisen wir nach WIEN.
Dort leben drei Schwestern. Sie kommen vom anderen Ende unserer Bananenrepublik. Aus Vorarlberg und da vom Berg, aus Schruns Tschagguns im Montafon. Anders als in Tschechows Drei Schwestern, sind Sarah, Isabel und Vanessa Scharl Heldinnen und Gewinnerinnen, die sich vor allem dem Süßen verschrieben haben. Mehr noch, sie führen einen Kleinkrieg – gegen Backmischungen und ein wenig auch wohl gegen den zuckerfreien Gesundheitswahn. Die Idee entstand irgendwann beim Herumblödeln, beim Spintisieren auf dem Sofa – sonntags vor einigen Jahren. Frische Cookies sollten auch beteiligt gewesen sein. Was noch im Spiel war, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren; jedenfalls kamen die Synapsen ordentlich in die Gänge und zu einem Ergebnis: Guerilla Bakery. Das war dann auch die Geburtsstunde für die geheimsten Kaffeehäuser Wiens. Es folgten Monate, gar Jahre von Kuchen- und Tortenbufett-Aktionen an den unterschiedlichsten Orten. In Wohnzimmern von Privatwohnungen, aufgelassenen Fabriksgebäuden, leerstehenden Gassenlokalen, Gärten, Garagen usw. wurden die süßen Verführungen aufgelegt; dazu gabs Kaffee und Musik vom DJ. Dann April 2016 war Schluss, denn da eröffneten die drei lustigen Schrunserinnen ihr eigenes Deli in der Hauptstadt der Süß- und Mehlspeisen. Und zeitgleich gossen sie ihre über die Jahre kreierten süßen Schweinereien zwischen zwei Buchdeckel. Frei nach dem Motto fuck the Bachmischungen entstand ein Backmanifest. Guerilla Bakery, so der Titel, ist bei Edel Germany herausgekommen.
Ein running gag sind die sechs Kapitelüberschriften, die verführerisch dem Zuckerorgasmus geschuldet sind. Darin verteilt sind 50 Rezepte für Cookies, Hupfe jeder Art von Gugel bis Muffins, Schoko- oder mit Obst gefüllte Kuchen, Pies und Schnitten bis zu den Klassikern wie Sacher, Kipferln und Buchteln. Frisch und munter wirbeln die girls altbewährtes Backwerk durcheinander und lassen es mit Leichtigkeit neu auferstehen. Etwa die Scharl-Backlinie Fake Sacher. Die Mengenangaben von Kuvertüre, Marille und Mehl weichen zwar stark vom Original ab, die fake-Torte kommt aber im Geschmack erstaunlich nah an sie ran. Und was noch für diese Variante des Wiener Küchenklassikers spricht: Erfolg ist garantiert.
Ehe es aber um die Backrezepte geht, geben die Guerilla-Bäckerinnen eine kurze Einführung ins Backen in 10 Punkten. Das sollte vorab gelesen werden, denn es sind einige Punkte, die man sich ins Langzeitgedächtnis eingravieren muss. Als da sind: Ordnung halten, die Mengenangaben nicht selbstherrlich abändern, die Zutatentemperaturen auf Raumtemperatur nivellieren, wenn nicht anders angegeben, die Rezeptfolge einhalten, Teig luftig schlagen und nicht zerstören, Ablaufdatum beachten, Formen nicht randvoll füllen und last but not least, die Stäbchenprobe und nicht Sie entscheiden über fertig oder weiterbacken.
Dann aber gehts los! In sexs Zugängen mit erotischem Hauch werden Guerilla bakeries präsentiert. Wobei sich mir nicht erschlossen hat, warum die Frühstücks-Muffins im Vorspiel-Kapitel angesiedelt sind, die Vanillekipferl im G-Spot-Kapitel, die Cheesecake Cupcakes im Gaumenkitzler-Kapitel usw.. Lustig sind die Kapitelzeichnungen allemal, die humorvoll und mit feinen erotischen Anspielungen von Nanna Prieler illustriert sind. Wie überhaupt das Design von guerilla bakery eine Verspieltheit an den Tag legt, die dort an die Grenzen stößt, wo ich dann die Überschrift zweimal lesen muss. Das ist marginal und verschmerzbar. Denn das farbenfrohe Layout und die wundervoll von Barbara Wirl fotografierten Backwerke begeistern und erheben das Guerilla Bakery Backbuch zu einem kleinen Kunstwerk.
Einiges habe ich Almud sei Dank ausprobiert. Almud ist meine Vertrauensperson in Herzensangelegenheiten und leitet das Generationentheater „Ohne Vorhang“. Da fielen in letzter Zeit einige Geburtstage und Theaterevents an, die mir zu etlichen Backversuchen verhalfen.
Maria, auch Vorarlbergerin wie die Scharlsisters, war die Erste. Sie bekam Olgas Himbeer-Kokos- Streusel-Blechkuchen zum Geburtstag gebacken. In wohldosierten Happen geschnitten, ward der Kuchen in der kleinen Feier nach der Vorstellung von Kolleginnen und Kollegen sowie einigen versprengten Zuschauerinnen in wenigen Augenblicken – im wahrsten Sinne – ratzeputz vertilgt. Da ließ man nicht nur das Geburtstagskind hochleben.
Für das Fake Topfensouflé setzte ich gleich die doppelte Menge ein. Ein Kuchen wurde den Gästen einer Wohnungseinweihe zugeführt, der andere – eh schon wissen – meinen SchauspielerInnen. „Ma isch der guat“, war wohl der häufigste Sager. Zwei Qualitätsmerkmale kennzeichnen dieses Soufflé: viel hochprozentiger Topfen, d.h. Quark, und etwas Grieß, der dem Ganzen Biss verleiht.
Der Preiselbeer-Birne-Graumohnkuchen war aber etwas Besonderes. Dieser Kuchen ist nicht so leicht zu machen, dafür im Ergebnis Hochgenuss pur. Birne und Preiselbeeren verhindern, dass der Mohn zu einer staubtrockenen Angelegenheit wird und der Kuchen saftig bleibt. Peter war glücklich über dieses Geburtstagsgeschenk und konnte sogar einige Stücke für zu Hause vor der gierigen Meute retten.
Die Cheese Cake Cupakes machte ich aus reiner Neugier. Der Name erinnerte mich an den Tschechen Karel Capek, wobei sich Cupakes einfach als lustiger Tippfehler herausstellte. Die Cupcakes würden sich jedenfalls wunderbar in die bewährte Reihe klassischer böhmischer Mehlspeisen und Kuchen eingliedern. Mit diesem Kuchen und den hineingearbeiteten Himbeeren kam bei mir dann der Sommer an. Ein sonniges Vergnügen.
Das Guerilla Bakery Backbuch ist vollgepackt mit kleinen und großen Verführungen. Nicht alle huldigen dem Zuckerorgasmus, manche kommen mit etwas weniger aus. Aber alle, zumindest jene, die ich ausprobiert habe, sind originell und von bunter Vielfalt an lokalen und exotischen Zutaten. Guerilla Bakery ist süße, pure Lebensfreude.
Jetzt muss ich aber Schluss machen, denn heute ist die letzte Vorstellung des Generationentheaters. Und da will ich sie mit dem Fünf-Minuten-Strudel, Baby! überraschen.