Heute geht es um ein Kulturspeisenkochbuch.
Wie das schon klingt! Im Inhaltsverzeichnis liest sich das dann wie das Who is who der Speisenklassiker. Beginnend mit Caesar Salat, weiter über den Waldorfsalat, Eggs Benedict, Boeff Stroganoff, Krönungshühnchen, Chicken Kiev, Austern Rockefeller, Pommes Anna, Pizza Margherita, Crepes Suzette, Pfirsich Melba, Bellini. Nach weiteren 37 wohlbekannten und klingenden Namen endet die Auflistung mit Ramos Gin Fiz. Ein Speiseführer von klassischen Gerichten und Getränken, vorgestellt in klassischer Reihenfolge: Vorspeisen, Hauptgerichte, Beilagen, Nachspeisen und Drinks. Fünfzig Klassiker, in einem kulinarischen Potpourri zwischen extravagant und traditionell vereint, stellt das Kochbuch „Wie die Helene zur Birne kam“ vor. Ein alter Hut würde man meinen, aber nein, denn der Schwerpunkt dieses Kochbuches liegt in den Geschichten hinter den Rezepten und erzählt, wie die Gerichte und Getränke entstanden sind, vor allem ihren Namen bekamen. Eine originelle Idee und natürlich von einem Briten. James Winter, der britische Autor, ist bekannt für seine 90-minütige BBC- Reihe „Saturday kitchen“, einer Liveness-Sendung, in der es um die Förderung von Kochtalenten geht. Er selbst betrachtet sich nicht als Gourmet, eher als Schwärmer für gutes Essen. Sein Motto, frei nach dem Gastrosophen Brillat-Savarin, „Die Entdeckung eines neuen Gerichts ist für das Glück der Menschheit von größerem Nutzen als die Entdeckung eines neuen Gestirns.“ So ist dieses Buch auch eine Entdeckungsreise in die Geschichte der Kochkunst. Winter bringt ein wenig Licht ins Dunkel, hebt den Schleier von Rezeptnamen wie Beef Wellingthon, Seezunge Veronique, Kabeljau Mornay, Pawlowa und natürlich Birne Helene. Letztere kreierte August Escoffier zur Premiere von Jaques Offenbach ‚La Belle Helène‘. Ob die schöne Helena aus der griechischen Sagenwelt den Meisterkoch inspirierte oder es eine Hommage an Hortense Schneider war, die die weibliche Hauptrolle sang, das Wissen die Götter. Die ‚gekochte Birne mit Vanilleeis und Schokoladensoße‘ spielt auch in Loriots Film ‚Papa ante portas‘ eine kleine Nebenrolle und taucht immer wieder im Handlungsgeschehen auf. Da war Birne Helene längst ein Klassiker, und wie Winter durchblicken lässt, existierte das Originalrezept bereits vor Escoffiers Kochlaufbahn. Hier vermischen sich, wie bei einigen anderen Rezeptklassikern, Wahrheit und Dichtung. Immer wieder deckt Winter diverse Ungereimtheiten bei der Namensfindung berühmter Gerichte und Drinks auf. Höchst amüsant sind seine anekdotenhaften Geschichten, die vielfach in der Zeit des 19. und 20.Jahrhunderts angesiedelt sind. London, Paris, Neapel, St. Petersburg und New York sind die Orte, wo Promis, Adel und Adabeis verkehrten, um von trendigen Barkeepern und Spitzenköchen verwöhnt zu werden.
Viele Gäste, kaum noch Lebensmittel stellte Caesar Cardini am 4. Juli 1924 in seinem Restaurant im mexikanischen Tijuana fest und zauberte aus Weißbrotscheiben, Salatblättern und würzigen Soßen einen Salat. Der Ceasar Salat war geboren. Er bezauberte Clark Gable, Loretta Young und andere Stars, die wiederum nicht unwesentlich zur weltweiten Popularität dieses Gerichts beitrugen.
Verry britisch ist das Krönungshühnchen. Es vereint in seiner zeitlosen Schlichtheit England mit dem Empire, letzteres vertreten durch exotische Gewürze wie Kardamom, Zimt und Curry. Erfunden von zwei Frauen anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten von Elisabeth II. am 2. Juni 1953, ist es heute ein beliebtes Picknickrezept. Rosemary Hume, die eigentliche Erfinderin dieses Gerichts ist in Vergessenheit geraten, während Constance Spry, sie erfand den Namen, unauslöschlich mit dem Krönungshühnchen verknüpft ist.
Diese faszinierende Reise in die Geschichte kulinarischer Genüsse führt den Autor auch in das zaristische Russland. Zarin Elisabeth Petrowna liebte alles, was französisch war, und so kam auch das Gericht ‚Cotelettes de volaille‘ vom französischen Meisterkoch Nicolas Appert auf die Menükarten vieler russischer Restaurants. Dort hießen sie dann ‚Tsiplenokovo Po-Kievski‘. Mit den Auswanderern gelangte die Speise in die USA, wo sie in den 30er Jahren quasi markttauglich amerikanisiert in Chicken Kiev umbenannt wurden. Zwei befreundeten Slawistinnen servierte ich diese gefüllten Hühnchen, die sie auch sofort als ‚Tsiplenokovo Po-Kievski‘ enttarnten und meine Kochkunst – natürlich unter Anführungszeichen – sehr lobten.
50 amüsante Geschichten, schön erzählt, mit feinem britischen Humor finden sich in diesem Buch. Den meisten Gerichten widmet Winter vier Seiten, eine Doppelseite für die Entstehungsgeschichte und je eine Seite dem Rezept sowie den sehr gustiösen Food-Fotos. Das Buch ist ansprechend gestaltet mit vielen kleinen den Text ergänzenden Miniaturbildern und grafischen Elementen. Man nimmt es immer wieder gerne zur Hand, um nachzublättern und nachzulesen und entdeckt dabei jedes Mal wieder Neues.
Ärgerlich sind kleine Fehler im erzählerischen Teil, die den Übersetzern und dem Lektorat angelastet werden können und nicht passieren dürfen. Da beginnt das Vorwort mit, „Wer Essen verstehen möchte, muss damit arbeiten und es nicht nur verspeisen, muss dafür eine Leidenschaft entwickeln und dafür blühen.“ Glühen könnte ich noch verstehen, aber heißen muss es brennen. Aber solche Fehler sind leicht verschmerzbare Kleinigkeiten angesichts der höchst unterhaltsamen Entstehungsgeschichten kulinarischer Klassiker die Winter, garniert mit Rezepten, wiedergibt. Vorwiegend sind es Gerichte aus dem angelsächsischen Raum, gefolgt von einigen italienischen wie Pizza Margherita, Pasta alla Norma und alle weiteren sind Spuren aus der restlichen Welt. Auch sind nicht alle Rezepte einfach nachzukochen, einige wenige sind zeitintensiv und aufwändig, viele unserer Zeit angepasst. Aber vordergründig geht es wohl um die Geschichte der Gerichte und Drinks, mit all ihren Brüchen und Widersprüchen, und die sind allesamt lesenswert.
Am Ende aber steht ein Martini, mit dem ich mit Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, auf das Neue Jahr 2016 anstoße. Väter dieses beliebten Drinks gibt es einige. Das Oxford Dictionary hat jedoch zwei Italiener namens Martini und Rossi als Inspiration für den Namen zu bieten. Dabei belassen wir es. Das Rezept verrate ich Ihnen am Ende. Vielleicht gesellt sich Mister 007 zum Anstoßen dazu. Na dann: Prost.