Heute geht es um ein Themenkochbuch – FETT.
Sie haben richtig gelesen Fett. Ein Wort, das uns in Angst und Schrecken versetzt, Assoziationen hervorruft und alptraumhafte Bilder vor unserem geistigen Auge entstehen lässt wie – Übergewicht, Diät, hoher Cholesterinwert, Herztod. Dabei ist Fett, und das versucht uns die australische Köchin Jennifer McLagan in ihrem Buch Fett. Loblied auf eine verrufene Ingredienz, klar zu machen; dabei ist Fett unverzichtbar für den Geschmack und die Zubereitung unserer Nahrung (Seite 18). Die Autorin schreibt also gegen jene vielen Kochbücher an, die das Fett aus der Küche und dem Essen verbannen wollen. Sie setzt der täglichen negativen Medienbotschaft, dass Fett ungesund sei, entgegen, dass es notwendig und ein wichtiger Nahrungsbestandteil ist. Und, wie man Fett genießt, denn das hat uns noch kein Kochbuch beigebracht. Um Missverständnisse gleich auszuräumen: Es geht nicht um Schlachtschüsseln, den ultimativen Wurst- und Fleischkonsum und dergleichen.
Es geht um ein Richtigstellen und Zurechtrücken, ja auch Aufklären der Vorzüge verschiedener Sorten tierischer Fette. Wann und warum welches verwendet werden sollte. Praktisch umgesetzt wird ihr Ansatz in über etwa 100 großen traditionellen als auch neuen Rezepten, in denen Fett eine wichtige Rolle spielt.
Im Einleitungsteil steckt McLagan den Rahmen ab. Kurz und prägnant skizziert sie den Abstieg, wie das natürliche Fett von unserem Esstisch verschwindet. So erfahren wir von ihr, dass heute weniger als ein Viertel von der Buttermenge verzehrt wird als der um 1900 etwa. Dann knöpft sie sich einige Fakten vor und stellt sie richtig, so auch die Behauptung, eine fettarme Ernährung sei gesund. Das ist falsch. Ebenso falsch ist die Vorstellung, dass alle tierischen Fette gesättigte, gemeint ungesunde Fette seien. Denn Fett ist nicht gleich Fett. Und die Autorin stellt wiederum richtig, dass der Verzehr an tierischem Fett zwar eingeschränkt wurde, aber gleichzeitig die Gesamtmenge an Fett in unserer Nahrung zugenommen hat. Tierische Fette sind durch künstlich hergestellte hydrierte Fette ersetzt, die wiederum voller Transfette sind. Und die sind schlecht, weil unser Körper sie schwer verarbeiten kann und als Fett in der allseits bekannten Form speichert. Die guten tierischen Fette bleiben somit auf der Strecke und das versucht McLagan zu korrigieren. In vier Kapiteln widmet sie sich der Butter, dem Schweinefett, dem Geflügelfett und dem Rinder- sowie Lammfett. Ausführlich und auch sehr persönlich beschreibt sie die Fette in allen Facetten, historisch, kulinarisch und literarisch, in Form von Zitaten, Sprichwörtern und Anekdoten. Vervollständigt werden diese Kapitel mit zahlreichen Rezepten. Aber lassen wir uns nicht unterbuttern und verharren wir im ersten Kapitel. Dieses beginnt McLagan mit einer Frage: Gibt es etwas Besseres als eine frische Scheibe Brot, dick mit Butter bestrichen? Sofort werden bei mir Erinnerungen wach, an meine Großmutter beim Butter abtreiben, wie sie es nannte. Ehe die Sahne zur Butter verklumpte, löffelte sie etwas von der cremigen Vorbutter auf einen Teller und streute Zucker darüber. Die Geschmacksexplosion in meinem Mund und ihr seliges Lächeln werde ich nie vergessen. Butter ist einzigartig unter den Fetten, so das Credo McLagans. Gute Butter ist cremig und gut streichbar. Die Aromen von frisch und süßlich bis nussig und säuerlich hängen von der Sahne ab. Und es ist nur ein logischer nächster Schritt, dass die Autorin zum Ausprobieren auffordert, die Butter zu schmecken, zu riechen, ein Stück auf die Zunge zu legen und zergehen zu lassen. Frische selbstgemachte Butter – das erste Rezept ist die Anleitung für Hausgemachte Butter. McLagan erklärt den Unterschied von Geklärter Butter oder Butterschmalz und Ghee nebst Anleitung für dieses als auch für diverse Gewürzbutter. Das indische Ghee habe ich öfters selbst gemacht. Der Butter wird durch leichtes Köcheln einfach Wasser entzogen. Dabei fällt ein Nebenprodukt an, die leicht bräunlichen Feststoffe am Topfboden, das Reis- und Gemüsegerichten ein besonderes Aroma verleiht. DIe Autorin bietet eine Reihe von buttrigen Rezepten an. Ob Butter mit Steinpilz- und Radieschengeschmack, Pikant-süßes Popkorn mit Butter das meine Kinder begeisterte, selbstgemachter Blätterteig, diverse Buttersaucen, Huhn Kiew oder Braune-Butter-Eiscreme, die Königin Butter steht im Zentrum der Gerichte und überrascht. Allen Rezepten vorangestellt ist ein kurzer, persönlicher Vorspann. So gesteht McLagan beim Gebratenen Schweinebauch mit Orangen-Miso, Als ich erst einmal angefangen hatte, Schweinebauch zu kochen, konnte ich nicht mehr damit aufhören.
Zwischen den Texten finden sich durch Farbkästen hervorgehobene Kurztexte, Splitter mit wissenswerten, metaphorischen, geschichtsträchtigen Informationen und Tipps. Aufgelockert wird der Textfluss zudem durch ganzseitige Farbfotos, die das Nahrungsmittel Fett als solches und verarbeitet in Speisen ästhetisch und anschaulich wiedergeben. Müsste ich die Rezepte national zuordnen, so gibt es eine leichte Bevorzugung der französischen und englischen Küche. Cassoulet, Foigras-Terrine, Englischer Rinderbraten), Traditioneller Christmas Pudding oder Fruit Cobbler um einige aufzuzählen. Das sind Klassiker mit ihrer Handschrift. Andere Rezepte verblüffen wegen der Zusammensetzung der Zutaten, so der Milchreis mit Rindermark, Quincemeat, eine Gebäckfüllung mit Quitten und Nierenfett, der Yorkshire-Pudding mit Rinderschmalz, die Speckmayonnaise, eine Köstlichkeit, die das klassische amerikanische Sandwich aus Speck, Salat und Tomate ungemein verfeinert, sodass ich ihnen am Ende diese einfache Mayonnaise vorstellen muss.
Jennifer McLagan ist eine eigenwillige und mutige Köchin, die sich an den Rand gedrängter Themen wie Fett, Knochen oder dem Geschmack Bitter widmet. Themen, die eigentlich in unserer Esskultur eine zentrale Bedeutung haben, aber wenig beachtet werden. Ihr Kochbuch ist daher auch eine kleine Kulturgeschichte vom tierischen Fett. Amüsant, geistreich und mit leichter Feder geschrieben, das alles macht dieses Kompendium zu einem Lesevergnügen. Darüber hinaus verführen Ihre Rezepturen in neue Erlebniswelten des Geschmacks. Fett ist ein fundamental wichtiges Kochbuch, eines der Besten.