Johannes C. Hoflehner, Ulli Lassenberger, Große Salate

Von der Beilage zur Hauptspeise

Fotos von Kurt-Michael Westermann
Braumüller Verlag, Wien, 2023, 256 Seiten, 34.— Euro
ISBN 978-3-99100-371-7
Vorgekostet

Heute dreht sich alles um SALATE.

Nicht, weil der Wiener Opernball eröffnet wurde. Es sind Walzerklänge die aus den kleinen Lautsprechern meines Küchenradios scheppernd purzeln, während ich das Häuptel für die Beilage in meinen Händen prüfend drehe.

In der aktuellen Standardausgabe vom 15.2.2023 stellen Bernadette Redl und Franziska Zoidl sich die Frage: „Was gibt’s bei dir heute?“ Sie suchen Ersatz für die teuer gewordenen Mittagsmenüs. Die Antwort sind vier selbstgemachte Bowls, drei von ihnen beinhalten Salate. Die sind billig, sättigend und schnell zuzubereiten in der Büroküche.

Auch bei Johannes Hoflehner und Ulli Lassenberger spielen Salate eine wichtige Rolle. Ob als Beilage oder Hauptgericht, Salate bringen Lebensfreude auf den Teller, behaupten sie in ihrem aktuellen Kochbuch Große Salate. Sie wollen Anstöße liefern, Impulse geben für ein kulinarisches Genre, das eher beiläufig behandelt wird in der Kochbuchliteratur. Dabei haben Salate Potenzial, großes Potenzial.

Das Autorenduo sind bekennende Rohkostesser, denn Salate werden kaum gekocht. Die mediterrane Lebensart hat es ihnen angetan, und die Erfahrung, dass une Grande Salade mit Baguette als Mittagsgericht ausreichend ist, sie zu Fans des ‚Grünzeugs‘ gemacht. Allein die Vorstellung, den Rest der Salatsauce mit einem guten Brot aufzutunken, lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Hoflehner und Lassenberger nehmen sich also einer Sache an, die nur selten im Scheinwerferlicht steht. Dabei sind Salate Rampensäue, Diven, die gehätschelt und beachtet werden wollen. Ehe für sie der Vorhang aufgeht, müssen sie stilvoll angerichtet werden. Daher gibt es zuallererst ein paar Hinweise, worauf zu achten ist bei ihrer Inszenierung. Zum Beispiel färben Balsamicoessig oder Kernöl alle Zutaten braun ein. Ein Effekt, der nicht unbedingt gewollt ist und verhindert werden kann, wenn ein paar Kleinigkeiten beachtet werden. Und so geht es zunächst um Allgemeines bei der Zubereitung von Salaten. Welche Grundregeln müssen für die Herstellung von Dressings beachtet werden, welche Grundausstattung ist notwendig, welche Werkzeuge braucht man. Ihre Anregung, ein Repertoire an Ölen und Essigsorten anzulegen sowie eine Kräuterbar, ist ein wichtiger erster Schritt. Bei der Auflistung der Werkzeuge fehlte mir die Salatschleuder, bzw. ihre Erklärung, warum sie keine verwenden. Und schon stürzen wir uns in die Zubereitung der wichtigsten Dressings. Hier vorherrschend sind Marinaden französischer, italienischer wie auch orientalischer Provenienz. Das französische Basisdressing für Salate besteht aus einer Mischung von gutem Weinessig mit gutem Öl, Salz, Pfeffer, frischen Kräutern der Saison und nach Belieben etwas Senf. Knoblauch wurde früher nur im Süden Frankreichs verwendet. Zucker in einer Vinaigrette gilt als Ketzerei schreibt Julia Child in ihrem Standardwerk französisch kochen. Ergänzend zu den drei vorhin genannten werden noch Safran-, Ingwer- und Joghurt-Dressing angeboten, die den Orient und Vorderasien mit hineinnehmen, wohl mehr eine Annäherung europäischer Vorstellungen von diesen Kochkulturen. Bspw. fehlen Blattsalate in Indien völlig, während für Tomaten- und Gurkensalate vorgebratene Gewürze, Phodnis, als Dressing verwendet werden.

In vier Kapitel-Blöcken werden Salate mit den unterschiedlichsten Eigenschaften angeboten, die über das Gesunde hinausgehen. 

In die Kategorie Erfrischend gehören der Salade Rochellaise, der griechische Bauernsalat, der Waldorfsalat, der Sprossensalat, der Sardinensalat mit Apfel ua.. Körper und Geist profitieren von den frischen Zutaten und raffinierten Zusammenstellungen sowie dem Spiel von Säure, Süße und Bitterstoffen, unabhängig von der Jahreszeit. Neben Klassikern finden sich hier auch Neuschöpfungen wie den grünen Sommersalat mit Ogrosln. Das sind Stachelbeeren, die sich mit ihrer säuerlichen Frische zwischen Eisbergsalat- und Spinatblättern verstecken.

Im zweiten Salat-Kapitel steht das Wärmende im Mittelpunkt. Unter Erwärmendes verstehen Johannes und Ulli das, was unser Gemüt immer wieder mal benötigt und etwas Tröstendes beinhaltet, Soulfood im weitesten Sinne. Das drückt sich in cremigen Konsistenzen und kräftigen Gewürzen aus. Herzhafte Salate gehören dazu wie der steirische Käferbohnensalat, der mediterrane Taboulé, der Brokkolisalat mit Orecchiette und Speck, ein Spinatsalat mit Feigen und Ziegencamembert, um einige zu nennen. Bis hierher bewegen wir uns im sicheren Bereich; Rindfleisch, Waldpilze und  Ziegenkäse, aber auch Bulgur, Fenchel, Ananas und Kidneybohnen werden eingesetzt und zu Salaten veredelt, die glücklich machen.

Jetzt verlassen wir die Komfortzone, wagen uns hinaus in unbekannte Gefilde, werden zu Entdeckern. Es gilt, sich auf neue, unbekannte Zutaten einzulassen, die mit originellen Salatkreationen verzaubern. Hier begegnet uns Unbekanntes wie Sfilacci di Equino, ein hauchdünn geschnittenes, mageres und geräuchertes Pferdefleisch oder Rose di Garizio, eine blütenförmige Radicciosorte, die im italienisch slowenischen Grenzraum angebaut wird. Wer es wagt, die Terra incognita der Salate zu betreten, wird überrascht von der Vielfalt kühner Ideen mit unerwartetem Gaumenkitzel. Kreationen wie Panzanella, Salatka z burakow und Salat mit Onsen-Ei fallen in diese Sparte.

Das vierte und letzte Kapitel ist einer sehr speziellen Salatspezies gewidmet. Es handelt sich um verflüssigte Vorspeisen oder Cocktails. Die Gazpacho ist nichts anderes als ein verflüssigter Salat. Auch der Eisbergsalat ist wieder da. Erinnern Sie sich, wie er auf einmal von allen Speisekarten verschwand, jetzt ist er wieder auferstanden, verflüssigt, ein Smoothie. Besonders gefreut hat mich aber die Melonensuppe nach Antonio Carlucchio, einem italienischen Koch, der mit seinen Kochbüchern und Filmen nicht nur mich sondern auch Johannes und Ulli inspirierte.

Große Salate ist ein durchkomponiertes Anleitungsbuch mit 80 Grundrezepten als Basis für rund 300 Variationen. Es sind Gaumenfreuden für zwei Personen, die sich innerhalb einer viertel bis halben Stunde verwirklichen lassen. Schön bebildert und ansprechend gestaltet, ist die farbige und aromatische Welt fantastischer Salatkombinationen. Gewünscht hätte ich mir noch ein ausführliches zutatenbasiertes Inhaltsverzeichnis, um schnell entsprechende an vorrätigem Gemüse und Obst orientierte Rezepturen zu finden. Aber wurscht! Ich mache mir jetzt einen Schweizer Wurstsalat. Eine Kuriosität, weil er früher offensichtlich auch im Wiener Kaffeehaus angeboten wurde und fast ohne Gemüse auskommt.

Und was ich noch sagen muss: Nichts hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Küche so sehr verändert wie das, was mit dem Wort ’Salat’ gemeint wird. Die Salate aus Große Salate sind der beste Beweis und können, wenn man sich darauf einlässt, süchtig machen. Dann vergeht kein Tag mehr ohne einen Salat auf dem Tisch.