Johannes Jungwirth & Florian Holzer, TISCH 14 BITTE!

DERjungWIRT - das Carnuntiner Wirtshaus
Text von Florian Holzer
Rezepte und Fotos von Johannes Jungwirth
Trauner Verlag, Linz, 2021, 250 Seiten, 42.-- Euro

ISBN 978-3-200-07259-6
Vorgekostet

Heute halten wir in GÖTTLESBRUNN.

Einer kleinen, rund 1.500 Seelen zählenden Gemeinde im Südosten Niederösterreichs nahe der burgenländischen Grenze. Ein Ort wie viele andere des Industrieviertels. Die Kellergasse ist unauffällig in Dorf und Landschaft integriert. Bei meinem letzten Besuch wurden gerade zwei Erdkeller wieder hergerichtet: einer als Weinlager, der andere als Partykeller. Die Kellergassen werden wiederentdeckt. Kaum bewegt man sich außerhalb der Dorfgrenze, sind es Weinstöcke links und rechts bis zum Horizont, die das Auge erfasst. Göttlesbrunn ist ein Begriff unter Weinkennern, aber nicht nur. Die Autokennzeichen belegen die Herkunft der Anreisenden, Wien und Deutschland überwiegen. Sie kommen wegen des Weins und wegen des guten Essens.

Denn dieser Weinort, eingebettet zwischen einer nicht sehr hohen Gebirgsflanke und dem Leithafluss, bietet auch eine Wirtshauskultur an, die man hier nicht vermutet hätte. DERjungWIRTH auf der Landstraße in Göttlesbrunn ist gehobene Restaurantkultur und weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt für seine Carnuntiner Küche. Dabei ist Johann Jungwirth sich selbst nicht klar, ob es diese Küche überhaupt gibt. Aber selbstbewusst genug, wenn er meint, so könnte sie jedenfalls aussehen. Und präsentiert zum Beweis sein Kochbuch TISCH 14 BITTE! Ein Prachtband von Kochbuch, der einem gediegenen Ausstellungskatalog gleichkommt, mit Rezepten vom Feinsten. Das Werk ist zweigeteilt. In den ersten zwei Dritteln werden Rezepte vorgestellt, die den Jungwirth in den Haubenhimmel hieven. Der zweite Abschnitt, rund 100 Seiten stark, widmet sich den Produzenten und vor allem Winzern, die die Region erst zu einer der besten Rotwein-Destinationen des Landes gemacht haben. Familienbetriebe vieler Generationen, angesiedelt zwischen Tradition und Moderne, deren Begeisterung und Lebensfreude sich im Flüssigen manifestieren. Der Blaufränkisch Reserve, den ich auf Empfehlung des Chefkochs zur Wachtelbrust mit Gänseleber verkostete, war mehr als exzellent. Weinkenner Jungwirth prophezeite: Pure Struktur, pure Kraft, pure Schönheit – was will man mehr? Und die Wachtelbrust? Purer Genuss.

Schon wieder ein Kochbuch? stellt sich Johannes Jungwirth selbst die Frage, um gleich zu begründen, dass dies das Fenster zu seiner Küche, zu seiner Koch-Seele ist. Hier werden Rezepte vorgestellt, die den Gästen am besten schmeckten und dem Jungwirt am meisten Spaß gemacht haben, sie zuzubereiten. So genannte Dauerbrenner für Genusssüchtige. Rezepte, die sowohl Lokalkolorit verströmen als auch vom Blick über den Tellerrand zeugen. Ersteres entspricht Johannes Ausbildung in einigen guten Häusern und die prägende Wiener Küche, in der alles verwertet wird – von Blunzen bis zu den Schweinsmaisen reicht die Palette. Letzteres ist Joel Robuchons Kochphilosophie wie auch der Kochkunst eines Hans Haas, dem langjährigen Küchenchef des Tantris, geschuldet. Zwei Kochkoryphäen, die ich auch sehr schätze, und schon deshalb ist mir Johann Jungwirth äußerst sympathisch.

Der Rezepteteil gliedert sich in fünf Abschnitte. Das beginnt mit der Wirtshausküche, die eine ordentliche Portion Tradition verspricht. Sie wird abgelöst von Fine Dining. Hier wird das Besondere aufgetischt, Jungwirths Küche auf höchstem Niveau, behauptet Florian Holzer und ergänzt: diese Gerichte sind nicht immer ganz einfach, aber dafür umso besser. In Kapitel drei dreht sich alles um die Trüffel. D. h., der Zauber-Pilz kann nicht mehr getoppt, die Feinschmecker höchstens in Versuchung mit Süßem verführt werden. Es geht also um Desserts in diesem vierten Abschnitt, die es in sich haben, vor allem eine persönliche Note. Spannend wird es dann noch einmal im letzten Rezeptkapitel, das sich mit Eingerextes, Eingelegtes, Abgerührtes und Abgefülltes beschäftigt.

Zum Einstieg aber offeriert uns Johannes Jungwirth seine Geschmackstabelle, erweitert so die Standards mit vier weiteren Komponenten, nämlich cremig, knusprig, heiß und kalt. Am Beispiel einer Bachforelle im Hollersud, Selleriepüree, Apfel-Sellerie-Tatar exemplifiziert er seine Vorstellung von Komplexität, Harmonie und Spannung der Mahlzeit sehr anschaulich. Diesen umfassenden Geschmacksanspruch versucht Johannes in seinen Gerichten so komplett wie möglich auszuschöpfen. Seelenfutter, darum geht es.

Die klassische österreichische Wirtshausküche, wie die Oma sie schon zubereitet hat, wird ansatzweise neu interpretiert und mit mediterranen und asiatischen Ideen angereichert. Entstanden sind spannende Gerichte, die ihre Herkunft noch erkennen lassen. Die in Merlot geschmorte Rinderwange mit Erdäpfelpüree & Wurzel-Julienne ist fast schon Standard mit leichten Abweichungen. Aber hier werden nur die Feinschmecker erfassen, dass Spuren von Powidl die feine Note ausmachen. Das gebackene Göttlesbrunner Weide-Ei mit Saiblingskaviar ist auch ohne Kaviar noch ein interessantes Gericht. Und dass ich die Eier nicht aus Göttlesbrunn herankarrte und für die Zubereitung Tiroler Freilandeier genügen mussten, ist eh klar. Auch die gefüllten Paprika, Couscous und schwarzer Reis aus Pamhagen war ein inspirierendes Erlebnis, vor allem auch wegen der beigelegten Risottoknödeln. Letztere, eine Idee, die in meiner Küche noch öfter zum Einsatz kommen wird. Der Grenadiermarsch, das Lieblingsrezept von Claudia Jungwirth, ist die österreichische Version der Älplermagronen, allerdings ohne Käse und auch ohne Fleisch- und Wurstreste, dafür mit edelsüßem Paprika ungarisiert. Meinen Enkeln hat dieses Essen sehr gut geschmeckt. Den Butternuss-Kürbis mit Maroni-Walnuss-Ricotta, Cremolata und Vollkorncrumble darf man hinsichtlich Aufwand nicht unterschätzen. Aber kaum steht er auf dem Tisch, begeistert er Jung und Alt. Anstelle des Grünen Veltliner Reserve steuerte ich einen fruchtigen Friauler Weißwein bei, der das Essen perfekt machte. Überhaupt finden sich bei vielen Rezepten Wein-Empfehlungen, die natürlich nur Göttlesbrunner Winzer-Angebote bedienen. Aus den Aromabeschreibungen lassen sich aber dann Alternativen ableiten.

Ein Kochbuch zu stemmen mit 70 Rezepten und viel Wein-Informationen ist Teamarbeit. Wundert man sich, wenn die engsten Familienmitglieder sich mit ihren Lieblingsrezepten vorstellen? Nein! Sohn Max empfiehlt Spaghetti Caprese, Jungwirths Mutter ihre Fleischknödel, die in ihrer Familie nur nach Gefühl, nie nach Rezept gekocht wurden. Keine Sorge, hier gibt es Mengenangaben. Und Töchterchen Pia wartet mit Zitronen-Nudeln auf, ein Gericht, das ich anstelle einer Suppe Freunden versuchsweise als Vorspeis-Happen kredenzte.

Im Fine Dining-Kapitel dann steigen wir auf in die oberste Liga der La Grande Cuisine, und der Arbeitstitel könnte lauten: Alles ist erlaubt, was zum Ziel führt. Und das Ziel ist das große Gaumen-Kino oder Gaumen-Theater, Verblüffung, Geschmackserlebnisse, die man so schnell nicht vergisst. Ein hoher Anspruch, den Johannes Jungwirth einlösen kann. 

Die Bachforelle im Blütensud mit Selleriepüree und Apfel-Sellerie-Tatar sei allen empfohlen, die Jungwirths Geschmackskomponenten erleben wollen. Bis Mitte Juni blühen noch die Hollerbüsche in höheren Lagen, was mich zur Frage führt: Kann man Hollerblüten einfrieren und behalten sie ihren Duft? Jedenfalls ist es einen Versuch wert.

Sehr angetan war ich von der mit Bergamotte gebeizten Bachforelle, Kakao, weißer Rettich und Orangensalbei. Es ist zwar zeitlich sehr aufwändig und die Salbeiblätter wurden von mir mit Orangensaft imprägniert, aber gelohnt hat es sich allemal.

Dass Johannes Jungwirth nicht nur ein ausgezeichneter Koch ist, sondern auch es versteht, seine Gerichte ansprechend zu präsentieren, zeigen seine Foodfotos. Zwar neigt der Fotograf zu dekorativen Ausschmückungen, aber die dargestellten Gerichte bleiben immer im Fokus des Betrachters. Meisterhaft inszeniert: Der Seesaibling mit Gin gebeizt ist Ausdruck präziser Kochkunst mit asiatischem Flair. 

Der Göttlesbrunner Kaiserschmarren ist nicht kindertauglich, da die Sultaninen in 200 ml Tresterbrand über Stunden gebadet werden. Aber gut ist er doch, und ohne die besoffenen Sultaninen schmeckt er auch Kindern.

TISCH 14 BITTE! ist ein besonderes Kochbuch. Nicht, weil es in der Coronazeit entstanden ist, sondern weil es von einem Koch gemacht ist, der das Kochen lebt. Der kreativ sein Handwerk und seine Leidenschaft zelebriert und damit Gerichte schafft, die kulinarische Seelenwärmer sind. In seinen Gerichten finden sich Geschmäcker, die durch Omas und Mütter geprägt wurden. Verknüpfte Gourmand-Momente, an die wir uns gern erinnern, ob aus der Region oder von einer Urlaubsreise.

Sollten Sie einmal den Jungwirth in Göttlesbrunn besuchen, dann versuchen Sie doch den Tisch 14 zu bekommen. Das ist der beliebteste und meist reservierte Tisch des Restaurants.