Heute reisen wir nach JAPAN.
Und bleiben doch in Österreich. In Wien. Das ist kein Wiener Schmäh. Tatsache. Auch kein Wiener Märchen, obwohl es fast so scheint. Diese österreichisch japanische Fusion hat mit einem Asiaten zu tun, der für Severin Corti wie ein Samurai aus einem Kurosawafilm aussieht. Joji Hattori! Der virtuoser Geiger und Dirigent wurde in Tokyo geboren und übersiedelte als Achtjähriger mit seiner Familie nach Wien. Kulturemigranten könnte man sie bezeichnen. Joji konnte damals kein Wort deutsch bzw. österreichisch. Heute ist er perfekt in Wort und Schrift und zitiert gerne ein japanisches Sprichwort, das besagt: Die Seele eines Dreijährigen währt bis Hundert. Also ist Joji in seinem Innersten Japaner geblieben, was sich auch in seinen Essensvorlieben ausdrückt. Er ist ein Pendler zwischen zwei Welten. Seine Musik, die er spielt und dirigiert, ist klassisch europäisch, während seine kulinarischen Ambitionen Nippons Küche gelten. Obwohl er auch die europäische Nouvelle Cousine schätzt und problemlos nachkochen kann. Jedenfalls hat Hattori im 42sten Lebensalter beschlossen, nach vielen Jahren des Reisens, seiner japanischen Seele mehr Gewicht zu geben. Und besiegelte diesen Entschluss mit der Eröffnung des japanischen Restaurants Shiki in Wien. Zum Musiker kam also noch der Gastronom, ein scheinbarer Gegensatz, wie er nicht größer sein könnte, wären da nicht ähnlich geartete Herausforderungen: Perfektion, Schönheit und Menschen glücklich machen ist für beide Disziplinen oberste Priorität. Joji ist somit zum Vermittler der japanischen Küchenkultur geworden, der das Idealbild einer fettarmen, leichten japanischen Küche zelebriert. Und weil man nicht jedesmal nach Wien, geschweige Japan reisen kann, um höchste japanische Esstraditionen zu studieren, gibt es nun ein entsprechendes Kochbuch, das auch die Gerichte des Shiki-Restaurants wiedergibt, aber nicht nur. The Art of Shiki von Joji Hattori und Alois Traint ist im Pichler Verlag erschienen. Inhaltlich ist es praktisch dreigeteilt, wozu sich noch ein weiterer Aspekt – quasi eine Außensicht -, in Form eines Gastbeitrags von Gastrokritiker Severin Corti gesellt.
Am Beginn werden die Grundlagen der japanischen Küche vorgestellt. Sehr fachkundig und informell führt Hattori in die Grundzutaten und -ausrüstung der Japanküche ein. Dieser Abschnitt ist gespickt mit Sachinformationen, die man lesen muss. Kurzweilig und detailreich klärt der Autor über japanische Lebensmittel auf, ergänzt manches noch mit einem Glossar am Endes des Kochbuchs. Darüberhinaus gibt er einen guten Einblick über japanisch Kochen im Allgemeinen, was sich letztlich auf die Geschmacksgebung auswirkt. Und natürlich geht es auch um den japanischen Reis und das Einmaleins japanischen Reiskochens. Die Ausführungen über japanischen Reis per se sind recht kurz angesichts der Tatsache, dass es über 600 Sorten in Japan gibt. Auch scheint Hattoris Küche nicht unbedingt dem Konzept der Ichiju Sansai-Esskultur zu folgen, welche den Reis ins Zentrum der Mahlzeit stellt.
Der Einführung folgen dann die Rezepte, die drei Themenbereichen zugeordnet werden können. Zusätzlich sind im weitesten Sinne gastrophilosophische Hintergrundbeiträge eingestreut, die sich mit dem japanische Messer, den Stäbchen, der Tradition des Miso, dem japanischen Rind Wagyu, dem grünen Tee usw. widmen.
Also nähern wir uns der japanischen Alltagsküche über das, was Hattori unter traditioneller Hausmannskost versteht. Da sind die typischen Frühstücksgerichte Iri-Tamago und Natto-Gohan, zum Einen eine Eierspeise, die auf Reis angerichtet wird, zum Anderen ein Gericht mit den weniger bekannten Nattobohnen auf einem Reisbett. Bei Letzterem bin ich mir nicht sicher, ob das zur Leibspeise erkoren wird, denn die Nattobohnen stinken gewaltig, sind aber sehr, sehr gesund. Hier gilt abzuwägen, Gesundheit oder Nase?
Sehr gut gefällt mir das Gericht Hiyayakko Tofu, eine Art Amuse Gueule und dem italienischen Caprese ähnlich. Anstelle des Shisoblatts habe ich Basilikumblätter verwendet, die den Geschmack nicht genau treffen, aber die Idee der japanischen Caprese Variante ist einfach bestechend.
Dem Wiener Schnitzel sehr ähnlich ist Tonkatsu. Die ausgelösten Schweinekoteletts sind von Pankobröseln umhüllt frittiert und werden mit Kohlstreifen serviert. Panko ist ein grobflockiges Paniermehl, das aus Weißbrot ohne Rinde hergestellt wird und ein japanisches Markenzeichen.
Mit dem Eintopf Yasai Nabe wird die Zutatenliste etwas umfangreicher und asiatischer, denn hier kommen Daikonrettich, Satomi-Yams, Shirataki-Glasnudeln, Shiitake- und Enokipilze sowie Kombu Dashi in den Topf. Eine weitere Ponzu- wie auch Misoversion verleihen diesem Gericht mehr Säure oder mehr Würze mit Knoblauch.
In seinem Gastbeitrag wagt Severin Corti den Kurs des Shiki-Restaurants zu definieren. Er stellt fest, dass Joji Hattori und sein Küchenchef Alois Traint nichts weniger versuchen, als die japanische mit der europäischen Küche zu vereinen. Dass das gelingen kann, sieht man in diesem Kochbuch. Corti erklärt das so: Die klassisch japanische Küche wird mit Mitteln der europäischen Hochküche neu interpretiert. Das resultiert in Gerichten, die oft verblüffend europäisch aussehen und ihre japanische Seele manchmal erst dem kundigen Gourmet offenbaren.
Fisch ist neben Reis das wohl wichtigste Lebensmittel in der japanischen Küche und aus ihr nicht wegzudenken. Der Autor zeigt daher in einer mehrseitigen Fotostrecke, wie roher Fisch – für Sashimi vom Wolfsbarsch – zerlegt wird. Auch die Sushi-Herstellung wird mit einer Bildfolge minutiös festgehalten. Fast auf spielerische Art ist dieses Kochbuch durchdrungen von Themenbeiträgen, die sich mit der Algenvielfalt, dem Thunfisch und anderes mehr der japanischen Kulinarik beschäftigen. Diese eingestreuten Textbausteine lockern das Werk zwar auf, erschweren aber die Orientierung, da es keine Abgrenzung zwischen den Rezepten und dem Erzählten gibt.
Natürlich darf in einem Kochbuch der japanischen Küche die Misosuppe nicht fehlen. Denn die Japaner essen Suppen, Suppen und nochmals Suppen (und Nudeln), behauptet Nancy Singleton Hachisu, eine Kennerin der Küche Nippons. Genau genommen gibt es fast keine japanische Mahlzeit ohne eine Schale einfacher Suppe. Das heißt aber nicht, dass einfach nicht auch raffiniert sein kann. Sowohl in der hellen Misosuppe als auch Akadashi-Misosuppe schwebt ein zarter Hauch einer kleinen Zitronenzeste, die kurz hindurchschwimmen darf und mit dem Herausnehmen den Zeitpunkt des Servierens bestimmt.
Bei den Hauptspeisen angekommen, hat mich der Zen-Garten von Bohnengewächsen sofort beeindruckt. Der Nachbau, ich gebe es zu, sah schrecklich aus, aber geschmeckt hat es allen. Dieses Kapitel ist eine Herausforderung und ich betrachte die Hauptspeisen-Rezepte daher mehr als Ideenlieferant. Den Shiki-Wagyu-Burger baute ich mit Fleisch vom Tiroler Bio-Rind nach. Form und Aussehen waren o.k. und der Geschmack durch die Rotwein-Teriyaki-Soße sensationell.
Die Desserts sind ganz gehobene Küche, setzen sich zusammen aus mehreren Einzelteilen, sind somit recht aufwändig. Mozart meets Shiki ist eine Vereinigung von Mochi, Ganache, Marzipan, Pistazien und Nougat; ein genussvolles Notenblatt. Dieses Dessert werde ich bei meinem nächsten Wienbesuch konsumieren.
The Art of Shiki ist ein tolles Kochbuch, das mir bzw. uns neben einigen bekannten japanischen Spezialitäten vor allem eine farbenprächtige, facettenreiche und vielseitig neue Länderküche offeriert. Viele raffinierte Gerichte wie das Kobe-Beef, aber auch zahlreiche vegane, die von der japanischen Hochküche (Shojin-Ryori) inspiriert sind, gilt es zu erkosten. Die Idee, die japanischen Küche an die europäische heranzuführen, eine Art Symbiose einzugehen, finde ich großartig. Auch Landschaft- und Gesellschaftsaufnahmen sowie die Foodfotos sind grandios und das Layout dieses Kochbuchs herausragend.
Die Verschränkung von Rezepten und Wissen ist anspruchsvoll und wohl auch eine pädagogische Versuchung für die Autoren, eben zu vermitteln, uns Europäern die Angst und Scheu vor der japanischen Küche zu nehmen. Ein umfangreiches Glossar und Bezugsquellen, die jeden Wunsch erfüllen, fördern die Annäherung Europas an Japan. Meisterhaft verstehen es Joji Hattori und sein Küchenchef Alois Traint, ihre Gerichte, ohne dabei die Spitzenküche aus den Augen zu verlieren, so zu präsentieren, dass man erstaunt ist, wie einfach manches japanische Gericht sein kann.