Jürgen Vsetecka, Süßes vom Chief of Sugar

Fruchtige Verführungen

Fotos von Nadine Poncioni
Pichler Verlag, Wien, 2018, 144 Seiten, 23.-- Euro
ISBN 978-3-222-14016-7
Vorgekostet

Heute reisen wir nach WIEN.

In die Stadt der Kaffee-Häuser. Sie sind Ausdruck Wiener Urgemütlichkeit. Da lehnt man sich zurück bei einem Wiener Melanche, einem Verlängerten, Kapuziner oder Einspänner und lässt die Seele baumeln. Vollständig wird das Glück, wenn dann noch ein Stück Kuchen serviert wird. Und wenn es ein Kuchen beim Meinl am Graben ist, so könnte dieser vielleicht gar von Jürgen Vsetecka selbst gebacken sein. Vsetecka, oder Chief of Sugar, wie er sich selbst bezeichnet, ist dort Patisseur und der neue Stern am Wiener Zuckerbäckerhimmel. Zuckerbäcker haben in Wien eine lange Tradition. Der Standesdünkel wird hoch gehalten und am Zucker-Bäckerball, immer Mitte Jänner in der Wiener Hofburg, warten all die Demels und Sachers mit den süßesten Überraschungen auf, die man sich sich vorstellen kann. Dort gibt es jede Menge an fantastischen Torten und Kuchen, die sich dem Bewerb des Zuckerbäcker-Award stellen. Kreative Konditoren und Lehrlinge haben beeindruckende süße Schaustücke geschaffen, die dann verkostet und bewertet werden. Aber noch eines fällt auf. Es ist ein erstaunlich junges Ballpublikum. Die Zunft scheint keine Nachwuchssorgen zu haben, das Backen – ob Torten oder Brötchen – begeistert offenbar wieder mehr junge Menschen. Und Vsetecka ist auch jung und er hat im Backen seine Berufung gefunden. Als Verführer, der selbst dem Zuckerguss, den sündigen Cremes, luftigen Baisers wie auch erfrischenden Fruchtsalaten verfallen ist. Ein Experimentator, der den süßen Wiener Klassikern frische Ideen an die Seite stellt. Dazu lädt Vsetecka ein, wie er im Vorwort zu seinem Erstlingswerk Süßes vom Chief of Sugar schreibt, das im Pichler Verlag herausgekommen ist.

In sieben Kapiteln kreiert der Autor fruchtige Verführungen aus Wien. Ob in feinen Tartelettes, als Kuchenideen, ob Windiges oder Cremiges, in Form kreativer Fruchtsalate, himmlischer Marmeladen und Gelees oder gar Fruchtsaucen – Jürgen Vsetecka zaubert und verzaubert mit bekannten und exotischen Aromen und Zutaten die schönsten Versuchungen. Am Anfang aber steht der klassische Mürb- oder Mürbeteig, auch 1-2-3-Teig, weil sein Grundrezept 1 Teil Zucker, 2 Teile Fett und 3 Teile Mehl vorsieht. Vsetecka aromatisiert ihn mit Zitronenzesten, der fortan so als Grundteig für alle Tartelettes steht. Noch zwei bzw. drei Tipps sind diesem Grundrezept beigefügt, nämlich: dass alle Tarterezepte immer mit Ober- und Unterhitze gebacken werden, dass statt Weizen- auch Dinkelmehl verwendet werden kann und dass der Teig nicht zu lange geknetet werden soll, da die Butter in Folge zu weich wird und der Teig keine Bindung bekommt. Es sind kurze, wertvolle Informationen, die sich durch das ganze Buch ziehen. Im Kapitel Tartelettes folgen der Mürbteigbasis dann feinste Rezepturen mit viel Obst. Ob mit Kirschen-Pistazien, mit Ribisel-Honig oder Waldbeeren-Vanille gefüllt, es sind kleine Köstlichkeiten von wuchtiger Fruchtigkeit. Besonders gut sind die Birnen-Streusel-Tartelettes bei meinen Freunden angekommen. Aber wer glaubt, dass Tartelettes nur süß sind, irrt. Vsetecka lockt auch mit pikanten Banane-Meersalz-Tartelettes, wobei, das muss erwähnt werden, das Salz auch durch Vanille ersetzt werden kann – für all jene, die den Salzgeschmack nicht mögen. Überhaupt hält dieses Kapitel ein paar schöne (Zutaten-)Überraschungen parat, bspw. Tartelettes mit Mispel oder Kumquat. Das Kuchenkapitel enthält weniger Rezepte, aber wiederum interessante Obstkombinationen. Für den Herbst habe ich mir die Feigen-Eclairs bereits vorgemerkt.

Sehr verspielt mit Farbeffekten gibt sich der Autor dann mit der Windbäckerei. Hier kommen nun auch mehr Blüten wie Lavendel oder Holunder zum Zug, deren Farbblässe er teilweise mit Lebensmittelfarben aufpeppt. Ein wunderbarer Abschnitt für Baiser-Verliebte und vor allem eine Fundgrube, wenn es darum geht, Kindergeburtstage mit genussvollen Farbtupfen anzureichern.

Aus der Fruchtsalat-Abhandlung habe ich mir den warm marinierten Zitrussalat herausgepickt. Dieser Salat begeisterte alle mit seiner Kombination verschiedener Zitrusaromen und er ist ein unerschöpfliches Experimentierfeld, hat man einmal damit angefangen. So habe ich, in Ermangelung des Veilchensirups, diesen durch Lavendelsirup ersetzt.

Sehr glücklich war ich dann in der Marmelade und Co.-Abteilung. Und hier waren es vor allem der Koriander-Orangen-Gelee und der Karamel-Grapefruit-Aufstrich, die mich voll in ihren Bann zogen. Besonders die Kombination von Koriander und Orange waren eine tolle Entdeckung. Überhaupt zeichnet sich Jürgen Vseteckas Kochbuch durch die feine Abstimmung der Grundzutaten aus, wie auch durch das Prinzip, weniger ist mehr. Ein Qualitätsmerkmal, das sich im lustvollem Genuss manifestiert. Was mir ein wenig fehlt ist, dass der Autor außer Tipps kaum Hintergrundinformationen gibt. Was ist der Unterschied zwischen Gelee und Marmelade? Welche Konsistenz sollte Gelee aufweisen? Welchen Zucker verwendet man wofür? Wie unterscheiden sich Tartelettes von Tarte usw. Wenn auch diese offenen Fragen als marginal im Gesamtkontext zu betrachten sind, so punktet Süßes vom Chief of Sugar vor allem mit der Vielfalt an Fruchterlebnissen, die in Kombination mit der eigenen Phantasie grenzenlos scheinen. Vsetecka hat hier ein unwahrscheinlich charmantes Back- und Kochbuch über fruchtige Verführungen vorgelegt, das rechtzeitig zum Jahresbeginn erschienen ist. Mit seinen frischen Rezeptideen lassen sich die Aromen des Frühlings auf Gabel und Löffel zaubern.

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