Kate Young, The Little Library Cookbook

100 Rezepte aus den schönsten Romanen der Welt

Mit Fotos von Lean Timms
Aus dem Englischen von Susanne Kammerer (Rezepte),
Regina Rawlinson (Text)
Wunderraum Verlag, München, 2018, 320 Seiten, mit Lesebändchen, 22.70 Euro
ISBN 978-3-336-54799-9
Vorgekostet

Heute reisen wir nach LONDON.

Dort besuchen wir Kate Young. Kate ist zwar in Australien aufgewachsen, ging aber nach dem Studium nach England, um dort zu unterrichten. Bildung hat sie sich auf die Fahnen geschrieben und vielleicht deshalb früh angefangen zu lesen. Zuerst viele Kinderbücher, später kamen die Romane und dann auch Kochbücher, diese aber nicht nur wegen der Rezepte. Kochen ist daher ihre zweite große Leidenschaft. Vielleicht gab C. S. Lewis den Anstoß dazu, der einmal meinte: Essen und Lesen sind zwei Genüsse, die sich wunderbar ergänzen.

Kate kocht seit sie groß genug war, um über die Arbeitsplatte zu lugen. Lesen, Kochen, Essen sind also die drei Grundpfeiler, die ihr Leben weitgehend bestimmen.

Essen war bei ihr zu Hause mehr als nur Nahrung, die Küche war Experimentierfeld, Spielplatz und Leidenschaft zugleich.

Und seit sie von zu Hause ausgezogen ist und für sich selbst kochen muss, lässt sie sich auch von ihren Lieblingsbüchern inspirieren. Die Literatur tröstet, weckt Erinnerungen und hilft gegen Heimweh. So fiel ihr irgendwann auf, dass, sobald sie sich aus Sehnsucht nach der Familie in einen vertrauten Text vertiefte, jene Stellen sich am stärksten eingeprägt hatten, in denen es ums Essen ging. So kam, was kommen musste. Sie sammelte die literarischen Zitate mit kulinarischem Bezug und vereinte sie mit ihren Speisevorstellungen. Entstanden ist daraus quasi eine Kochbibliothek mit 100 Rezepten aus den schönsten Romanen der Welt. Das verheißt zumindest der Untertitel von Kate Youngs Little Library Cookbook, das im Verlag Wunderraum erschienen ist.

Youngs Behauptung, die schönsten Romane der Welt dafür ausgewertet zu haben, muss allerdings relativiert werden: ein Großteil sind Jugend- und Kinderbücher; darüber hinaus handelt es sich mit wenigen Ausnahmen um englischsprachige Literatur. Kein einziges deutschsprachiges Werk findet man darunter; Deutschland, Österreich und Schweiz werden offensichtlich von ihrem literarischen Radarschirm überhaupt nicht erfasst. Dabei gäbe es genügend Weltklasse-Autorinnen und Autoren, in deren Werken Essen und Trinken eine gewichtige Rolle spielen. So lässt Günter Grass seinen Roman „Der Butt“ mit einem der schönsten Sätze in der Literatur beginnen:

„Ilsebill salzte nach.“

Nun gut, kehren wir in Kates literarische Welt zurück. In sieben Kapiteln, thematisch dem Tagesverlauf und den Festzeiten zugeordnet, werden 100 Essens-Zitate von etwas mehr als 70 AutorInnen vorgestellt. Den Zitaten gibt Young ihre Rezepte zur Seite.

Ihre Entdeckungsreise beginnt mit Frühstück, die Pausenzeit wird ausgelassen, das existiert offensichtlich nicht im anglophonen Lebensraum, dafür eine Mittagspause, die vom Nachmittagstee ‚It’s Teatime‘ abgelöst wird, ehe sie sich dem Abendessen widmet. Dann gibt es nur noch Partys & Feste sowie Weihnachten. Den Auftakt macht Mary Lennox, ein Mädchen, das in Indien aufwächst, ihre Eltern verliert und zu Verwandten auf das Gut Misslethwaite in England gebracht wird. „Nachdem sie einige Tage lang fast jede Minute draußen verbracht hatte, erwachte sie eines Morgens mit einem Bärenhunger. Beim Frühstück blickte sie nicht verächtlich auf den Porridge hinab und schob ihn weg, sondern nahm den Löffel, fing an zu essen und aß und aß, bis die Schüssel leer war.“ Das ist Kates Ausgangszitat aus ‚Der geheime Garten‘ von Francis Hodgson Burnett. Sie ergänzt es durch ihre persönlichen Gedanken und Erlebnisse zu Porridge, um mit dem Porridge-Rezept abzuschließen. Diese Dreiteilung, literarisches Zitat, persönlicher Bezug und Rezept ist das grundlegende Schema, das sich durch das Buch zieht.

Michael Bond folgt Burnett. „Mit einem kleinen Schlüssel, der ebenfalls an der Schnur um seinen Hals hing, öffnete der Bär seinen Koffer und brachte ein fast leergegessenes Marmeladenglas zum Vorschein. ‚Orangenmarmelade‘, sagte er stolz. ‚Bären lieben Orangenmarmelade.‘“ Sie haben das Kinderbuch sicher erkannt! Ja, es ist, ‚Ein Bär mit Namen Paddington‘. Es gehört auch zu meinen Lieblings-Kinderbüchern. Youngs persönliche Ergänzungen dazu beziehen sich zunächst allgemein auf das, was mit dieser Marmelade alles gemacht werden kann, und dann, was sie selbst bei ihrer Ankunft in England Essensmäßiges im Koffer hatte. Dann folgt wieder das Rezept, also Orangenmarmelade für 3 Gläser. Mit Pippi Langstrumpf lernen wir Schwedische Pfannkuchen kennen, mit E. Nesbit Apple-Pie, mit ‚Der Distelfink‘ von Donna Tartt gibt es Zimtbrötchen usw. Von den AutorInnen kannte ich relativ viele, deren zitierte Werke weniger und dann blieben immer noch einige über, die mir gar nichts sagen. Michael Morpurgo, Mem Fox, Philip Pullman, Banana Yosimoto, um einige dieser Unbekannten aufzuzählen.

Die Zitate hätten ruhig etwas länger ausfallen können. Die Kürze ist schade, denn die Autorin beschränkt sich auf die Kernaussage und das bedeutet Reduktion, manchmal bis hin zu nur einem Satz. „Unterwegs nahm ich in einer Garküche ein Frühstück aus Reis, Misosuppe, eingelegtem Gemüse und Spiegeleiern zu mir.“ Das lässt Haruki Murakami seinen Erzähler Taro in ‚Naokos Lächeln‘ sagen. Dafür ist dann der kulinarische output umso größer, gibt uns doch die Autorin Rezepte von Misosuppe sowie Reis, Mixed Pickle und Spiegeleier zur Hand. Wenige Rezepte sind etwas fragwürdig, wie bspw. das weich gekochte Ei mit Toast, das für Emma und Jane Austen steht. Dabei gibt es durchaus einiges Neues zu entdecken. Die ‚Toad in the hole‘, das sind Bratwürste in Pfannkuchenteig oder das Lamington-Küchlein, die Anzac-Kekse, Spanakopita oder die dreistöckige Birnentorte mit Zitronencreme, ein beglückendes Erlebnis für bis zu 40 Personen. Apropos Spanakopita: Da wird das Rezept durch eine Bilderserie ergänzt, damit nichts beim Spiralisieren des Spinatstrudels schief geht. Es gibt mehrere Fotoanleitungen, vor allem dort, wo es komplizierter wird. Generell sind die Fotos von höchstem Niveau, einige sogar kleine Kunstwerke, so das Schwarze Eis, das in dezentem Schwarzweiß abgelichtet wurde.

Wenn auch Aufwand und Anspruch mitunter stark schwanken, so muss der Autorin zugute gehalten werden, dass sie ihre wunderbare Idee in die Realität umsetzte, hinter der vor allem ein Theorem der Kulinarik steht: Essen und Lesen ergänzen sich wunderbar!

Little Library Cookbook von Kate Young ist ein besonderes Kochbuch. Es bricht eine Lanze für die Literatur und knüpft mit dieser zarte Bande zu vergnüglichem Kochen und Essen. Ein leises Verführbuch abseits von Orgien und Sex. Eine Entdeckungsreise zu teils unbekannten LiteratInnen und ihren Werken mit kulinarischen Belohnungen. Wer sich darauf einlässt, wird nicht enttäuscht werden.

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