Heute reisen wir in die TOSKANA.
Auf der Höhe von La Spezia beginnt wohl Italiens berühmtester Landstrich. Wie eine Pfeilspitze bohrt sich die Toskana in das Schienbein der Apenninhalbinsel, wird umschlossen von den italienischen Provinzen Emilia-Romagna, Marken, Umbrien und Latium. Und wäre nicht das Meer zwischen den Toskanos und Korsen, käme es wohl zum ewigen Kampf um die Vorherrschaft: Wer ist der stolzeste Mittelmeerbürger? Die Toscano jedenfalls sind selbstbewusst aber nicht überheblich. Ihre Region ist Italiens Aushängeschild an Kultiviertheit, die Tischzivilisation quasi das Resultat der Geschichte. Denn im Essen stecken alle Aspekte von Kultur, von der Barbarei bis zur Zivilisation, philosophierte Walter Benjamin. Die ersten Siedler der Toskana liebten das Essen, wie Grabmalereien andeuten. Den Etruskern verdanken wir viele Zutaten: Olivenöl, Kastanienmehl, Hülsenfrüchte, Kulturgemüse, Wein, Honig, wahrscheinlich sogar Prosciutto und anderes. Sie kochten in Kesseln über offenem Feuer, was sie aßen, wissen wir nicht. Das Dreibein, das den Kochtopf über dem offenen Feuer schweben lässt, wird heute noch verwendet. Die Küche der Toskana ist eng mit der regionalen Landwirtschaft verwoben. Käse und Erbsen wurden zwar von der Landbevölkerung produziert, aber die Macht der Vereinnahmung der Zutaten, jener, die über das Wissen verfügten, um sie durch eine einfache Kombination in eine Delikatesse zu verwandeln, hatten die Bewohner der Städte. Italiens Essen ist das Essen der Städter. Bistecca alla fiorentina, prosciutto di parma … Die Feudalherrschaft im Mittelalter führte zur Verarmung und das schlug sich in der Cucina povera, der Armeleuteküche, nieder. Ganz anders entwickelte sich die Küche der Adeligen, die Cucina nobile, wie auf Leonardo da Vincis letztem Abendmahl zu sehen ist. Speisen auf Tellern, mit Gabeln und Blumenschmuck waren da gefragt, eine Etikette, die von Caterina de Medici nach Frankreich exportiert wurde und zur gehobenen französischen Küche avancierte. In der Toskana indes wurde ständig Krieg geführt, was die verschiedenen Regionalküchen auf engstem Raum erklärt.
Nun haben sich Kathi und Giancarlo Candesi aufgemacht, hier ein wenig Ordnung reinzubringen. Sie fuhren durchs Land, sprachen mit Köchinnen und Köchen, Verwandten und Bekannten über Essen und sammelten fleißig Rezepte. Herausgekommen ist TOSKANA – authentische Rezepte aus Italien, das bei Südwest erschienen ist. Die Caldesis sind Koch-Profis. Giancarlo zudem ein Toscano, der nicht nur von seiner Mutter den Dreibein mit Suppenkessel erbte, sondern auch die Einstellung: Hab Geduld, immer mit der Ruhe. Einkaufen direkt beim Erzeuger und das Ragù so lange wie möglich auf kleinster Flamme schmoren lassen, ist das Grundprinzip. In der Einleitung skizzieren sie die historische Entwicklung der toskanischen Küche. Dann widmen sie sich den Küchengeheimnissen, die vor allem der Zeit und der Frische der Produkte geschuldet sind. Da werden die Spezifika bestimmter Grundprodukte, also Olivenöl, Blattgemüse wie Mangold und Spinat genauso vorgestellt wie Techniken und Basiswissen. Dazu gehört die Frage der Salz-Dosierung, die Zubereitung verschiedenster Brühen vom Fasan bis zur Garnele, das Bohnenkochen oder Zuschneiden einer Catouche, das ist quasi ein Papiermantel. Nun erst geht es ans Eingemachte. Die ersten zwei Kapitel handeln von Frühstück und Mittagessen. Aperitivo als Zwischendrin oder Vorgeplänkel zu den Hauptgerichten ist das dritte Kapitel. Während das vierte, die Hauptspeisen, von den Beilagen abgelöst wird, den Schluss bilden die Desserts.
Ob mit Bolbis Eiern, Pflaumenmus, Crostini mit Feigen, Blätterteigpastete, diversen Salaten, Pasta mit Venusmuschel, Putenbrust gefüllt, Emmersuppe, Gnocchi mit Grünkohl, Wildschweineintopf und vielem mehr, mit den Rezepten aus dem Toskana-Kochbuch werden kulinarische Glücksmomente erfüllt.
Beispiele gefällig? Graciellas Pflaumenmus schmeckt köstlich zum Frühstück – ob mit Joghurt verrührt oder einfach auf‘s Toastbrot gestrichen. Den Florentiner Kuchen, der vor allem zur Karnevalszeit in den Konditoreien der Stadt angeboten wird, umweht feinster Orangenduft. Und für jene, die Getreideeiweiße nicht vertragen, bieten die Caldesis eine Variation des Kuchens mit glutenfreiem Teig. Sehr bodenständig und dem französischen Ratatouille ähnelnd, ist das Ragù aus Zucchini und Tomaten. Bestens bewährt als schnelles Mittagessen, aber auch als saftige Beilage zu gegrilltem Fisch. Herzhaft von Geschmack und mit Olivenöl veredelt ist Tizianas Linsensuppe, wobei der beigefügte Mangold den Linsengeschmack etwas abfedert. Feudal und stilvoll dagegen sind die Eindrücke, wenn in einer größeren Runde der Rindfleischeintopf mit Steinpilzen & Chianti im Kessel über offenem Feuer zubereitet wird. Serviert wird er mit cremiger Polenta und dem restlichen Rotwein. Das weckt heimelige Gefühle und lässt die Gruppe enger zusammenrücken. Zuviel versprochen? Nun, da gab es noch einen Klassiker aus Lucca, der mich überraschte. Die süße Tarte mit Mangold ist nicht zu beschreiben, was die Geschmacksempfindungen anbelangt, aber freuen Sie sich auf den Gesichtsausdruck von Nachbarn, Freunden und Verwandten, die Sie zu dieser Tarte einladen! Aber das Rezept, das Rezept, das ich Ihnen am Ende der Sendung mitgebe, ist ein Kanincheneintopf. Und wenn Sie sagen, nee, es kommt mir kein Hase, kein Kaninchen in die Küche, dann probieren Sie es einfach mit Hühnerteilen. Dazu gibt es Mangold oder Spinat, einfach gut, und ein Gericht, das für mich zur Toskana gehört wie das Ei zur Henne.
Aber nicht nur die Rezepte verzaubern die TOSKANA aus dem Südwest Verlag. Ein japanischer Farbschnitt auf dem Umschlag rückt sanfte Hügellandschaft mit den Pinienalleen ins Blickfeld. Die eingefangenen fotografischen Momente sowie die Gestaltung des Gesamten sind eine Meisterleistung. Ein schönes Kochbuch, das zum Blättern durch die Toskana einlädt, uns Menschen und Landschaften wie auch neue kulinarische Erfahrungen nahe bringt, die man gerne mit anderen teilt.