Kille Enna, AROMA Kochbuch

Fotografien, Texte und Rezepte: Kille Enna
Prestel Verlag, München - London - New York, 2017, 288 Seiten, 30.80 Euro
ISBN 978-3-7913-8282-1
Vorgekostet

Heute reisen wir nach SÜDSCHWEDEN.

Dort lebt Kille Enna, Köchin und Aroma-Spezialistin, eine gebürtige Dänin mit deutschdänischen Wurzeln. Die bemerkenswerte Mitvierzigerin hat sich ganz dem Geschmack und den Gerüchen von Gewürzen verschrieben. Sie ist eine Jägerin aromatischer Botenstoffe, versucht deren Geheimnissen auf die Spur zu kommen und experimentiert mit ihnen in ihrem Aroma-Atelier. Die Frage ist, aus welchen Stoffen werden die aromatischen Essenzen zusammengestellt? Entweder aus natürlichen oder aus künstlichen oder aus Kombinationen von beiden. Im Klappentext ihres jüngsten Buches entnehmen wir, dass es um botanische Extrakte geht. Und so handelt Ennas neuestes AROMA Kochbuch, das im Prestel Verlag erschienen ist, von natürlichen Aromen und Gewürzen in einer riesigen Bandbreite von Kombinationen.

Ennas Kochphilosophie beruht auf der Vorstellung, dass eine einzige Zutat, d.h. Lebensmittel, mit einem Ensemble von Gewürzen gekocht, gebraten, gegrillt oder einfach kalt behandelt wird, das so ein wunderbar neues Geschmackserlebnis entstehen lässt. So simpel, so bestechend ist diese Idee, dass es fast keiner weiteren Erklärung mehr bedarf. Außer jenen FAQ (frequently asked questions), die immer anfallen und auf die die Autorin in ihrem Fragen & Antworten-Kapitel eingeht. Da werden Fragen gestellt: ob die Zubereitungen schwierig oder nicht sind, wovon unterschiedliche Geschmacksmischungen beeinflusst werden, welche Variationsmöglichkeiten es gibt, wie lange die Mischungen haltbar sind usw.. Und soviel sei auch verraten: Es gibt keine ausgefallenen, exotischen Zutaten bzw. Gewürze, die Speisen sind nicht kompliziert und relativ rasch zubereitbar. Was will man mehr. Aber bevor es wirklich losgeht, werden noch Utensilien und Zutaten eingehender vorgestellt. So kurz, so spannend und wichtig sind diese Seiten, dass sie unbedingt gelesen werden sollten. Wie auch der etwas längere Abschnitt Wissenswertes über Gewürze – hinten – nach den Rezepten. Denn da fließt viel von den Aromavostellungen der Autorin ein und das lässt indirekt auch Rückschlüsse auf ihre Denkweise zu.

Zur Veranschaulichung ein Beispiel: Unter dem Stichwort Essig und Öl beschreibt sie, wie unterschiedlich Essigsorten schmecken. „Naturtrüber Apfelessig schmeckt frisch, leicht süß und fruchtig und weniger schneidend als gewöhnlicher Weinessig. Wer es noch süßer mag, sollte nach gelagertem Balsam-Apfelessig greifen.“ Das finde ich eine solide Beschreibung und es sind gut nachvollziehbare Aspekte, die beim Kochen mitentscheiden. Davon wünschte man sich noch mehr. Dann aber geht es los. Mit einer Tabelle erfasst man auf einen Blick alle 50 Schlüssel-Zutaten, also Grund-Lebensmittel, und mit welchen Aroma-Mischungen – von 50 möglichen – sie zubereitet werden können. Das heißt, dass man bspw. für das Grund-Lebensmittel Kürbis 16 verschiedene Aroma-Mischungen anwenden und dementsprechend viele unterschiedliche sinnliche Momente schaffen kann. Das potenziert dementsprechend auch die Zahl der Gerichte.

Zwangsläufig aber bedeutet das auch, dass die Autorin sich teilweise vom klassischen Kochbuchaufbau verabschieden muss. Die Kapiteleinteilungen lauten daher
Blatt- & Kohlgemüse
Winterwurzeln
Aus dem Meer
Fleisch vom Land
Sommergemüse
Aus der Vorratskammer
Reife Früchte
Vom Beerenstrauch

Am Ende des Buches gibt es noch eine Handvoll Menüvorschläge für alle vier Jahreszeiten und ein ausführliches Register, das alle Wünsche bedient.

Ausprobiert habe ich den gerösteten Blumenkohl mit der Aroma-Mischung 2. Die ungewöhnlich große Menge, nämlich drei Eßlöffel Worcestersauce, ließ mich zunächst etwas zögern, d.h. mich in kleinen Schritten immer wieder Saucetropfen in die Aroma-Mischung hineinverarbeiten, bis ich schlussendlich doch bei drei Löffeln ankam – das habe ich nicht bereut. Dieses Rezept hat mir jedenfalls den Blumenkohl neu erschlossen. Bei dem kurz gebratenen Spinat mit der Aroma-Mischung 8 war ich dann schon etwas mutiger und ließ mich nicht abschrecken von der Kombination Palmzucker, Fischsauce, Limettensaft, Fenchel und noch einiges mehr. Herausgekommen ist ein Gericht, das mich an Asien und die Karibik gleichzeitig erinnerte. Auf alle Fälle waren das neue Geschmackserlebnisse, die zum Weitermachen aufforderten und -fordern. Der geräucherte, karamellisierte Kürbis mit der Aroma-Mischung 12 war eine Gemeinschaftsproduktion mit meinem Sohn Benjamin. Wir verarbeiteten gleich eine größere Menge Kürbis als Hauptspeise, die nicht kompliziert und schnell zuzubereiten ist. Die Autorin gibt hier einen Butternut-Kürbis vor. Aber es sollte auch mit Hokkaido oder einem Muskatkürbis funktionieren. Wichtig ist, dass Sie vor dem Verarbeiten vom rohen Kürbis kosten. Bittere Kürbisse enthalten Cucurbitacine und sind für die Küche nicht geeignet. Unser Butternuss-Kürbis war o.k.; festes oranges Fruchtfleisch mit moschusartiger Duftnote. Und dann war die Gewürzmischung bereits in der Herstellung so betörend, dass wir zögerten, sie auf den vorgebackenen Kürbis aufzutragen. Hier ist anzumerken, dass ein Einstechen der Kürbisspalten nach dem Vorbacken die Aufnahme der Essenz ins Fruchtfleisch begünstigen würde. Geschmeckt hat es auch ohne Einstechen wahnsinnig gut und, weil es so gut war, erfahren Sie auch das Rezept. Enna charakterisiert die würzigen Kürbisschnitten als süchtig machend, womit sie völlig recht hat. Cremig in der Konsistenz, vollmundig im Geschmack, fast schon Dessert …

Das AROMA Kochbuch ist ein außergewöhnliches Kochbuch von einer außergewöhnlichen Köchin. Die Veränderung der Perspektive, von den Grund-Lebensmitteln hin zu den Aroma- d.h. Gewürz-Mischungen, lässt neue Erkenntnisse des Kochens und neue geschmackliche Sinneswahrnehmungen zu. Die Autorin versucht das auch graphisch sichtbar zu machen. Jedem Rezept werden vier Seiten gewidmet. Auf der jeweils ersten Seite sieht man die Aroma-Mischung im Mörser, gegenüber ist die Hauptzutat in Großaufnahme abgebildet. Dem folgen das fertig zubereitete Gericht auf dem Teller sowie das Rezept. Da werden dem Rosenkohl, der Karotte, der Makrele, dem Huhn, dem Spargel, den Kichererbsen, dem Apfel, der Stachelbeere und 42 weiteren Zutaten viel Bild-Raum gegeben. Diese sinnlichen Abbildungen sind praktisch die Vorstufe zu den Geschmacksaromen, die sich beim Kochen entfalten und vor allem beim Verzehr der Gerichte erfahrbar werden. Jedes Rezept, jede Aroma-Mischung ist wie eine Wegbeschreibung in unbekannte Geschmacks-Kontinente des Kohlgemüses, der Winterwurzeln, des Fleischs vom Land usw. Wer sich darauf einlassen kann und will, dem tun sich viele neue Genusserlebnisse auf. Wohltuend hebt sich Ennas AROMA Kochbuch aus den unzähligen Neuerscheinungen am Kochbuchsektor hervor.

Leave A Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert