Heute geht es ins RHEINLAND.
Nein, nein, es geht in die Alpen. Wie? Nun, es geht in die rheinischen Alpen (oder ins älpische Rheinland) und deren Küche. Und wo liegt das? Nach Konrad Beikircher liegt das zwischen Bruneck und Bonn. In der ersten Stadt wurde er geboren und in der zweiten lebt er heute noch, nachdem er vor 50 Jahren dorthin zog. Also ist Beikircher heute mehr Rheinländer als Südtiroler, aber auch das ist relativ. Jedenfalls schaut er den Rheinländern gern aufs Maul und verwurschtet sprachlich das Wesen des Rheinländers an und für sich gekonnt in seinen Kabarettprogrammen. In Wie isset? … Jot! – Neues zwischen Himmel un Ääd. (1997) – so betitelt einer seiner bekanntesten Kleinkunstauftritte – nimmt er den Düsseldorfer genauso aufs Korn wie den Heringsalat, die rheinsche Frohnatur ebenso wie Rap und ein bisschen Beethoven. Damit ist der Aktionsradius abgesteckt, der sich gut auch auf sein neuestes Werk, Die original rheinische Alpenküche übertragen lässt. Darin wird alte und neue Heimat gesucht und gefunden in anekdotenhaften und kulinarischen Ergüssen. Von haikuhaften Bonmots, absatzlangen Pointen bis zu ganzseitigen Abhandlungen über die rheinische und alpenländische Küche reichen Beikirchers mehr oder weniger amüsante Betrachtungen. Da heißt es etwa Lachen hat beim Essen noch nie geschadet! ein Lebensmotto, dem man nur beipflichten kann. An anderer Stelle umgarnt er Ile flottante, eine Vanillecreme mit Schneeinseln mit folgenden Zeilen:
Der Admiral, der Admiral
trägt einen bli-bla-blauen Schal. Er steht auf einer Insel,
er rührt mit seinem Pinsel Vanillecreme, Vanilleschot‘, jetzt ist sie gelb, erst war sie rot. Dann läuft auf kessen Sohlen
der Günther Eier holen,
dann kommt ratzfatz Zitrone, es geht leider nicht ohne. Zuletzt noch aus dem Drucker
Schneeweiß und Schaum und Zucker. Und schon ist unser Admiral
fürs Festdessert die erste Wahl.
Derartige Dichtungen ergänzen die meisten Rezepte und lockern damit diese eher kochtechnisch geprägten Seiten schön auf. Nicht immer schätze ich den Witz, der manchmal etwas derb daher kommt, wie im Geschmacksvergleich von Trüffel und Socken pubertierender Jünglinge.
Dem Rotkohl mit Kirschen beigestellt ist ein allseits bekanntes, leicht geändertes Kinderlied
Rot, rot, rot
sind alle meine Kleider
Rot, rot, rot
ist alles, was ich hab.
Darum lieb ich alles, was so rot ist,
weil mein Schatz ein Rotkohlzüchter ist.
Beikirchers Schatz ist allerdings keine Gärtnerin, vielleicht gartelt sie in ihrer Freizeit, das weiß ich nicht. Nein, Anne,die Gattin Konrads, ist Malerin und Glaskünstlerin und für die Rezepte in diesem Buch zuständig. Und weil der Anteil an Rezepten mindestens die Hälfte des Gesamten ausmacht, ist nicht nachvollziehbar, warum Anne nicht ebenbürtig neben Konrad auf dem Titelblatt angeführt wird. Sie finden wir, kaum zu erkennen, klein und beiläufig zusammen mit dem Fotografen kursiv gesetzt wie eine Fußnote.Ist das Korinthenkackerei (wie meine bessere Düsseldorfer Hälfte zu viel Genauigkeit zu bezeichnen pflegt) Keineswegs, denn zusammen mit den Fotos machen die Rezepte mindestens 2/3 des Kochbuchs aus und wo bleibt da die Gender-Gerechtigkeit? Aber lassen wir das so stehen.
Anne Beikircher ist nun jene Akrobatin, die den Spagat schafft zwischen Südtiroler und Rheinländer Küche. Klar, sonst hätte es Konrad auch nicht solange in der Fremde ausgehalten. Beiden Küchen inhärent sind herzhafte, deftige Gerichte. Die Hauptrolle spielen Gemüse wie Kohl, Sauerkraut, Kartoffeln sowie Graupen oder Rollgerste, Dinkel, Buchweizen aber auch Blutwurst oder Flönz, wie die Rheinländer dazu sagen. Wir finden also darin eine Vielzahl an Gerichten, die sowohl in Südtirol als auch im Rheinland auf dem Esstisch stehen. Nur heißen sie anders. Was für die einen die Kartoffelpuffer ist für die anderen Reibekuchen. Ob Quarkklöße oder Topfenknödel, ob Vinschger Paarlen oder Kölner Röggelchen bzw.hier im Buch das Katharinenbrot, die Zutaten weichen kaum voneinander ab. Das Roggen-Sauerteig-Brot ist einfach gemacht und mit Koriander, Anis, Fenchel und Kümmel gewürzt erinnerte es, frisch aus dem Ofen, an den bei uns geliebten Schwarzen Wecken. Viele Rezepte Anna Beikirchers haben Südtiroler Wurzeln, die phantasievoll erweitert neue kulinarische Erlebnisse bescheren. So auch die Graupen- oder Gerstsuppe, die mit Möhren respektive Karotten und Fluskrebsen zu einem feinen Süppchen angereichert wird, das sogar in den Gourmettempeln der Düsseldörfer Kö serviert werden könnte. Der Horizont der Köchin des Hauses Beikircher ist allerdings nicht auf das Rheinland bzw. Südtirol begrenzt. Sie kreiert auch Speisen wie den Tafelspitz aus dem monarchistischen Wien oder den Weinschaum mit sizilianischem Marsala, hier Rheinische Eiersuppe genannt, allgemein bekannter als Zabaione. Die Autorin serviert neben Bekanntem immer wieder Neues das, und das ist das Besondere an diesem Kochbuch, eine sehr persönliche Note in der Zubereitung enthält. So wird bspw. die Ääzezupp, die klassische Erbsensuppe, mit Kokosmilch und Garnelen asiatisch angehaucht zu einer wahren Köstlichkeit. Wie überhaupt die rheinische Küche das Süße mit Saurem verbindet. Auffällig ist, dass das bekannte einfache Gericht Himmel un Ääd, das ist Kartoffelbrei mit Apfelmus, ebenso fehlt wie die rheinische Leber. Angemerkt sei auch, dass die Südtiroler Küche in diesem Kochbuch dominanter ist.
Nachgekocht habe ich auch das Rote-Bete-Carpaccio, allerdings die Ronen dünner als 4 mm geschnitten, das sich zu einem wahren Vorspeisenrenner entwickelte. Eine Überraschung bezüglich Einfachheit und Geschmack war für mich der Kohlstrudel; das Rezept ist geordert.
Zusammenfassend stelle ich fest, dass Die original rheinische Alpenküche ihrem vom Titel ableitenden Anspruch nur teilweise gerecht wird. Oder wie meine Düsseldorfer Freundin Pea meinte: Das Buch ist gut, der Titel ist falsch. Einen wesentlichen Anteil für die Qualität dieses Kochbuches haben die wunderbaren Fotos von Klaus Arras.