Leah Hyslop, Made in London

Das Kochbuch

Fotos von Martin Poole
Übersetzt aus dem Englischen von Ulrike Kretschmer
Südwest Verlag, München, 2020, 304 Seiten, 25.70 Euro
ISBN 978-3-517-09782-4
Vorgekostet

Heute reisen wir nach LONDON.

Diese Stadt verdankt ihre Existenz dem Fluss. Manche behaupten sogar, dass die Themse London ist, quasi seine Verkörperung in flüssiger Form, sein Wesen, sein Schutzgott. Soweit wollen wir nicht gehen und halten uns an den Lyriker John Masefield, der von ihr als von „der großen mit Wasser gepflasterten Straße“ sprach. Sie war die wichtigste Lebensader. Keine Stadt der Welt war so abhängig von ihrem Fluss wie London von der Themse. Sie war Markt, Hafen und Highway und verlieh der Stadt ihre Größe und Würde. An der Themse stehen auch die meisten großen Baudenkmäler der City. Interessanterweise schenken die Londoner ihrer Themse kaum Beachtung. Sie überqueren sie, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Nur wenige spazieren entlang ihrer Ufer und auf den Fluss wagen sie sich auch nicht. Vielerorts des Stadtgebiets, selbst in den Vierteln direkt am Ufer, bekommt man sie kaum zu sehen. Hin und wieder blitzt sie zwischen den Gebäuden auf. Und doch strömt der Fluss durch die Sprache und wir legen sprechend in jedem denkbaren Kontext Zeugnis von seinem Einfluss ab, behauptet Peter Ackroyd. Und für Leah Hyslop wird der Fluss zur Metapher. Essen und Trinken mäandern wie die Themse durch Londons Geschichte, behauptet sie und begibt sich auf kulinarische Spurensuche in der gefräßigen Metropole des United Kingdom. Ihr Kochbuch Made in London ist im Südwest Verlag erschienen.

In der Einführung gesteht Hyslop, eine gebürtige Londonerin, dass es schwierig ist, der Stadt ein typisches Gericht zuzuordnen. Und vergleicht die Küche mit der Architektur der Stadt, wo sich Fachwerkhäuser aus der Tudorzeit und normannische Kirchen an spiegelnde Wolkenkratzer schmiegen. Übersetzt heißt das, hier schichten sich neue Traditionen nonchalant auf alte, und man weiß spannenderweise nie ganz genau, was man bekommt. Aber auch das lässt sich auf einen Nenner bringen und zwar: Kreativität. Die Geschichte Londons und seines Essen ist geknüpft an die Römer, an jüdische Einwanderer aus Portugal und Spanien im 17. wie auch an karibische Immigranten im 20. Jahrhundert. Letztere steuerten die Kochbanane bei. Mit den Juden kam der gebratene Fisch, mit den Hugenotten die frittierten Kartoffel und beides zusammen verschmolz zu Fish and Chips. London ist immer hungrig. Hyslops Kochbuch feiert all die kulinarischen Freuden, die die Stadt zu bieten hat. Es ist eine lukullische Reise in sieben Kapiteln, die sich am Tagesverlauf orientiert. Vom Frühstück über Lon-Dinner bis London bei Nacht und London flüssig. Nicht vergessen werden Vorspeisen, Fünfuhrtee und Desserts. In diesen Abschnitten eingebettet ist nun jede Menge an Rezepten, über 100. Aber nicht irgendwelche, nein, es sind raffinierte, wohlschmeckende Gerichte und Drinks, die die Autorin von den zur Zeit bekanntesten KöchInnen und Barkeepern der Londoner Spitzengastronomie hier präsentiert. ‚The Wolseley‘, ein elegantes Cafe neben dem Ritz, serviert uns zum Frühstück Grapefruit mit Karamellhonig auf Kardamom-Ingwer-Joghurt. Yotam Ottolenghi beehrt uns mit einem Porridge mit schwarzem Reis und Kokos, das, mit einem Klecks Joghurt und Früchten gekrönt, nicht nur ein eyecatcher ist. Natürlich geht es beim englischen Frühstück nicht zimperlich zu, was sich schnell auf der Waage zeigt. Aber das Omelett Arnold Benett sollte man zumindest einmal gekostet haben. Der Schriftsteller Benett, für den dieses Gericht 1929 im Hotel Savoy erfunden wurde, mochte es so sehr, dass es auch auf Reisen jeden Tag für ihn zubereitet wurde. Nicht auszudenken, wie ich aussehen würde, müsste ich jeden Tag … Aber Leah hat da einen guten Tipp parat. Das Omelett macht sich mit Brot und einem Kressesalat auch als Abendessen gut.

Die Abteilung Vorspeisen & Snacks bedient vor allem die Eiligen, die das Bild der wuseligen Stadt verkörpern. Immer in Bewegung, immer drängeln, das kostet Energie. Dafür gibt es kleine Happen, die dann bis zum Abendessen anhalten.

Neu für mich war das Rübensirupbrot. Spannend, weil es, mit Natron und ohne Hefe gemacht, nicht seifig schmeckt. Ein dunkles Brot, das morgens mit Marmelade, abends mit Creme fraiche und geräucherter Forelle schnell aufgegessen war. Für Zwischendurch reicht eine Schnitte, die, mit gesalzener Butter bestrichen, herrlich schmeckt.

Überzeugt hat mich auch der Blumenkohl-Schawarma mit pikanter Butter, Granatapfel und Pinienkernen. Ein Gericht, das zeigt, dass in der englischen Küche, die früher fleischdominant war, ein Umdenken stattfindet. In den letzten Jahren avancierte das Gemüse zum Star auf dem Teller, behauptet Hyslop. Der im Ganzen geröstete Blumenkohl ist zur Zeit der Hit im marrokanisch inspirierten ‚Berber & Q’. Wer keinen Grill hat, kann den Karfiol auch im Backofen rösten.

Nicht entkommen wir in London dem Fünfuhrtee, der zu dieser Stadt gehört wie der Big Ben. Eine Tradition, die ins frühe 19. Jahrhundert zurückreicht und angeblich von Lady Anna Russell eingeführt wurde. Ob London Cheesecake oder Wood-Street-Kuchen gereicht wird, ich bevorzuge Scones. Die Aromen der Zitronen-Lavendel-Joghurt-Scones sind betörend. Diese, mit Clotted Cream serviert, erfüllen meine Ansprüche an den Fünfuhrtee perfekt. Apropos Clotted Creme – schade, dass die Autorin kein Rezept für diese eingedickte Schlagsahne beisteuert.

Einem großen Schlemmer, der in seinen Tagebüchern einen faszinierenden Einblick in die Londoner Essgewohnheiten des 17. Jahrhunderts gibt, ist Samuel Pepys’ Kaninchenragout (Seite 194) gewidmet. Pepys vergrub in seinem Garten Wein und Parmesan, um sie vor den Flammen des Großen Brands 1666 zu retten. Das Kaninchen, kombiniert mit Rotwein und Parmesan, schmeckt sensationell gut. Ich habe mir mit diesem Rezept vorgenommen, mit Freunden einen Pepys Abend zu gestalten. Im Mittelpunkt steht das Kaninchenragout, flankiert von gelesenen Passagen aus Pepys Tagebüchern und als Abschluss gibt es einen Tom Collins, einen spritzigen Cocktail, der sich ideal für heiße Sommertage eignet, aber auch für heiße Diskussionen.

Leah Hyslops Kochbuch Made in London liefert nicht nur viele Rezepte. Es stecken sowohl historische Informationen als auch persönliche Notizen über Londons City im Vorspann der Rezepte. Eine Fundgrube an Wissen und amüsant zu lesen. Jedem Kapitel ist zudem ein spezieller Exkurs mit kurzen Beschreibungen und Adressen für Schokoladefans, Käsefans, Lebensmittelmärkte, Cocktail-Bars, historische Restaurants, Bäckereien oder die besten Coffee-Shops Londons eingefügt. Jeweils sichtbar gemacht auf doppelseitigen Kartenausschnitten, in welchen sich die Themse als dominante Orientierungshilfe schlängelt. Zudem gesellen sich kurzweilige Abhandlungen über berühmte gastronomische und historische Ereignisse, wie das städtische Ginproblem von 1729-51, sowie die Picknicks an Themsestränden, auch Londons Chinatown oder, über ein winziges italienisches Café, dem Pellicci, das sich den Immobilienhaien und den Modernisierungswellen bis heute standhaft widersetzt hat. Made in London ist also mehr als ein Kochbuch. Es ist ein Führer durch Londons Gastrowelten. Es ist eine hommage an die Themse, an die Menschen, die dort leben. Es ist ein Bummel durch vergangene Zeiten zum Heute, an Orte, an denen einerseits die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, andererseits demonstrieren sie den Fortschritt. Weil dort traditionelle Gerichte mit Neuem verschmelzen, die die Aromen der Welt aufnehmen.

Layout und Fotos spiegeln das Flair dieser Weltstadt. Und wenn Sie in Ihrer Küche Chelsea Buns oder frittierten Seebarsch mit Thai-Salat oder East-End-Bagels oder was auch immer à la Made in London zubereiten, dann genießen Sie London.

P.S.: In Zeiten von Corona die ideale Vorbereitung für den nächsten London-Trip!