Leah Koenig, DAS JÜDISCHE KOCHBUCH

Mit einem Vorwort von Julia Turshen
Aus dem Englischen übersetzt von Martina Walter, Manuela Schomann und Wiebke Krabbe
Phaidon im ZS Verlag, München, 2020, 432 Seiten, 41.20 Euro
ISBN 978-3-947426-12-6
Vorgekostet

Heute reisen wir in die Welt der JÜDISCHEN KÜCHEN.

Genauer: Wir reisen zu Menschen, die ihr Zuhause verlassen mussten, besuchen sie in ihrer Küche in der Diaspora. Schon ist klar, wer gemeint ist: Juden in der Fremde, zerstreut in aller Welt. Mitgenommen haben sie ihre Rezepte, denn Essen erinnert sie daran, wer sie sind und woher sie kommen. Jede Mahlzeit, die eine Jüdin oder ein Jude irgendwo auf der Welt zu sich nimmt, schreibt Julia Turshen, ist gewissermaßen der Versuch, irgendwohin zurückzukehren. Dabei ist die jüdische Küche nicht geographisch definierbar. Sie ist eine Angepasste, eine durch Veränderung Geformte, in welcher sich Sehnsucht und Erinnerung spiegeln. Mit anderen Worten – es gibt viele jüdische Küchen. Ihre Gerichte sind stark regional geprägt und zugleich global. Ein Alleinstellungsmerkmal. In ihren Speisen weht ein besonderer Geist, eine Überlebens-Kultur und der Glaube. Das Mitgefühl für Flüchtlinge in aller Welt ist spürbar und das bedeutet, dass jüdisches Essen für alle da ist. Nur durch Teilen wird die jüdische Küche überleben. Mehr noch, sie wird zur Friedensstifterin, denn über die Einladung, am Esstisch Platz zu nehmen, kommen die Menschen ins Gespräch. Fast philosophisch stimmen diese Betrachtungen von Julia Turshen. Sie formulierte das äußerst kluge Vorwort für Das jüdische Kochbuch, das bei Phaidon im ZS Verlag erschienen ist.

Verfasst hat dieses umfangreiche Konvolut über die jüdische Küche Leah Koenig. Koenig ist eine Sucherin. Viele Jahre widmet sich schon den Geschichten und Rezepten der internationalen jüdischen Kochkultur. Sie spürt den historischen Zusammenhängen nach, die teilweise zurückreichen bis in biblische Zeiten. Einer Küche mit jahrtausendealter Tradition und enormem Buntheit an Zutaten, Gerichten und Gewürzen aus aller Welt. Die Autorin stellt sich der gewaltigen Herausforderung, und bildet die jüdische Küche aus aller Welt im Heute ab. In über 400 Rezepten erzählt sie, von wem sie – die Juden – abstammen und macht uns gleichzeitig mit den Apologeten der unzähligen jüdischen Communities bekannt. Einleitend bemerkt sie, dass es leichter ist, sich jüdisches Essen schmecken zu lassen, als es zu beschreiben. Fragt man Leah Koenig, Wie definiert man eigentlich jüdische Küche? so lautet ihre Antwort: Das hängt davon ab, wen man fragt. Und es gibt viele Antworten. Weil viele Menschen in diesem Kochbuch zu Wort kommen – mit ihren Festgerichten sowie Alltagsspeisen.

Verteilt auf 11 Kapitel werden vor allem Rezepte von den aschkenasischen und den sephardischen Juden sowie der Mizrachims, also Juden des Nahen Ostens und Nordafrikas, vorgestellt. Alles in allem eine sehr runde Aufteilung, die sich in den Arten der Gerichte wie Eingelegtes und Vorspeisen, Suppen & Eintöpfe, Gemüse & Getreide, Frittiertes und Herzhaftes, Nudeln & Kugel splittet. Dazu kommen dann noch Frühstück, Brot, Hauptgerichte, Gebäck & Plätzchen, Süßigkeiten & Desserts sowie Relishes, Würzmischungen & Getränke. Darüberhinaus unterscheidet die Autorin die Rezepte noch nach milchfrei, glutenfrei, vegan, vegetarisch sowie Kochaufwand, das heißt, bis fünf Zutaten und bis 30 Minuten. Ein sehr moderner, praktischer Schlüssel.

Beginnen wir also mit dem Frühstück. Den Reigen eröffnen Eiergerichte in unzähligen Varianten. Die Huevos Haminados überraschen nicht nur wegen ihrer rotbraun schimmernden Eierschalenfarbe, sondern vor allem wegen der cremigen Konsistenz des Inhalts. Die Garzeit dieser sephardischen Spezialität beträgt zwischen 8 und 12 Stunden. Dagegen sollte Rührei mit Tomate innerhalb von 20 Minuten tischfertig sein. Eine schmackhafte Kombination von Brot und Ei ist das gebratene Pitabrot mit Rührei. Allein schon der Duft beim Anrösten der Pitawürfel, bevor sie in der Eimasse verschwinden, weckt Vorfreude. Das dazugehörige Pita-Rezept findet sich einige Seite weiter. In Israel habe ich Shakshuka schätzen gelernt. Ein nordafrikanisches Gericht aus pochierten Eiern in pikanter Tomatensoße, von dem es unzählige Variationen gibt. Aber Vorsicht: sobald man davon gekostet hat, will man darauf nicht mehr verzichten. Deshalb kommt Shakshuka bei uns regelmäßig auf den Frühstückstisch und immer schmeckt es ein wenig anders.

Auch zum Frühstück gehört Brot, ein Lebensmittel, das sich aber nicht nur auf diese Mahlzeit beschränkt. In der jüdischen Kochtradition fällt bei Brot sofort ein Name: Challa, ein geflochtener Hefezopf für die gläubigen Juden von großer symbolischer Bedeutung. Er stammt aus Osteuropa und wird seit Jahrhunderten nach immer gleichem Rezept gebacken. Challa ist ein Mittelding zwischen Brot und Kuchen und wird zum allwöchentlichen Schabbat-Ritual gereicht. An Festtagen kommen mancherorts noch Rosinen hinein. Aber es gibt noch viel mehr Varianten. Bspw. Challa mit Kartoffeln oder Challa mit Reis, um zwei zu nennen. Koenig bemüht in diesem Brotkapitel nicht nur Klassiker sondern nimmt uns mit nach New York, Montreal und Jerusalem, um Bagels zu kosten in unterschiedlichster Ausprägung. Aber auch nach Georgien, wo Brot mit roten Bohnen gebacken wird.

Wir überspringen nun das Vorspeisen-Kapitel und auch andere, schauen zuerst kurz bei den Suppen vorbei. In Israel ist die orange Suppe eine beliebte Alltagskost. Sie erhält ihre Farbe nicht von Zitrusfrüchten, sondern von verschiedenen orangenen Gemüsesorten wie Karotten, Süßkartoffel und Kürbis. Mit einem Klecks Joghurt serviert ist dieses Süppchen nicht nur ein eyecutcher. Aus der Abteilung Frittiertes & Herzhaftes Gebäck empfehle ich ein syrisches Gericht. Hackfleischbratlinge mit Kräutern. Hier finden sich aber auch Falafel oder Sambusak mit Käsefüllung. Sambusak sind Teigtaschen, wiederum mit unterschiedlichsten Füllungen, die im gesamten Orient gegessen werden. Aus den Hauptgerichten pickte ich mir den recht unscheinbaren Kartoffel-Ei-Schichtkuchen heraus. An ihn knüpfen vor allem ungarische Juden offenbar viele Erinnerungen. Klar, findet sich doch sehr viel edelsüßer Paprika, mit saurer und süßer Sahne vermengt, in diesen Auflauf. Jedenfalls waren ich und meine Freunde von diesem einfachen Seelenfutter begeistert.

Gerade in Zeiten von Covid-19 buk ich für zwei, drei Krankenhausstationen einige Kuchen aus diesem Kochbuch. In gewissem Sinne ein kleiner Solidaritätsbeitrag. Dabei stellten sich vor allem zwei Kuchen als absolute Sieger heraus. Der Lekach, ein Honigkuchen ist von unscheinbarem Äußeren. Bereits beim ersten Bissen ist man überrascht, wie leicht und fluffig dieses Gebäck ist. Und dann ist da noch der Apfelkuchen, der in der Beliebtheitsskala ganz oben rangiert. Ich war aber vor allem erstaunt über die Apfelmenge, die in dem Teig fast spurlos untertaucht. Und es sind die Äpfel, die diesen Kuchen reichlich mit Feuchtigkeit versorgen und ihn saftig und weich werden lassen.

Natürlich finden sich in Koenigs Kochbuch bekannte jüdische Rezepte wie Gefilte Fisch, diverse Kugel-Gerichte, Latkes-Variationen und anderes. Aber es sind viel, viel mehr unbekannte Gerichte darunter, die es zu entdecken und verkosten gilt. Aber was am meisten verblüfft, ist die Einfachheit der meisten Rezepte. Zudem lassen sich einige mit wenigen Änderungen der Zutaten an individuelle Geschmacksvorlieben anpassen. Das jüdische Kochbuch von Leah Koenig ist ein Füllhorn an Schmankerln, ein Kochbuch das unserem modernen Lebensstil sehr entgegenkommt und wegen seiner Reichhaltigkeit animierend wirkt. Das Geheimnis der jüdischen Küche liegt wohl auch in der Tradition, die sich allerdings beim Kochen ständig an die Gegenwart anpasst. Dieses Buch kochend zu durchforsten kommt einer kulinarischen Weltreise gleich. Was will man mehr?