Lisa Wieland, BACK TO THE ROOTS

Fotos von Elias Jerusalem
Verlag Johannes Heyn, Klagenfurt, 2019, 288 Seiten, 39.90 Euro
ISBN 978-3-7084-0629-9
Vorgekostet

Heute reisen wir nach ENGLAND.

In London besuchen wir Lisa Wieland, eine junge Köchin, die mit ihren 28 Jahren bereits auf eine atemberaubende Karriere zurückblicken kann. Am Anfang verbrachte Klein-Lisa viel Zeit in Oma Ingrids Küche. Ingrid Wieland betrieb in einem Kärntner Bergdorf ein Landgasthaus. Dort wurde mit lokalen Produkten gekocht, natürlich viele aus dem eigenen Garten, und man achtete und schätzte saisonale Qualität. Das prägte die Enkelin und weckte bei ihr das Interesse fürs Kochen. Nach der Kochlehre auf der Turracher Höhe beim Hochschober ging es zum ersten Mal in die weite Welt: nach London, von dort nach Mallorca, dann nach Dubai und weiter über den großen Deich nach Beverly Hills, hinein in die Traumfabrik Hollywood. Zusammen mit Wolfgang Puck kochte die Hüttenbergerin für die Oscar-Verleihung. Puck schaffte in der Gastronomie das, was Schwarzenegger im Film- und Politmetier erreichte. Mehr noch. Er ist nicht nur weltberühmt; er baute ein Restaurant-Imperium mit über 5.000 MitarbeiterInnen auf.

Und Lisa Wieland ist heute die Küchenchefin des Londoner Nobelrestaurants CUT at 45 Park Lane von Wolfgang Puck. Dort herrschen andere Gesetze, vor allem preislicher Natur. Ein Omelette kann da schon 24.- Euro kosten, aber das soll uns hier nicht beschäftigen.

Unser Augenmerk gilt Lisa Wieland. Ihre Herdstationen zeigen vor allem, wie breit gefächert ihre Kocherfahrungen bereits sind. Dabei vergisst sie nicht ihre Wurzeln. Den Beweis angetreten ist sie mit einem Kochbuch, ihrem ersten. Back to the roots, im Verlag Johannes Heyn eben herausgekommen, ist eine Zäsur; ein Rückblick auf Omas Rezepte, verfeinert mit internationalem Flair.

In vierzehn Kapiteln, die ident sind mit Produktgruppen, werden etwa 70 Rezepte vorgestellt. Also rund fünf pro Produkt, dazu kommen noch einmal 70 Basisrezepte am Ende des Kochbuchs. Die Zugänge sind klassisch wie Fisch, Meeresfrüchte, Gemüse und Obst. Dann splittet Lisa bspw. Fleisch in Rind, Schwein, Lamm, Wild und Geflügel auf und führt noch zusätzliche spezielle Abschnitte ein, wie Milch, Pilze, Eier, Honig und Kräuter. Dieser Ansatz rückt Produkte in den Mittelpunkt, die in Kochbüchern eher vernachlässigt sind, meist nur als Teil eines Gerichts aufscheinen. Denn ihr geht es auch um das Ernährungsbewusstsein in all seinen Facetten. Obst und Gemüse aus biologischem Anbau, Eier von Freilandhühnern usw. Diese Überlegungen wie auch ihr Kampf gegen billiges, krankmachendes Junkfood sind ihre Philosophie und Strategie. Und sie gibt vorab einen Einblick in ihre Grundsätze, wie die Gerichte entstehen. Frisches vom Markt, das Hauptprodukt – sie nennt das ihren „Fang“ – immer in Szene setzen und nicht übertönen, die Beilagen auf den Hauptdarsteller abstimmen, nie mehr als vier verschiedene Geschmacksrichtungen kombinieren. Das sind Faustregeln, die zum kulinarischen Erfolg führen, wenn sie beachtet werden. Einige Einkauftipps runden die Einführung ab.

Betrachten wir nun ein Kapitel stellvertretend für alle anderen etwas genauer. ‚Eier‘ wird mit einer Doppelseite eröffnet, auf der die ‚geschissene Gottesgabe‘, wie eine alte Bäuerin Eier bezeichnete, von Strauß, Ente, Henne, Wachtel im Größenvergleich abgebildet ist. Dann beschreibt Wieland einige charakteristische Merkmale, denn Ei ist nicht gleich Ei. Ein Gänseei ist dreimal so groß wie ein Hühnerei, mit einem viel größeren Dotteranteil, was sich auch im Geschmack niederschlägt. In der Küche spielt Chemie und Physik eine wichtige Rolle, das lässt sich mit einem weich gekochten Frühstücksei schön demonstrieren. Je höher über dem Meeresspiegel ein Ei gekocht wird, desto länger ist die Garzeit. Diese Informationen, ebenso auch die Frage des Alters und der Gesundheitsgefährdung (Cholesterin!), der Produktdeklaration oder die Frage nach der Eignung der Wachteleier geben einen tieferen Einblick in eines der vielseitigsten Nahrungsmittel. In fünf Rezepten spielen dann auch Eier die Hauptrolle. In Tortilla Espanola werden acht Eier zu einem dicken Omelette verarbeitet. Aber es beginnt mit dem Anrösten von Kartoffelscheiben, die, je mehr Eier in die Pfanne eingeschlagen werden, nach und nach verschwinden. Ein opulentes Mahl das mit etwas Aioli und Salat serviert wird.

Für Crème brulée müssen immer noch fünf Eigelb dran glauben, was im Vergleich zur Sahnemasse und der Zuckermenge fast schon nebensächlich ist. Aber immer eine Sünde wert; mit frischen Beeren – himmlisch.

Das pochierte Ei verschlingt sechs Eier plus vier Eigelb. Auf einer knusprigen Scheibe einer Speckterrine wird das dem Mozzarella ähnelnde Ei aufgelegt und halb mit einer Sauce Hollandaise überzogen. Ein Gericht, das man einfach nur betrachten möchte, wäre da nicht dieser verführerische Duft …

Gehaltvoll und interessant sind die Eierdotterravioli. Da werden nämlich 12 Eidotter zwischen zwei Teiglagen eingeschlossen. Zusätzlich fungiert ein verquirltes Ei auf die Teigbahnen gestrichen als Kleber. Dabei erwähnte ich noch nicht wie viel Eigelbe im Ravioliteig stecken. Jedenfalls sind diese Ravioli ideale Proteinkraftpakete für den Muskelaufbau, also für jene, die viel Gewicht heben, wie Ringer und Bodybuilder. Ich versuchte mich daher mit einem Ei-light-Gericht, der Quiche. Lediglich drei Eier kommen hier zum Einsatz. Kein Ei in den Quicheteig, dafür alles in die Füllmasse aus Zwiebeln, Knoblauch, Sahne und Parmesan. Die Quiche mundete ausgezeichnet, zusammen mit einer Sauerrahmsauce ein gelungenes Abendmahl – fanden auch meine Gäste.

Ein Gericht begeisterte mich besonders. Topfenpalatschinken nicht wie herkömmlich bekannt, sondern als Auflauf. Und der Titel verschweigt es, mit dem Topfen wird auch Mangold in die Palatschinken eingeschlagen. Diese werden wie Dachziegel in eine Auflaufform geschichtet und wandern, mit einem Sahne-Eier-Parmesan-Mix übergossen, ins Rohr. Wegen des Topfens und der Sahne und des Sauerrahms ist dieses Gericht dem Milch-Kapitel zugeordnet, obwohl die sechs Eier für den Sahnemix und die sieben Eier im Palatschinkenteig durchaus Ei-Kapitel- Gewicht haben. Hier ist anzumerken, dass Wielands Palatschinken-Rezept eines der besten ist, das ich kenne. Auch wenn nicht die ca. 30 Palatschinken laut Angabe, sondern nur 18 Stück erreicht wurden, was vielleicht auch mit der Pfannengröße zu tun hat, so war die Menge hinreichend, um die Auflaufform zu füllen. Und wären nicht Freunde zu Besuch gewesen, die in den Genuss dieses Auflaufs kamen, ich hätte mich überfressen, so gut waren die Topfen-Mangold-Palatschinken. Das Rezept erfahren Sie am Ende. (Die Topfenpalatschinken funktionieren auch mit Spinat. Wichtig dabei ist, den Spinat gut auszudrücken, soviel wie möglich von der Spinatflüssigkeit abzugießen.)

Für den Zwetschkenfleck, den es nach dem Palatschinken-Auflauf zum Espresso gab, hatte mein Magen keinen Platz mehr. Aber vorsorglich habe ich mir ein Stück für den nächsten Tag beiseite geschafft.

Mein Back to the roots ist inzwischen gespickt mit eingelegten Zetteln, Vormerkungen von Rezepten, die nachzukochen sind. Spinatgnocchi, Ente & Orange vielleicht statt der Martinigans, Lamm & Melanzani und unbedingt die Kalbsbacken.

Wunderbar finde ich auch die vielen Basisrezepte, die manche Überraschung parat halten. Lisa Wielands Kartoffelpüree erinnerte mich an Joel Robuchon. Sein Püree ist ein Wunderwerk von Wohlgeschmack, weil er eine unglaubliche Menge bester Butter einarbeitet, auf 1kg Kartoffeln kommen 250 – 500 g Butter. Wielands Mengenverhältnis: auf 400 g mehlige Kartoffeln kommen 80 g Butter und 80 g Sahne. Dieses Kartoffelpüree als Beilage zu Seezunge – Sie werden staunen!

Abschließend setzt sich die Autorin selbst in Szene. Auf acht Seiten breitet sie ihren Werdegang aus, ganz hollywoodlike – life is life. Und das ist mir ein bisschen zu viel. Den ultimativen Schlusspunkt bilden drei Register, die, alphabetisch auf deutsch und englisch gelistet wie auch kapitelweise zusammengefasst, die Suche nach Rezepten leicht machen. Man findet immer, auch das, wonach man nicht gesucht hat.

Mit Back to the roots ist Lisa Wieland ein guter erster Kochbuch-Wurf gelungen. Alle Texte sind zweisprachig, deutsch und englisch. Der Vorteil: Fast nebenbei erfolgt hier eine Vokabelauffrischung. Mangold heißt chard, garlic cloves sind die Knoblauchzehen usw. Elias Jerusalem, der die Fotos beisteuert, besitzt das Kameraauge für das Wesentliche. Er setzt die Produkte und Speisen so in Szene, dass uns BetrachterInnen das Wasser im Mund zusammenläuft. Auch die Arrangements der Gerichte verdienen besonderes Lob. Allerdings wissen Sie und ich, dass in der Hobbyküche diese Perfektion kaum so gelingen wird. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Deshalb ziehe ich mich jetzt zurück in die Küche. Zwei Hokkaidos warten darauf, zu einer Kürbislasagne verarbeitet zu werden.

Nachsatz:

Von Lisa Wieland dürfen wir sicher noch Überraschungen erwarten. Vielleicht gibt sie im nächsten Kochbuch einige Küchengeheimnisse aus dem Restaurant CUT at 45 Park Lane preis.