Luigi Barbaro, Benvenuti a Casa Barbaro

Meine kulinarische Reise zwischen Wien und Neapel

Storie | Famiglia | Ricette
Texte von Elisabetta De Luca
Fotos von Paul Bica und anderen
Pichler Verlag, Wien-Graz, 2024, 208 Seiten, € 35.-

ISBN 978-3-222-14054-9
Vorgekostet

Heute reisen wir über NEAPEL nach WIEN.

Pozzuoli ist nicht aber fast Neapel; beide Städte verbindet der Golfstrand, berühren sich die Stadtgrenzen, während die Zentren rund 20 km auseinander liegen. Nun, Neapel dürfte für alle ein Begriff sein, indes Pozzuoli nur für Kenner der römischen Geschichte und Cineasten, die wissen, dass Sophia Loren dort aufwuchs. Auch einigen Wienern, die in Luigi Barbaros gastronomischen Etablisments Stammgast sind, könnten von Pozzuoli schon gehört haben, ist doch der Patrone ein Pozzuolitano. Luigi, der unter ärmsten Verhältnissen aufwuchs, absolvierte die Hotelfachschule in Montesanto, um nach kurzen beruflichen Zwischenstopps in norditalienischen Sternehotels in Wien zu landen. Er hatte einen Traum und war bereit, hart dafür zu arbeiten. Familie, Luxus und Exklusivität sich leisten können waren eine Steilvorgabe. Wie das ging ist nachzulesen in Benvenuti a casa Barbaro. Das ist nämlich Luigis zu Papier gebrachte kulinarische Reise zwischen Wien und Neapel, so – etwas flapsig ausgedrückt – der Zwischentitel. Denn das Werk ist stark dominiert von Luigis Lebensgeschichten, seinen Begegnungen mit Größen aus Politik, Wirtschaft und Kultur, aber auch mit Weggefährten und Mitarbeitern. Dazwischen eingeschlossen paketweise Rezepte.

Vierzehn Lebens-Abschnitts-Kapitel und sechs Exkurse in Sachen ‚mangiare‘ definieren quasi das Leben von Luigi Barbaro. Natürlich darf auch ein Grußwort vom ehemaligen Wiener Bürgermeister Michael Häupl nicht fehlen, der herausstreicht, dass Luigi sowohl privat als auch beruflich ein perfektes Vorbild darstelle für Integration auf höchstem Niveau. Ein wichtiges Statement in politisch unsicheren Zeiten und dem Regierungs-Rechtsruck mit Festung Österreich-Vorstellungen. Aber das ist eine andere Geschichte und wird Luigi und seine Familienmitglieder kaum berühren, die fixer Teil der Wiener Gesellschaft sind.

Brot und kleine Bäckereien bestimmen den Alltag in Neapel. Brot, das an jeder Ecke angeboten wird. Die Nahrung der Armen beschränkt sich auf pane bianco (Weißbrot), pane casareccio (ein etwas dunkleres und gröberes Brot) und die kleinen panini lunghi oder runden rosette – die immer frisch sind und köstlich. Brot ist auch in Luigis Erinnerungen fest verankert, ob als Beute bei kleinen Diebereien oder einfach als Duft, der ihn an seine Kindheit erinnert. Dem neapolitanischen Sauerteig- oder Bauernbrot gebührt die Ehre, den Rezeptreigen zu eröffnen. Kein Wunder, ist es in italienischen Restaurants doch üblich, ein Coperto, einen Brotkorb auf den Tisch zu stellen. Tagtäglich wird in Luigis Restaurants frisch gebackenes Brot serviert, dazu etwas Olivenöl. Und wenn Luigi behauptet, dass er erstmals das Originalrezept des typisch neapolitanischen Pane cafone zum Nachbacken verrät, so mag das für ihn stimmen. Aber Neapolitanische Sauerteigbrotrezepte gibt es viele, wahrscheinlich so viele, wie es Neapolitani gibt und das sind Millionen. Nicht mehr so viele Straßenküchen, aber immer noch eine stattliche Anzahl prägen Neapels Stadtbild. Streetfood gilt der zweite Exkurs, der mit Arancini, einem süditalienischen Klassiker, aufwartet. Aber auch mit weniger Bekanntem, nämlich Mozzarella in Carrozza, was übersetzt ‚Mozzarella in der Kutsche‘ heißt. Das panierte Käse-Sandwich in Olivenöl herausgebacken ist ein feiner kleiner Imbiss für Jung und Alt.

Der unternehmerische Durchbruch gelang Luigi 1989 mit ‚La Ninfea‘, dem Nymphchen und etwas anderen Italiener, wie es Christoph Wagner in seiner Gastrokritik durchscheinen ließ. Galt früher im Nymphchen den Gnocchi nero à la cacciatora oder den Ravioli con ricotta e spinaci besonderes Augenmerk, so stehen heute Tintenfisch-Gnocchi in Lachssauce (Gnocchi al nero di seppia in crema di salmone) oder Hummerravioli auf Selleriesauce (Ravioli d’aragosta in salsa di sedano) auf der Speisekarte. Und schon sind wir inmitten von Exkurs 3 und in Wien angekommen, wenn auch die Speisen mediterranen Zuschnitts sind. Ob Safranrisotto mit frischen Garnelen (Risotto di zafferano con gamberi freschi ) oder Marinierte Makrele auf Fenchelsalat und Orangen (Sgombro marinato su insalata di finocchio ed arance), es sind – O-Ton Luigi – edle Gerichte, die den Sternehimmel über Wien leuchten lassen. Was in Exkurs 4 gar noch verfeinert, opulenter, barocker wird, im Ambiente der Trattoria Martinelli im Palais Harrach. Dort präsentiert sich, auf den Tellern verschlankt, eine Haubenküche mit italienischem Flair und internationalen Einflüssen. Rezepte, die gar nicht so aufwändig sind und doch eine eigene, charmante Note verströmen. Es ist die Zitronensauce für die Tagliolini (Tagliolini al limone con caviale beluga) oder die sardischen Fregola und Artischocken, die den Kalbsbäckchen (Guancia di vitello con fregola sarda e carciofi) zur Seite stehen oder der Wolfsbarsch in der Salzkruste (Branzino in crosta di sale) – alles Gerichte mit einer Prise Extravaganz. Daher wird es Zeit, wieder Bodenfühlung zu bekommen, was in der Regina Margherita keine Kunst sein soll. Dort werden Pizzen gebacken mit allen erdenklichen Belegungen. Keine Ur-Pizza wie der im frühen Neapel servierte ausgehöhlte Kanten Brot, in dem man einen Schöpfer Schneckensuppe goss. Puristen würden dieses Gericht auch nicht als Pizza anerkennen, wohl aber die Pizza Margherita, wie sie 1889 von Don Raffaele Esposito im berühmten Lokal Brandi in Neapel präsentiert wurde. Mehl, Wasser und Hefe und eine lange Teigführung, d. h., mindestens 24 Stunden soll der Teig rasten, bis er weiterverarbeitet wird, ist das Geheimnis, das keines ist. Jedenfalls bildet dieser Grundteig die Basis für Focaccia und alle Pizzen, wie auch der Pizza Marinara und Pizza Barbaro, eine Kreation des Chefs höchstpersönlich. Den Abschluss bilden moderne Interpretationen der Cucina Italiana, wie sie wohl in Barbaro’s Ristorante & Bar serviert werden. Es sind Gerichte zum Verwöhnen. Zum Auftakt empfehle ich einen Negroni Spritz, das vorgegebene Negroni-Rezept einfach mit sehr viel Prosecco anreichern. Auch der Hauptgang Ricotta-Spinat-Ravioli mit gebratenem Thunfisch (Ravioli di ricotta con spinaci e tonno) würde mir gefallen, wenn gleich dies zuzubereiten mir nur zu einem besonderen Anlass einfiele. Die Zitronentarte aus Amalfi (Tarte di limone di Amalfi) bekäme mit Amalfi-Zitronen, die fruchtiger und weniger sauer schmecken, wohl erst den besonderen Touch. Schade, dass hier Bild und Beschreibung voneinander abweichen. Allerdings gefielen mir einige der sehr persönlichen Fotos besonders gut: Wie der Opa mit seinen Enkeln Pizza bäckt oder die Momentaufnahme von la famiglia Barbaro und Freunden, einer Nachstellung von Leonardo da Vincis Das letzte Abendmahl.

Benvenuti a Casa Barbaro von Luigi Barbaro findet man Familiengeschichte mit italo-neapolitanischen Rezepten. Die unbändige Lebensfreude des Patrone bildet mit dem Geschmack der mediterranen Küche eine symbiotische Zweckgemeinschaft. Das was der Amerikaner in Paris ist, ist Luigi, der Pozzuolitano in Wien. Er konnte den Wiener Verlockungen einfach nicht widerstehen und blieb. Den Hauptgang dieses Buches macht Luigis Lebensgeschichte aus, eine typisch italienische Selbstinszenierung, wie man sie auch aus italienischen Filmklassikern kennt. Ich hätte mir gewünscht, dass Luigis Erzähldrang auch in seinen Rezepten einfließen würde, manch Hintergründiges über sie erführe. So sind sie einfach Beilage. Wenn sie auch sowohl die normale Alltagsküche wie auch gehobene Haubenküche abdecken, ohne an Zutaten über zu borden. Während Portionsmengen meist angegeben sind, fehlen Zeitangaben völlig. Das sollte aber nicht hinderlich sein, das eine oder andere Rezept auszuprobieren, zumal es doch auch einiges zu entdecken gibt. Etwa das Parmesanei mit gebeiztem Lachs und Zitronenmayonnaise (Uovo al parmigiano con salmone marinato e maionese al limone), das sich mein Sohn zum Geburtstag wünscht.