Heute reisen wir nach KUBA.
Mit Kuba träume ich von schönen, temperamentvollen Frauen, die mit mir in einer Bar Kuba Libre trinken, mit echtem Rum. Im Hintergrund leise die Musik von Buona Vista Social Club. Noch im Halbschlaf höre ich Dr. Hasselbacher sagen: „Sie sollten mehr träumen, Mr. Wormold. In unserem Jahrhundert sollte man der Wirklichkeit nicht ins Gesicht sehen.“ Das war Graham Green, der seinen Mann in Havanna ein streng geheimes Militärlager erfinden lässt und ihn zum Topagenten des MI5 kürt. Einige Jahre später verpufft der karibische Traum in handfesten Krisen, wie die missglückte Invasion der CIA in der Schweinebucht oder der Versuch, russische Atomraketen auf der Insel zu stationieren, die fast zu einem atomaren Weltkrieg führten. Dann versank Kuba in einen realsozialistischen Dornröschenschlaf, aus dem aufzuwachen die Insel seit ein paar Jahren versucht. Heute überschwemmen Touristen dieses Land, das zweimal so groß ist wie Österreich und dessen historische Altstadt Havannas zum Weltkulturerbe erhoben wurde. In diese Stadt zieht es die Suchenden nach dem karibischen Glück. Havanna sei die schönste Frau Kubas, behaupten ihre Einwohner. Auch Lutz Jäkel ist ein Reisender auf der Suche nach dem Traumfoto und dem Traumessen. Zusammen mit Dayami Grasso Toledano erkundete er die Küchen dieses Stadt, der Nase folgend und im Sucher der Kamera das pralle Leben. Eingelullt von Salsaklängen erzählen die beiden Autoren Geschichten von Menschen und deren kulinarische Vorstellungen. Gemeinsam ist ihnen die Jagd nach Lebensmitteln, ein „Spießrutenlauf für eine Mahlzeit“. Deshalb widmen sich Jäkel und Toledano in ihrem Kuba-Kochbuch zunächst dem Salsa und der Vielfalt aus Mangel, also Lebensmittelmangel, der die vorgestellten Küchenchefs kreativ herausfordert. Der Musik und dem Mangel gehören denn auch die ersten Kapitel von The Taste of Havana, das in der Edition Fackelträger erschienen ist. Es ist eine Reise zur echten kubanischen Küche, wie der Untertitel verspricht. Stationen macht das Autorenduo bei einigen ausgewählten KubanerInnen, deren Lebensmittelpunkt das Kochen ist. Kubaner feiern, tanzen und essen gerne.
Da ist Lilliam, eine Modedesignerin, die sich noch im Alter von 50 Jahren neu orientierte und nach brasilianischem Telenovella-Vorbild ein Restaurant aufmachte. Das Paladar, ein familiengeführtes Restaurant, wie es viele gibt, existiert bereits seit 20 Jahren. Ihre Küchenkreationen können den Hang zu Meeresfrüchten und der französischen Küche nicht verleugnen. Aber der Renner ist eindeutig kubanisch; auch das Lieblingsessen der Chefin: Herzhafte Kichererbsen, die mit Kasseler vom Schwein und Gemüse wie Mangold ein wunderbares Gericht ergeben. Dann lernen wir Rodrigo kennen, einen kreativen Koch, der im Restaurant ‚1958‘ arbeitet. Er erzählt von den täglichen Herausforderungen, nämlich das, was auf der Karte steht, auch anbieten zu können, denn gute Lebensmittel sind schwer zu bekommen. Sein Ceviche vom Red Snapper ist inspiriert von der peruanischen Küche. Spannend finde ich auch seine Vorstellung vom Curry- Kokos-Lamm mit Blätterteig. Ein im Teigmantel eingehülltes Ragout, das umwerfend schmeckt.
Mit Nancy tauchen wir dann wirklich in die Seele der Karibik ein. Nancy kocht nicht nur leidenschaftlich, sie ist auch mit den Göttern ihrer afrokubanischen Religion ‚Santeria‘ im besten Einvernehmen. Denn diese sind anwesend in ihrer Küche, und nicht nur das, sie helfen ihr beim Kochen, behauptet jedenfalls Nancy. Jede Gottheit hat ihr eigenes Gericht, ihre eigene Fleischsorte, eigenen Kochlöffel und Kochtopf. Und wehe, es kommt der falsche Kochlöffel in den falschen Kochtopf, dann gibt es ein Unglück. Na gut, das ist eine einfache Erklärung, wenn mal ein Gericht nicht so geworden ist, wie man es sich vorstellt. War ich schon von Nancys Hackbällchen mit Tomatensauce sehr angetan, so haben die Okraschoten mit Kochbanane mich von ihrem Kochtalent restlos überzeugt. Beim Kochen spielte ich im Hintergrund die empfohlenen Musik, von den rutschenden Okraschoten, Quimbombe que resbala, die so lecker schmecken, dass sie von alleine rutschen. Musik spielt in diesem Kochbuch auch eine zentrale Rolle. Nicht nur der eingangs erwähnte Salsa, auch andere heiße, beschwingte Rhythmen von südländischem Flair abzuspielen, wird bei einigen Zubereitungen empfohlen. Und es lässt sich tatsächlich leichter kochen im Dampf heißer Klänge.
Zurück zu Nancy, die mit einigen köstlichen Überraschungen aufwarten kann. Die gebratenen Süßkartoffel werden zusätzlich mit Rohrzucker, den es in Kuba im Überfluss gibt, noch karamellisiert. Und dann verführt eine Melonenfrucht als erfrischender Nachtisch, denn das Papayakompott mit Frischkäse lässt das Aroma von Zimtstange und Sternanis hochleben. Exotisch wird es mit dem Kompott von der Grapefruitpulpe mit Frischkäse. Ja, Sie haben richtig gehört, die Pulpe, also das weiße Fleisch zwischen Schale und Fruchtfleisch, ist die Hauptfigur dieses Gerichts. Insofern ein eher aufwändiges Spektakel, da die Pulpe 8-mal aufgekocht werden muss, damit die Bitterstoffe verschwinden. In manchen Restaurants wird ein Aspirin in das erste Kochwasser gegeben, um die Bitterstoffe schneller abzubauen. Übrig bleibt ein hellrot geliertes Früchtchen, das man probiert haben soll. Aber der Außergewöhnlichkeiten noch nicht genug, bietet Nancy auch das Rezept der zuckersüßen Kokossuppe mit herzhaftem Käse an. Hier stößt ein mittelalterlicher Gauda auf verflüssigte Kokosflocken – und sie verstehen sich, das ist das Erstaunliche. Jedenfalls waren meine Testesser, nachdem ich das Geheimnis erst nach dem Auslöffeln der Suppe bekannt geben hatte, sehr erstaunt über diese Kombination und sehr satt. Von der illustren Schar der vorgestellten Köchinnen und Köche seien noch Arturo und Magaly erwähnt. Erstens ist eine ihrer Spezialitäten der Spanferkelbraten. Die Anleitung, nämlich das gegrillte Spanferkel nach Bauernart, ist abgedruckt. Und zweitens erfahren wir von ihnen einige Saucen, ohne die die kubanische Küche nicht auskommt. Die Grundsauce für Gemüse und stärkehaltige Speisen ist Mojo. Ihr folgen andere Mischungen wie Sofrito, die wir ähnlich aus der mediterranen Küche kennen; dann eine Manioksauce, Kürbissauce, Bohnen-Reis-Sauce, die Moros y Christanos also Mauren und Christen heißt. Hier kommen Saucenliebhaber auf ihre Kosten. Mittlerweile ist die kubanische Küche auf dem internationalen Küchenparkett angekommen, lässt sich inspirieren von der weiten Welt. So entstand die Pizza Napoli a la Kuba von Raul aus Begeisterung für Italien und seine Küche. Kenner, die diese Pizza vor Ort verkosteten, erschmecken den Unterschied im Mozarella, der in Kuba anders schmeckt als in Europa.
Die Liste an wunderbaren Gerichten und kreativen KöchInnen, die dahinter stehen, ließe sich noch lange fortsetzen. Aber das kann jeder selber nachlesen in The Taste of Havana. Jäkel vermittelt uns mit seinen Bildern eine sehr lebhafte, quirlige von Essen begeisterte Stadt und ihre Bewohner. Wer sich dorthin begibt, kann die vorgestellten Lokale aufsuchen und die Gerichte, die er bzw. sie zuhause nachgekocht hat vergleichen. Wunderbar erzählt Jäkel Rührendes und Spannendes über jene Protagonisten, die uns einige ihrer Küchengeheimnisse verraten.
Ein ausführliches Register lässt keine Frage offen, selbst jene Zutaten, die nur auf Kuba erhältlich sind, können ersetzt werden und das erfährt man auf Seite 234 unter Alternative Zutaten. Statt dem schwer erhältlichen Pomeranzensaft nehme man einen Grapefruit-Orangen-Limetten-Mix. Mit The Taste of Havana ist sinnliches Vergnügen vorprogrammiert, sei es kulinarisch mit vielen schmackhaften Rezepten oder musikalisch via Liedertipps oder beim Betrachten der wunderbaren Bilder.