Madeleine Vazquez Galvez, Imogene Tondre, KUBA – Das Kochbuch

Rezeptfotos Sidney Bensimon, Landschaftsfotos Louise Morwgan
Übersetzt aus dem Englischen von Lisa Heilig und Susanne Lück
Phaidon bei ZS Verlag, München, 2018, 432 Seiten, 36.-- Euro
ISBN 978-3-947426-05-8
Vorgekostet

Heute reisen wir nach KUBA.

Im November 2016 versammeln sich am Platz der Revolution in Havanna hunderttausende Kubaner, um Abschied zu nehmen von Fidel Castro. 16 Jahre zuvor sprach Castro auf dem selben Platz in seiner 1. Mai-Rede von der Revolution als das „Gespür für den historischen Moment. Alles zu verändern, was verändert werden muss.“ Aber erst 2011 aktualisierte die kommunistische Partei das kubanische Modell, neben staatlichem Eigentum auch nichtstaatliches, gemeint ist Privateigentum, zuzulassen. Und so entstanden im Laufe der letzten Jahre neben den staatlichen Restaurants viele Paladares, das sind private Wohnzimmer-Lokale. Heute gibt es auf Kuba über 2.800 solche gastronomische Betriebe. Eine Entwicklung, die sich in der Wirtschaftsstatistik niederschlägt. Konkret: die größten Zuwächse an neuen Privatunternehmungen verzeichnen Restaurants, Straßenstände und Cafeterien. Darauf verweisen Madeleine Vazquez Galvez und Imogene Tondre in Kuba – Das Kochbuch, das gerade im Verlag Phaidon by ZS erschienen ist.

Kuba ist in, sowohl als Reiseziel als auch für Kochbuchverlage. Unzählig sind die Neuerscheinungen, aber Kuba – Das Kochbuch sticht heraus. Schon der Buchdeckel in knallig gelbblauen Farben mit rotem Kuba-Schriftzug verknüpft die offiziellen Landesfarben mit den tropischen Pastelltönen sonnengelber Strände, die sich im Türkis des Atlantik verlieren. Im roten und blauen Lesebändchen manifestieren sich nochmals die Farben Kubas, als Ausdruck von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Überhaupt durchweht farbenfrohe Buntheit das Kochbuch, das Vorfreude aufkommen lässt beim Durchblättern. Auf 430 Seiten werden karibische Köstlichkeiten aufbereitet, was auch die Schwergewichtigkeit des Kochbuchs erklärt, das über 1,5 kg wiegt.

Die Autorinnen, Vazquez Galvez und Tondre sind Expertinnen der kubanischen Küche. Während Madelaine von ihren Großmüttern auf die heimatliche Küche eingeschworen wurde, beschäftigt sich die Amerikanerin Imogene aus wissenschaftlicher Neugier mit Kubas Gastronomie. Dass die beiden zusammengefunden haben, ist ein Glück für uns. Vielleicht haben sie auch die Rede Castros gehört und seine Aufforderung ernst genommen, alles zu verändern. Jedenfalls verändert sich nach der Lektüre dieses Kochbuchs unsere Einstellung zu Kubas Küche gründlich, das kann ich Ihnen versichern.

Wie eine Klammer umfassen die Einleitung am Beginn und das Register am Ende den kulinarischen Zugang, der auf 13 Kapitel aufgeteilt ist. Klassisch aufgebaut das Inhaltsverzeichnis, vom Vorratsschrank über Appetizers, Suppen, Reis, Pasta bis hin zu Desserts, Getränke und Gastköche. Aus ihm lässt sich rückschließen, dass es eine kubanische Küche gibt, die sich aus vielen Kulturen zusammensetzt. Das machen die Autorinnen dann auch in ihrer Einleitung deutlich. Die Spanier brachten Kräuter und Gewürze wie Muskat, Fenchel, Koriander und jede Menge andere; die afrikanischen Sklaven führten Yams, Kochbananen und Okras ein; die Franzosen kultivierten Kaffee, die Chinesen machten Pak Choi und Spinat ab 1850 populär. Reis wurde schon um1600 angebaut. Mit den Amerikanern feierten hotdogs, sandwiches, aber auch der Schnellkochtopf und Mixer seinen Einzug; den Sowjets verdankt die kubanische Küche Fleisch, Mehl, Fischkonserven und anderes. In knapper Form und höchst informativ, wird uns die Kulturgeschichte des Essens auf Kuba vorgeführt. Und so verwundert es nicht, dass bspw. Borschtsch oder Boef Stroganow  oder gefüllte Paprika oder Gerichte anderer nationaler Herkunft Teil der kubanischen Küche wurden. Originär kubanische Küche hat sich wenn überhaupt nur im Nordosten der Insel erhalten. Dort brachte die geographische Abgeschiedenheit besondere kulinarische Spezialitäten hervor. Etwa den Reis nach Camagüey-Art, den Rindfleischsalat nach Camagüey-Art oder den Puerto-Principe-Eintopf. In diesem traditionellen Eintopfgericht sorgen vor allem die Kombination von langem Koriander, Kreuzkümmel und Safran für feinste Geschmackserlebisse. Und wer diese noch anfeuern will, kann gerne guaguao-Chili dazugeben. An und für sich ist die kubanische Küche eher auf der milden Seite und der erwähnte guaguao eine der wenigen Schärfe gebenden Zutaten. Mehr über die kubanischen Lebensmittel vermittelt dann das Kapitel über den kubanischen Vorratsschrank. Da erfährt man zunächst, dass Kartoffeln, Zwiebel, Knoblauch und Tomaten auf Kuba kleiner sind als in anderen Ländern. Auch, dass es kein spezielles kubanisches Brot gibt, Bitterorangen durch einen Orangen-Grapefruit-Limetten-Mix ersetzt werden können, sich mindestens vier Chilisorten im kubanischen Küchenregal befinden, es viele Rezepte mit Hühnerfleisch gibt, Pflanzenöl vorrangig verwendet wird und einiges mehr. Am wichtigsten aber ist der Hinweis, dass alles ersetzbar ist durch Produkte aus unserer Region. Und schon tauchen wir mit dem frischen Fruchtcocktail ein in die Sonne-, Meer- und Strand-Idylle Kubas. Die Fruchtstückchen, aus vollreifen Mangos, Ananas, Orangen, Papayas und mit Limettensaft besprengt, verströmen säuerliche Frische. Wem das zu viel ist, der kann sich mit Mais-Arepas begnügen. Arepas sind durch nordamerikanische Hotcakes inspirierte kleine Pfannkuchen, die gerne zum Frühstück oder als kleine Mahlzeit serviert werden. Dieses Gericht ist so variationsreich, wie es Gemüse gibt, das kleingewürfelt auf den Arepas verteilt wird. Die kubanischen Fritas, bei einem Familienfest serviert, kamen vor allem bei der jüngsten Generation gut an. Zum einen weil hier, in einem Burger, Pommes Frittes mit Fleischlaibchen (Frikadellen) vereint werden, zum anderen, weil es zu einem Wettbewerb ausartete, wer seinen Mund am weitesten aufbringt und wer die meisten Burger vertilgt. Jedenfalls hatten die kids sehr viel Spaß und der Zubereitungsaufwand war im Verhältnis zur Menge sehr klein.

Kuba scheint auch ein Land des flüssigen Essens zu sein. Der erste Gang ist vielfach eine gehaltvolle, heiße Suppe. In ihr spiegeln sich unterschiedliche Kultureinflüsse. Angetan war ich von der Suppe auf Havanna-Art nach einem Rezept aus dem 19. Jahrhundert. Da wird eine eingedickte Rinderbrühe mit gerösteten Mandeln, Brotstreifen und geriebenem Gauda vermengt, aber das ist noch nicht alles. Klassisch wird es, wenn Gewürznelken und eine Zimtstange dazukommen, die die dicke Brühe verfeinern.

Aus dem Fisch, Geflügel und Fleisch-Kapitel war es die Fischpfanne, die ich nachkochte und einem Freund, der demnächst nach Kuba übersiedelt, servierte. Einfach, schnell zuzubereiten und repräsentativ, das waren die Überlegungen und somit Ausgangspunkt meines Vorhabens. Vom Aussiedlerfreund, der Kuba bestens kennt, die Bestnote für das Essen zu bekommen, hat mich überrascht und war Balsam für meine Kochseele. Weil diese Fischpfanne alles enthält, was mitunter Kuba ausmacht, erfahren Sie das Rezept.

Die Liste der erwähnens- und nachkochenswerten Rezepte ist lang. Mindestens 350 Gerichte und Drinks sammelten die Autorinnen auf ihren Streifzügen durch Kuba. Manches glaubt man zu kennen, wie die gefüllten Paprika, um dann festzustellen, dass sie im Detail doch abweichen und neue Geschmackserlebnisse offenbaren. Also, wer glaubt, die kubanische Küche zu kennen, wird überrascht sein, wie viel kulinarisch Unbekanntes dieses Land bereit hält. Der bereits erwähnte Puerto-Principe-Eintopf vermählt exotisches Wurzelwerk wie Maniok-, Taro- und Yamswurzeln mit getrocknetem Rindfleisch, Schweinerücken und Hähnchen. Gelbe Maiskolbenstücke leuchten aus dem Topfgemenge wie kleine Sonnen heraus. Ein Eintopf, der gerne zu besonderen Anlässen für viele Leute gekocht wird, z. Bsp. am 29. Juni zum Peter-und- Paul-Tag.

Vom Rezept Teti mit Kokosmilch war ich sofort fasziniert, wollte es nachkochen. Aber das war unmöglich, denn der Teti, der ein kleiner, d.h., 2 cm großer, durchsichtiger Fisch ist, der nur zwischen Juli und Jänner an den Mündungen des Rio Duaba, des Toa und der Miel gefischt werden darf, ist hier nirgends zu bekommen. Leider wurden keine Alternativen wie auch keine Bezugsmöglichkeiten angegeben. Also entschied ich mich, demnächst meinen Freund im Osten Kubas zu besuchen, um vor Ort Teti mit oder in Kokosmilch zu essen. Aber bis dahin wird noch viel Wasser den Rio Duaba hinunterfließen. Um dennoch eine Ahnung von kubanischen Fischgerichten zu bekommen, verlegte ich mich auf Fischfilets mit Honig. Und das war eine gute Wahl. Der marinierte Fisch wird mit Honig beträufelt und für 15 Minuten ins Rohr geschoben. Der Honig umhüllte quasi den Red Snapper und verflüchtigte sich größtenteils beim Garen; zurück blieb ein zartes Fischfilet mit vielfältigen Aromen.

Im Kapitel Gemüse und Hülsenfrüchte werden diese auf vielfältigste Art zubereitet, auch als Püree. Wer hier vom Standard-Kartoffelpüree ausgeht, wird staunen, wie variantenreich karibische Pürees sein können. Da gibt es den Kochbananenstampf, in welchen Schweinebauch reinkommt, oder das Püree aus Tarowurzeln, das mit Kokosmilch angerührt oder erweitert mit Kürbis und Pak Choi wird.

Den Eiern ist eigenes Kapitel gewidmet. Damit wird auch herausgestrichen, wie wichtig dieses Nahrungsmittel für Kubaner ist. In Zeiten der Lebensmittelknappheit waren Eier die „kubanische Rettung“. Sie werden heute noch subventioniert und zugeteilt. Daher gibt es eine lange Tradition von Eierspeisen, von diversen Rühreivariationen über Omelett bis zu Eier im Nest. Und was ist das typischste kubanische Eiergericht? Ich tippe auf Rum-Omelett.

Aufgefallen ist mir, dass in der kubanischen Küche sehr viel Knoblauch und Weißwein verwendet werden. Auch, dass Huhn den ersten Platz in der Fleischrangliste einnimmt und verschiedene Sorten Käse fast eine marginale Erscheinung ist. Wenn auch Käse in vielen Rezepten verwendet wird. Am meisten aber beeindruckt die Vielfalt an Lebensmitteln. Das erklärt auch die ungeheure Bandbreite an Rezepten und Aromen, die die kubanische Küche kennzeichnet. Die Autorinnen Madeleine Vazquez Galvez und Imogene Tondre haben mit Kuba – Das Kochbuch ein sensationelles Werk geschaffen. Hervorragend übersetzt aus dem Englischen von Lisa Heilig und Susanne Lück. Wunderbar auch die Fotos, die dezent die kubanische Gesellschaft und ihr Essensspektrum abbilden und dadurch diese Sammlung traditioneller Familienrezepte in ihrer Besonderheit betonen. Mit diesem Kochbuch kommt Kuba in die Küche; also Sonne und neue Geschmackserlebnisse – wahrlich eine Veränderung.

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