Marc Fosh, MALLORCA

Authentische Rezepte von der Sonneninsel

Fotos von Nando Esteva und andere
Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Rusch
Südwest Verlag, München, 2020, 272 Seiten, 30.90 Euro
ISBN 978-3-517-09926-2
Vorgekostet

Heute reisen wir nach MALLORCA.

Auf eine spanische Insel, die zu den Balearen gehört, einer Inselgruppe im westlichen Mittelmeer. Sie zählt zu den beliebtesten Reisezielen der Deutschen und Engländer. Was des einen Freud, ist des anderen Leid. Gegen Ballermann und die Kreuzfahrtschiffe gehen vor allem die städtischen Mallorquiner seit Jahren auf die Barrikaden. Ach, was war das damals schön, als der Maler Santiago Rusinol dort noch Ruhe und Frieden fand.

Die Insel hat schon viel erlebt. Früher ein Knotenpunkt der Seewege zwischen Orient und Okzident war sie nacheinander römisch, byzantinisch und dann maurisch, bis im 13. Jahrhundert die Kreuzfahrer sie rückeroberten. Das alles hat Spuren hinterlassen sowohl in Architektur und Sprache als auch im Landschaftsbild und in den Speisen. Alte Olivenhaine, Pinien und Johannisbrotbäume bewachsen die Abhänge. Man fährt durch Landstriche, die belebt sind von saftigen Reben, waldartigen Anpflanzungen aus Orangen- und Zitronenbäumen sowie Quitten-, Nuss- und anderen Fruchtbäumen. Dort, wo die Kulturpflanzen aufhören, stößt man auf üppig aufgeschossene Dickichte aus Mastixsträuchern, blühende Myrtenhaine und das helle Grün des Buchsbaums. So sah es im 19. Jahrhundert der abenteuerlustige Habsburger Erzherzog Ludwig Salvator. Bis heute lassen Künstler wie Joan Miro oder Miquel Barcelós die Insel in ihren Werken einfließen. In der Kathedrale von Palma de Mallorca schuf Barcelós ein Fresko aus Ton, das die Wände bedeckt wie eine zweite Haut. Sie symbolisiert die Oberfläche des Meeres. Wer davor steht und seinen Blick nach unten gleiten lässt, gelangt so in tiefere Gewässer; ein Fischschwarm nimmt uns mit zu jenem Ort, wo Fische hängen wie an einem Marktstand fertig zum Verzehr. Mit reifen, appetitlichen Früchten, silbernen Fischen huldigt der Künstler der Schönheit der mallorquinischen Natur. Diese war es wohl auch, die Marc Fosh anzog. Der Engländer kochte sich nach der Ausbildung zum Chef de Cuisine drei Jahre durch das Feinschmeckermekka San Sebastian. Aber in Palma di Mallorca fand er das perfekte Fleckchen für ein Restaurant und seine Berufung. Zusammen mit einigen jungen Köchen befreite er die mallorquinische Küche aus dem Dornröschenschlaf. Sie interpretierten traditionelle, mediterrane Rezepte neu, ließen internationale Strömungen einfließen. Wie, das beschreibt er in seinem Kochbuch MALLORCA, das im Südwest Verlag erschienen ist.

Es ist eine Einladung. Zusammen mit dem Autor gilt es, Gerichte zu kreieren, die die Aromen Mallorcas verströmen. 18 Zutaten sind die Hauptprotagonisten dieses Kochbuchs, als da wären: Mandeln, Schokolade, Chorizo, Knoblauch, Fleisch vom Iberico-Schwein, Lamm, Zitronen, mediterrane Kräuter, Miesmuscheln, Olivenöl, Pfirsiche, Paprikaschoten, Rote Garnelen, Reis, Safran, Tintenfisch, Tomaten sowie Trüffeln und Wildpilze. Sie spiegeln die kulinarische Identität der Insel. Ihr nähert sich der Angelsachse mit 100 Rezepten, die sich auf 18 Kapitel verteilen.

Foshs Ansatz ist purer mediterraner Lebensgeist. Sein Motto: Mit einfachem, frischem Essen werden Menschen an einem Tisch zusammengebracht.

Jede Hauptzutat wird ausführlich beschrieben und fotografisch dokumentiert. Letzteres meist mit zwei Bildern, die nahtlos ineinander übergehen, was im ersten Moment nicht wahrgenommen wird. Der Autor verknüpft so Detailelemente mit soziographischen. Bspw. eine Mandelbaumallee mit Mandelkernen oder ein Rudel von Ibero-Schweinen mit zum Trocknen aufgehängtem Schinken. Diese Bildmontage ist manchmal irritierend, lässt uns Betrachter aber ergänzende Informationen mit einem Blick erfassen. Und weil in den Kapiteleinleitungen bereits alles Wissenswerte über das jeweilige Nahrungsmittel beschrieben wird, sind die Rezepte mit wenigen Ausnahmen auf das Wesentliche beschränkt, klassisch aufgebaut mit Titel, Portionen, Vorbereitungs- und Kochzeit, Mengenangaben sowie Kochanleitung und auf der gegenüberliegenden Seite immer eine ganzseitige Abbildung des Gerichts.

Generell unterschieden sich früher auf Mallorca die Essgewohnheiten von Arm und Reich, aber auch von Land und Stadt eklatant. So aß die Landbevölkerung zum Frühstück eine stärkende Suppe mit Weizenbrotschnitten und kleinen Paprikastücken. Für die härter arbeitenden Schnitter wurde die Suppe aufgewertet mit Buffbohnen und einer Sauce aus Tomaten und Olivenöl. Die Gutsbesitzer aßen zwar dasselbe wie die Arbeiter, ergänzten jedoch ihr Frühstück mit Eierspeisen, Wurst und Speck. Reiche Dorfbewohner und Städter konnten sich Kakao leisten, tranken diesen mit Wasser oder Ziegenmilch gekocht und aßen dazu Gebäck. Unisono einig waren sich die Mallorquiner früher wie heute über das, was zu Festtagen an Mehlspeisen und anderem gebacken wird. Da finden sich auf festlich geschmückter Tafel Tortada reyal, Raboils frits-Kuchen und Bunols, ein krapfenähnliches Gebäck. Nicht so ausgefeilt wie die Süßkartoffel-Mandel-Bunuelos mit Aprikosen-Blütenpollen-Sauce, die uns Marc zum Einstieg offeriert. Diese kugelförmigen in Öl gebackenen Küchlein sind vor allem zu Ostern äußerst beliebt. In manchen Gegenden werden sie wie Bagels geformt, mit einem Loch in der Mitte. Ein herrliches Gebäck, das nicht mit Aromen geizt. Der Mallorquinische Mandelkuchen mit Orangenblüten und Kumquats lässt maurische Wurzeln ahnen. Über die Seidenstraße kamen die asiatischen Zwergorangen wie auch der Orangenblütensirup, der immer schon in der orientalischen Küche Verwendung fand. Für eine Freundin zum Geburtstag gebacken, war der Mandelkuchen trotz des Corona bedingten Feierverbots innerhalb weniger Stunden bis auf den letzten Krümel gegessen.

Sofort einig bin ich mit Marc Fosh, wenn es um den wunderbaren Geschmack der Chorizo geht. Diese grobe, paprikarote Wurst aus Spanien ist heute dank EU fast in jedem Lebensmittelgeschäft erhältlich. Was ich nicht wusste, ist, dass der leicht scharfe und säuerliche Geschmack durch die Fermentierung mit Zucker bzw. Sherry herrührt. Foshs Zutaten-Beschreibungen sind durchdrungen von einer Vielzahl an Basisinformationen, die uns Anwender fördern in der eigenständigen Handhabung der Lebensmittel. Zusammen mit den Rezepten eröffnen sie neue Kochhorizonte.

Die Fenchel-Estragon-Suppe mit Chorizo ist einfach und gleichzeitig etwas Besonderes. Vielleicht wegen Artemisia dracunculus, wie das Estragon-Kraut wissenschaftlich bezeichnet wird, das in unserer Küche kaum mehr Verwendung findet. Hier empfiehlt es sich, den französischen Estragon zu verwenden und nicht den russischen, dessen Blätter bleicher sind und der einen ganz anderen Geschmack hat. Der französische Estragon hat ein delikates Aroma und ist nicht so scharf, weswegen er auch so geschätzt wird.

Das scharfe Hähnchen-Harissa-Ragout mit geräucherter Chorizo ist unkompliziert und gut. Wie die bereits erwähnte Suppe oder die gefüllten Auberginen mallorquinischer Art, was bedeutet, dass die Fülle aus Schweinehack und Manchego, einem kastillischen Schafkäse, besteht.

Beim ersten Durchblättern bereits aufgefallen sind mir auch die knusprigen Sobrasada-Kroketten mit Honig und Manchego. Aber die Sobrasada, eine unheimlich dicke würzige Rohwurst, die eine Freundin aus Mallorca mitbringen wollte, ist Corona bedingt noch nicht angekommen. Deshalb wird es noch eine Weile dauern, bis ich mich an den Sobrasada-Kroketten versuchen kann.

Überrascht, und das nicht nur ich sondern auch meine Gäste, waren wir von den Iberico-Fleischbällchen mit scharfem Kürbis-Kichererbsen-Eintopf. Die Bällchen werden im Eintopf fertig gegart. Dann entlädt sich ein wahrer Gewürze-Cocktail in diesem feinen Gericht und macht das Essen unvergessen.

Fosh, den auf der iberischen Halbinsel der Sternenhimmel küsste, ist ein Pendler zwischen den Welten. Er nimmt von allem ein wenig und kreiert aus lokalen Speisen eine neue Küche. Dabei kann er seine Herkunft nicht verleugnen, was m. E. sich manchmal im Detail zeigt. Bspw. verwendet er für das marokkanische Ras el-Hanout typische Kräuter wie Fenchelsamen, Kreuzkümmel, Kurkuma, Zimt und anderes, aber dann gesellen sich noch Gewürze aus anderen Kulturkreisen dazu wie Senfsamen. Das bedeutet nun nicht, dass Foshs Rezepturen per se schlechter sind, im Gegenteil, sie sind machmal gefälliger, d.h, mitteleuropäischer wie etwa die eingelegten Zitronen), die ich vergleichsweise in seinem Ursprungsland Marokko konzentrierter fand.

Ein wenig irritierend ist, dass der Aufhänger ‚mediterrane Kräuter‘ gleich zweimal vorkommt, wobei Ersteres sich vermutlich auf getrocknete, Zweiteres auf frische Kräuter bezieht und gleichzeitig das Kapitel darstellt. Einfach und fein, das Bouquet garni, ein Kräutersträußlein aus Thymian, Lorbeerblatt und Petersilie bestehend, das ideale Trio für Aufläufe, Saucen und Suppen. Das Würz-Bündel ist so schnell beigefügt wie auch wieder vor dem Servieren herausgenommen.

Ein typisch mallorquinisches Essen serviert Marc uns im Reis-Kapitel mit ‚schmutziger Reis‘, das man als arme-Leute-Essen bezeichnen kann. Arroz brut, ist wenn man so will eine mit Kaninchen, Wachteln, Blutwurst und ein paar Schnecken verschmutzte Suppe, die letztlich sehr schmackhaft und gehaltvoll ist. Die Zutaten sind beliebig austauschbar, aber wer es authentisch haben will, kommt um die Schnecken nicht herum. Fosh liebt den Reis und man merkt ihm das an, schon allein in der einführenden, ausführlichen Darstellung dieses Grundnahrungsmittels.

Wenn ich abschließend mit Safran-Blumenkohl-Couscous und roter Paprika Chermoula ein vegetarisches Gericht vorstelle, so soll das nicht darüber hinwegtäuschen, dass Fosh auch sehr viele Rezepte mit Fleisch und Fisch präsentiert. Mit diesem Kohlgericht zeigt der Engländer seine Stärken, hinsichtlich interessanter Kombinationen und eines kontinentalen Dreisprungs Asien/Safran – Euopa/Blumenkohl – Afrika/Couscous bzw. Chermoula. Ein tolles Essen, von dem selbst die Jüngsten noch einen Nachschlag verlangten.

Das letzte Kapitel widmet sich Mallorca selbst, als einer Insel im Wandel. Nicht hervorgeht, wer diesen Beitrag geschrieben hat. Ein schöner Text, der Marc Fosh und seine Frau Iris hochleben lässt wie auch die Natur und die Menschen dieser Baleareninsel. Wenn überhaupt Kritik darin aufkommt, dann ist sie sehr sehr sanft, fast schon verschwindend. Das ist schade, denn die Insel wird jährlich von fast 15 Millionen Touristen heimgesucht und das – wie oben schon erwähnt – ist für viele Einheimische vor allem in den Ballungszentren schwer ertragbar. Auch wenn es fast am Ende des Beitrags heißt: … eines darf nie vergessen werden: Mallorca ist trotz seiner gefühlten Größe ein Handtuch im Mittelmeer, dessen Ökosystem extrem empfindlich reagiert.

Marc Fosh hat uns mit MALLORCA ein wunderbares Kochbuch zur gegenwärtigen ibero-mediterranen Kochkultur an die Hand gegeben. Es enthält viele traditionelle Rezepte, die verfeinert und ergänzt mit Neuschöpfungen uns die Aromenvielfalt der Baleareninsel genüsslich nahebringen. Ergänzt werden diese mit vielen stimmungsvollen Groß- und Detailaufnahmen von Produkten, Landschaften und Menschen, allesamt Bilder, die unsere Wachträume befeuern. Zum Löschen rückt man am effektivsten in die Küche aus. Wie wär‘s mit einem mallorquinischen Puteneintopf mit Mandeln oder Churros mit heißem Schokoladen-Orangen-Dip?