Heute geht es nach ITALIEN.
Italienische Kochbücher gibt es wahrscheinlich wie Sand am Meer. Sie kommen und gehen, ein Los das Büchern inhärent ist. Einige wenige überwinden den Achtungserfolg des Augenblicks, stranden im Kochbuchregal und werden vergessen. Und dann gibt es Ausnahmen. Das sind weniger als eine Handvoll Kochbücher. Sie erkennt man an der Abgegriffenheit des Einbandes – sie werden gebraucht. Der Pauli ist so ein Kochbuch, oder der Plachutta und die Hazan. Nach Die klassische italienische Küche von Marcella Hazan greife ich als erstes, wenn mich südländische Essensfragen umtreiben. Meine Ausgabe ist alt und zerfledert, aber sie hat mich nie enttäuscht. Nun, halte ich eine überarbeitete Neuausgabe in Händen. Zwischen zwei strapazierfähigen Leinenbuchdeckeln ist geballte, italienische Kochtradition vereint. Marcella Hazans Kochbuchklassiker, aktualisiert und neu gestaltet vom kleinen Schweizer Echtzeit Verlag.
Wer war diese Frau, die Kochlaien genauso wie Kochprofis inspirierte? 1924 in Cesenatico an der Adria geboren, studiert sie nach dem Krieg Biologie, einen Beruf, den sie nie ausüben wird. Sie heiratet Victor Hazan, zieht mit ihm nach New York und muss – wie es für diese Generation üblich ist – den Haushalt führen und kochen. Letzteres hatte sie nie richtig gelernt und dennoch schaffte sie es, das Heimweh nach Italien wegzukochen. Sie trifft den authentischen Geschmack Italiens. Ihre Mitmenschen erkennen dies und bitten sie ihnen Kochunterricht zu geben. Das ist der Beginn einer steilen amerikanischen Karriere. Sie gibt Kochkurse, schreibt Zeitungskolumnen und sieben Kochbücher. Nach dem Geheimnis ihres Erfolgs befragt, meint sie in einem Interview: „Ich denke, es ist der Geschmack.“ Keine komplizierten Gerichte kochen und gute Zutaten. Aber es geht immer ums Aroma, das muss herauskommen. Damit prägt sie ganze Generationen italophiler Amerikaner und Europäer. Sie stirbt 89-jährig in Florida. Viele Fans empfinden ihren Tod, als hätte ein Familienmitglied sie verlassen.
Ihr Vermächtnis: Hausmannskost. Das war für Hazan eine Möglichkeit, die Familie zusammenzubringen. Darauf schwor sie und auf gutes Essen. Sie lebte saisonale Küche mit lokalen Produkten. Das bestimmt alle ihre Rezepte. Und die sind absturzsicher, schreibt der Gastokritiker Christoph Seiler im Vorwort. Damit hat er verdammt recht.
Das ganze Kochbuch ist eine Reduktion auf das Wesentliche. In den Gerichten kommt nur rein, was reinkommen muss. Kein Schnick-Schnack. Jahrhunderte alte Rezepturen, geprägt von den Landschaften Italiens und den Menschen, die dort wohnen, stellt Marcella Hazan kapitelweise zusammen. Von der Mayonnaise, Bechamel und pikante Saucen über kalte und warme Vorspeisen, weiter zu Suppen, Pasta, Risotto, Gnocchi, Polenta, Huhn, Kalb usw. bis zu Gelato, Brot und Teigtaschen, werden in 24 Etappen 450 Rezepte vorgestellt. Am Anfang des Buches sinniert die Autorin über die Grundlagen des guten Geschmacks, stellt dabei auch einige wichtige Zutaten der italienischen Küche sowie Kochutensilien vor. Am Ende dieses Kochbuchklassikers philosophiert sie über die italienische Kunst des Essens, stellt Beispiele von italienischen Menüs zusammen und weist mit einem viele Seiten zählenden Indexverzeichnis auf die Vielfalt der italienischen Küche hin. Ein Foto im Vorsatz zeigt Marzella Hazan, höchst zufrieden an einer Tomate riechend. Gelegentliche Zeichnungen, die Arbeitsabläufe veranschaulichen, verleihen diesem imposanten Werk, anheimelndes Flair. Sie ergänzen wundervoll die ausführlichen, gut verständlichen Kochbeschreibungen. Aber entscheidend – und das ist für mich die Quintessenz dieses Kochbuches -, sind die Vorspanne die die Rezepte einleiten. Sie offerieren das unendliche Wissen der Autorin um die italienische Kochkunst. Amüsant und kenntnisreich geschrieben, avancieren diese Zeilen Die klassische italienische Küche zu einem wahren Lesevergnügen. So schreibt sie über die Butter-Parmesan-Sauce. „Diese weiße Grundsauce aus Butter und Parmesan ist seit Generationen die liebste Pastasauce der Norditaliener. Sie entsteht von selbst durch die Wärme der Pasta, die den Käse mitsamt der Butter schmelzen lässt, und die Sorgfalt, mit der die Pasta gewendet wird, sodass alle Zutaten sich innig miteinander verbinden. …“ Über den Olivenölkuchen schreibt sie, dass „auf dem Land nördlich von Verona sich die Wein- und Olivenbauern die Berge mit den Steinmetzen teilen, doch letztere arbeiten in Höhen, in denen Wein und Oliven nicht mehr wachsen. Viele der Bauern und Steinmetze teilen sich auch den Tisch in der ‚Trattoria Dalla Rosa‘ in der alten Stadt San Giorgio, die unterhalb des Kammes eine der höchsten Erhebungen liegt. Die Oberaufsicht über die Küche führt dort die Mutter der Familie, Alda Dalla Rosa, die Bäckerin ist aber die Tochter Nori. Diesem überraschenden und pikanten Kuchen, für den das heimische Olivenöl – wahrscheinlich das beste in ganz Italien – verwendet wird, liegt ein nicht datierbares Rezept zugrunde, das Nori in den wenigen erhaltenen Dokumenten entdeckte.“
Diese kleinen Geschichten stellen die Rezepte in den Kontext von Land und Leute und lassen sie plastisch vor unserem inneren Auge auferstehen. Als Zugabe gibt es obendrein noch ein phantastisches Gericht.
Pisciotta, wie der Olivenölkuchen auf italienisch heißt, ist einfach zuzubereiten und formidabile.
Wegen einer verlorenen Wette musste, nein durfte ich für zwei Freundinnen aufkochen. Es gab Pollo arrosto con i Limoni, also Brathuhn mit Zitrone. Man glaubt es zu kennen, aber es wird nicht wie das Yassahuhn aus dem Senegal, das afrikanische Zitronenhuhn, zubereitet. Es geht noch einfacher. Eine 1,5 kg schwere Poularde wird mit zwei ungespritzten Zitronen, die vorher eingestochen werden, gefüllt, zugenäht, mit Salz und Pfeffer bestreut und ab in den Ofen. Das war‘s. Dazu gab es Ciabatta und einen milden, trockenen Weißwein – war das ein schöner Abend!
Ausgiebig widmet sich Marcella Hazan der Pasta, den Pastasaucen und -gerichten. Auf vier Seiten listet sie die unterschiedlichen Nudeltypen auf und verweist dann auf verschiedene Pastasaucen, die dazu passen. So kann man bspw. die Pappardelle, die breiten Bandnudeln, mit Tomatensauce mit Steinpilzen oder einer Garnelensauce, oder mit einer Paprikaschotensauce mit Wurst, auch mit Borlotti-Bohnen oder gar Hühnerlebersauce servieren. Ich bereitete die Bandnudeln mit einer rosa Garnelensauce mit Rahm zu. Das Essen war herrlich.
Einfache Rezepte, mit außergewöhnlichen Geschmackserlebnissen sind Hazans Markenzeichen. Immer wenn ich Sehnsucht nach dem Süden habe, greife ich nach der klassischen italienischen Küche von Marcella Hazan. Dann verführt sie mich zu einer Minestrone alla Romagnaola , oder einer Pizza rusticanach Art der Abruzzen, oder zu Karotten mit Parmesan), oder … oder …