Heute geht es um Kochen und Essen in der UKRAINE.
„Die ukrainische Küche ist eine der vielfältigsten und interessantesten der Welt“, schreibt Mariia Polonchuk einleitend in ihrem Kochbuch, das uns die Kochkultur der Ukraine näher bringen will. Dieses osteuropäische Land, eingepfercht zwischen Polen und Russland, ist doppelt so groß wie Deutschland und für uns ÖsterreicherInnen – nehme ich einmal an – weitestgehend terra incognita. Wären da nicht die Berichte in Radio und Fernsehen über den blutigen Aufstand ganz im Osten, in Donbass. Dieses osteuropäische Land war immer schon im Schwitzkasten der Mächte. Einige Zeit war die Westukraine polnisch. Vor der großen Hungersnot 1932 zählte die Ostukraine zu den südrussischen Gebieten. Wie auch die Krim, die Chruschtschew später großzügig der Ukrainischen Sowjetischen Sozialistischen Republik schenkt und die dann wieder von Putin 2014 heimgeholt wird ins russische Reich. Ungarn und Mongolen zogen durch diesen weiten Landstrich, Huzulen, Moldawier, Krimtataren, Bulgaren, Juden und Armenier siedelten sich an und sind heute Teil der ukrainischen Identität. Zum Vorschein kommen diese Anteile in der ukrainischen Küche, die Elemente der deutschen, polnischen, jüdischen und russischen Kochkultur enthält. Und es verwundert nicht, dass auch darüber gestritten wird, ob der Borschtsch, Ausdruck urslawischen Genusses, ein russisches, polnisches oder ukrainisches Nationalgericht ist. Das mag kurios klingen, spiegelt aber das geistige Niveau einiger russisch-ukrainischer Diskrepanzen wider, wie die Lyrikerin Martinova über die Vereinnahmung dieser berühmten Suppe von Künstlern beider Nationen schreibt. Das alles ist verwirrend wie auch die Frage, wem gehört der Weißkohl? offensichtlich nicht so leicht zu beantworten ist. Nun, wie gut, dass es „Das große Buch der ukrainischen Küche“ gibt, das im Leopold Stocker Verlag erschienen ist. Gleich zu Beginn vermittelt die Autorin Polonchuk im einleitenden Beitrag über die Geschichte der ukrainischen Küche, wie sich die unterschiedlichsten ethnokulturellen Einflüsse in dieser Kochkultur niederschlagen. Sie unterscheidet dabei zwischen west-, zentral-, süd- und ostukrainische Küche. Einerseits überschneiden sich die Gerichte, aber andererseits werden spezielle Rohstoffe regional häufiger verwendet und prägen so eine lokale Kochkultur. Bspw. wird im Süden viel Melanzani für Vorspeisen als auch Fisch verwendet. Im Osten werden reichlich Eier verarbeitet sowie ungesäuerte Teige. Im zentralen Bereich vereinigen sich alle kulinarischen Strömungen des Landes und im Westen dominiert eine einfache bäuerliche Küche. In diesen Ausführungen erkennt man auch die Handschrift Wiljam Pochljobkin wieder, der ein Experte der russischen, bzw. slawischen Küche ist. Weiter hinten, eingebettet im Kapitel Süßes, findet sich ein Exkurs zu den Bräuchen der ukrainischen Tafel. In diesem volkskundlich geprägten Abschnitt verweist die Autorin immer wieder auf Gerichte im Buch, die eben zu speziellen Anlässen zubereitet werden. Etwa der Hochzeitsbrotkuchen Karawaj, ohne den offensichtlich keine Hochzeit stattfindet. Oder der obligatorische Neujahrssalat Hering im Pelzmantel, der am 1. Jänner mit Sekt, Mandarinen und Schokolade aufgetischt wird. Am Karfreitag gibt es traditionell die Topfen-Torte Pascha und am ukrainischen Heiligabend, der am 6. Jänner gefeiert wird, eine Kutja, das ist ein Weizen-, Gersten- oder Reisbrei, zu dem Uswar, ein süßes Getränk aus Trockenobst, serviert wird. Jene, die Kochen und Festtage oder andere feierliche Anlässe gerne verknüpfen, werden in diesem Abschnitt mit feinen Rezepturen bedient.
Für den Schriftsteller Wladimir Kaminer ist an der ukrainischen Küche das beeindruckendste, dass mit minimalem Aufwand ein tolles Essen zusammengestellt werden kann. Ein Stück Speck, eine Zwiebel, Brot, dazu ein Schnaps – fertig ist die Mahlzeit. Erinnert doch an Tirol. Aber ganz so einfach sind die Rezepte, die Mariia Polonchuk im großen Kochbuch der Ukraine vereint, nun leider doch nicht. Allerdings auch nicht kompliziert. Und der Rezeptteil beginnt, ja klar, mit Borschtsch; nicht klassisch mit roten Rüben, sondern mit Schweinerippchen. Einige Seiten später ist Cholodnik abgedruckt, eine kalte Borschtschsuppe, die mit Sauerampfer, Dill und anderen Gewürzen verfeinert, eine ideale Kost für heiße Sommertage ist. Der tiefrote Borschtsch, wie wir ihn kennen, war aber ursprünglich grün, denn die Hauptzutat war nicht Rote Rohnen sondern eine Pflanze namens Barszcz. Das ist der gewöhnliche Bärenklau, ein Wildgemüse, dessen Blätter, Stengel und Blüten von Mai bis August gesammelt werden können. Allerdings sollte er nicht mit dem Riesenbärenklau verwechselt werden; damit das nicht passiert, bietet die Autorin einen grünen Borschtsch mit Brennesseln an. Ein köstliches Gericht und einfach zuzubereiten.
Im Suppenkapitel findet sich auch die Erbsenpüreesuppe mit Räucherspeck, die mit verschiedenen Wurzelgemüsen angereichert, eine interessante Variante in der unendlichen Vielzahl der Erbsensuppen darstellt. Allemal spannend sind die Kleinen Gerichte, die zwischendurch aber auch als Vorspeise gereicht werden können oder das Frühstück ergänzen. Den Karotten-Topfen-Auflauf habe ich ausprobiert, ihn kann ich nur empfehlen. Interessanterweise unterscheidet die Autorin zwischen Kleinen und Kalten Gerichten, wobei pikante Noten in Letzteren überwiegen. Zum Geburtstagsessen einer befreundeten Slawistin steuerte ich den Forschmak, das ist die Vorspeise, bei. Dem Herings-Verhackten, mit Schwarzbrot serviert, wurde gut zugesprochen. In den nächsten drei Kapiteln geht es dann um Hauptgerichte: einmal Fleisch und Geflügel, dann Fisch sowie Fleischloses. Da gibt es Piroggen unterschiedlichster Art. Das sind Teigtaschen, die mit Innereien, mit Huhn, Reis und Pilzen, mit Fisch und einiges mehr gefüllt sind. Ein urslawisches Gericht dessen ukrainische Besonderheit manchmal in einer Spur Sauerrahm liegt. Liebhaber der vegetarischen Küche werden begeistert sein vom Angebot an unzähligen Kartoffelgerichten, den Wareniki, das sind Nudelteigtaschen mit diversen Füllungen, als auch Aufläufen oder den gefüllten roten Rüben, die ich zur Gaudi meiner Familie kochte. Nach anfänglicher Skepsis waren alle zufrieden und satt. Das Rezept für die gefüllten Rohnen befindet sich im Rezept-Ordner.
Umfangreich ist das letzte Kapitel, gewidmet den Süßspeisen, Kuchen und Desserts. Die Äpfel in Topfenteig waren nicht nur ein optischer Genuss.
Niveauvolle Hausmannskost, das trifft auf die ukrainische Küche zu. Herzhafte Klassiker, für die, die slawische Kochkultur besser kennen, sind in diesem Kochbuch genauso zu finden wie überraschende Speisen, etwa die Mandriki mit Konfitüre. Sie sind für mich Ausdruck glücklicher Momente, vor allem dann, wenn ich in dieses Gebäck hineinbeiße. Schöne Abbildungen der etwa 120 Rezepte laden dazu ein, die kulinarische Vielfalt der Ukraine zu erkunden und zu genießen. Ein tolles Kochbuch!