Heute reisen wir in die STEIERMARK.
In der Marktgemeinde Admont wurde 1901 die Landesschule für Almwirtschaft Grabnerhof gegründet. Paul Schuppli, ein Schweizer, gab Viehhaltungs- und Alpwirtschaftskurse. Er initiierte darüberhinaus Bauerntöchterkurse, die von seiner Frau Ida gestaltet wurden. Aus diesem pädagogischen Experiment heraus entstand dann die Hauswirtschaftsschule, an der auch Betty Hinterer unterrichtete. Betty war viele Jahre Direktorin der Schule und verfasste zusammen mit Ida Schuppli das Grabnerhof Kochbuch.
Der Erste Weltkrieg stand vor der Tür, die Landwirtschaft war gesellschaftsprägend, der größte Arbeitgeber im Reich. Die Bauern machten etwa 60 % der Bevölkerung aus. Die Wochentagküche war so gesehen eine deftige, da die körperliche Arbeit kräftezehrend war. Dementsprechend war das Grabnerhof Kochbuch aufgebaut. Die Herausgeberinnen sahen es als ihre Aufgabe, die Frauen in das wichtigste Gebiet der Hausfrau, das Kochen, so einzuführen, dass dieselben schon nach kurzer Zeit eine gewisse Selbständigkeit erreichen. So formuliert von Betty Hinterer im Vorwort zur siebten Auflage. Das Grabnerhof Kochbuch war und ist nach wie vor gefragt, liegt mittlerweile in der 28. Auflage vor. Mit den Neuauflagen veränderte sich der Inhalt, wurden die Rezepte dem gesellschaftlichen Wandel angepasst. Es wurde zu einem Kochbuch für Land und Stadt, wobei das Hauptaugenmerk nach wie vor auf der einfachen Küche liegt. So finden sich in dem aktuellen Grabnerhof Kochbuch sowohl Spuren der bäuerlichen Küche als auch einige Gerichte, die nie auf dem Tisch einer Bauernstube standen. Und es ist ein Landes-Kochbuch, das den traditionell steirischen Produkten Rechnung zollt. Käferbohnen, Kernöl, Steirerkas, Schotten, Kraut & Ruabn und anderes werden hier zu genussvollen Mahlzeiten verarbeitet. Dabei finden sich in diesem Kochbuch etliche Rezepte mit Fleisch und Innereien, die der Zeit zum Opfer fielen und jetzt wiederentdeckt wurden. Auch die Kochkiste kam aus der Versenkung der Geschichte wieder ans Tageslicht. Sie ist eine besondere Form des Garens, die im Grabnerhof Kochbuch seine Auferstehung feiert. Ursprünglich sollte sie die Arbeiten im Haushalt erleichtern, die Hausfrau entlasten, damit sie das Mittagessen in der Früh vorbereiten kann. Die Methode ist so simpel wie effektiv. Eine wärmedämmend ausgekleidete Kiste bietet einem zu 3/4 gefüllten Topf Platz. Früh am Morgen auf dem Herd zum Sieden gebrachte Gerichte schmoren dann in aller Ruhe einige Stunden im eigenen Dampf. Niedriggaren nennt sich das und ist heute Teil der gehobenen Küche. Bei 70-80 Grad Celsius schmoren Wöchnerinnensuppe, Wildragout, Polentanockerl, Steirischer Rindsbraten im Heubett gegart und einiges anderes auf eine sehr schonende Art, bei der nichts anbrennt, die Inhaltsstoffe erhalten bleiben und auch nichts zerkocht. Und noch einen Vorteil bietet die Kochkiste. Sie kann auch als Sitzgelegenheit benutzt werden, quasi eine Sitzheizung. Diese spezielle Kochform eröffnet neue kulinarische Dimensionen und ist klimafreundlich; also energie- wie auch lebensmittelsparend, sowie aromareichere Speisen. Da der Dampf nicht entweichen kann, ist die in der Kiste gegarte Nahrung leichter verdaulich und auch gesünder, das behauptet die Kochkisten-Meisterin Agnes Lemmerer. Jedenfalls ist das eine außergewöhnliche Garmethode und ein tolles Experimentierfeld für Neugierige. Das Kochen mit der Kochkiste wird anhand einiger Speisen ausführlichst beschrieben. Bildergalerien veranschaulichen die einzelnen Schritte. Nach dieser Einführung in Sachen Kochkiste folgt der eigentliche Hauptteil des Grabnerhofschen Kochbuchs. Vorab werden noch einige steirisch/österreichische Begriffe ins Deutsche übersetzt. Aber dann geht’s los mit einer Vielzahl bekannter und weniger oder gar nicht bekannter Rezepte. Scheiterhaufen ist bekannt, aber kennen Sie die Steierische Schottensuppe oder Ritschert oder Ochsenmaulsalat oder Reiswürstel oder oder oder
Und damit Sie auch wissen, was die Schotten für die Suppe sind, so sind das keine dudelsackende Engländer, sondern darunter versteht man die gestockte saure Milch. Und Ritschert ist ein uraltes Gericht aus dem südlichen Alpenraum, in welchem nahrhafte Bohnen, Rollgerste, Gemüse und saftiges Geselchtes zu einem wunderbaren Eintopf verkocht werden. In sieben Kapiteln werden Speisen vorgestellt, die sowohl die Alltags- als auch Familien- und Festtagsküche bedienen. Früher wurde das Tagwerk mit einer Suppe begonnen – also flüssige Köstlichkeiten von der Eintopfsuppe bis zur klassischen Milzschnittensuppe und der weißen Erdäpfelsuppe. Fleischfans kommen dann im zweiten Kapitel auf ihre Kosten wie auch im fünften, das sich mit Schlacht-Gerichten und Innereien auseinandersetzt. Da reicht die Bandbreite von der aufgsetzten steirischen Henn oder den Erdäpfel-Leber-Schnitzeln bis zur steirischen Klachlsuppe, das ist die mit den Schweinsfüßen. Aber es wird noch pikanter, weil in dem Schlacht- und Innereien-Gerichte-Kapitel alles vom Tier verkocht wird, was möglich ist. Von der gekochten Rindszunge bis zum gebackenen Euter – hier tut sich ein Schlachtschmausreigen auf ganz im Sinne von Fergus Henderson, bekannt als from nose to tail. Ob Fergus diese steirischen Spezialitäten kennt? Zwischen den fleischlichen Kapiteln sind dann noch Erdäpfel- wie auch Muas und Sterz-Gerichte angesiedelt, die nicht nur das Steirerherz höher schlagen lassen. Die letzten zwei Kapitel widmen sich den süßen Haupt- und Nachspeisen wie auch dem süßen Gebäck. Hier kommen alle Schleckermäuler auf ihre Kosten.
Wenn man bedenkt, dass das Grabnerhof Kochbuch schon über einhundert und sieben Jahre alt ist, dann kann man nur staunen ob der Vielfalt und der vollwertigen Mischkost, die da offeriert wird. Gut, hier vereinen sich mehrere Generationen an Haushaltslehrerinnen, die ihre Kocherfahrungen in diesem Werk einfließen haben lassen. Es ist eine Zeit- und kulinarische Reise durch die grüne Mark, die auch mal etwas mehr Mut beim Ausprobieren abverlangt, etwa wenn es ums Hirn mit Ei geht. Aber es gibt auch Schmankerln, die weniger Überwindung kosten. Die Ennstaler Roggenkrapfen mit Steirerkas oder die Goritzer Gibane, eine süße Verführung, die den slowenischen Einfluss nicht leugnen kann. Das Grabnerhof Kochbuch ist mit der Zeit gegangen. Hier werden überlieferte Rezepte aus der bäuerlichen Kochtradition genauso vorgestellt wie eingewanderte Gerichte aus Böhmen und anderen ehemaligen K&K-Ländereien. Ein spannendes Kochbuch, das einen differenzierteren Index verdient hätte.