Heute reisen wir nach AUSTRALIEN.
Nach Sidney genau genommen. Dort besuchen wir sechs Freundinnen, die jeden Montag Vormittag gemeinsam kochen. Seit Jahren schon. Gemeinsam ist ihnen, neben der Freude am Kochen und Backen, die Zugehörigkeit zu und das Interesse an der Geschichte ihrer jüdischen Gemeinschaft. Sodass irgendwann der Gedanke auftauchte, Rezepte zu sammeln und sie im Kontext ihres religiösen und familiären Erbe zu betrachten. Praktisch history cooking zu betreiben. Ausgehend von der Tatsache, dass das jüdische Volk ein ungewöhnlich starkes, vielleicht sogar besonderes Verhältnis zum Essen hat, starteten Merylin, Natanya, Lauren, Lisa, Paula und Jacqui eine Umfrage nach den besten Köchinnen und Köchen in ihrem Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis. Eine Aktion, die sich fast zu einem Tsunami auswuchs, so viele Rückmeldungen gab es. Dann folgten die nächsten Schritte: Die genannten Köchinnen und Köche wurden angeschrieben und um ihr jeweiliges ‚Meisterstück‘ gebeten, für das sie berühmt sind und mit dem sie ihre Familie und Freunde seit Jahren beglücken. Hunderte Rezepte kamen zurück, jedes – nach Ansicht der 6 Freundinnen – das beste seiner Art. Deshalb musste selektiert und die, die übrig blieben, in ihrer Testküche nachgekocht werden. So entstand der Monday Morning Cooking Club, eine Sache, die vielfach beneidet und mittlerweile nachgeahmt wird. Jedenfalls ist der Montag-Morgen-Koch-Klub jener Ort, wo gerührt, zerkleinert, gehackt, gebacken, frittiert, gekocht, probiert, gegessen, debattiert, gestritten und viel gelacht wird. Damit auch jene Instanz, die entscheidet, welche Rezepte der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wobei der Anspruch kein geringer ist. Sollten die Rezepte doch nicht nur kulinarisches Wissen transportieren, sondern auch ihre Geschichte und die Menschen dahinter sichtbar machen. Aus diesem Fundus an eingereichten Rezepten sind mittlerweile vier Kochbücher hervorgegangen. Das erste ist bereits 2011 erschienen und wurde nun vom Verlag Freies Geistesleben unter dem Titel Monday Morning Cooking Club, auf deutsch herausgebracht. Der Untertitel: Sechs Freundinnen, ihre Geschichten, ihre Rezepte spiegelt den Rahmen dieses außergewöhnlichen Projekts.
Einleitend wird die Geschichte des Kochklubs umrissen, werden die sechs Autorinnen kurz vorgestellt. Dann aber tauchen wir ein in den Schmelztiegel Australiens, lassen in einer Endlosreihe die Köchinnen und Köche mit ihren Geschichten und Rezepten Revue passieren.
Freda Abram eröffnet den Reigen. Sie wuchs in Polen auf, lebte zunächst in Deutschland und wanderte in den 70er Jahren nach Australien aus. Sie steuert Peluschki bei, ein Gericht, das hier als echtes polnisches Essen, eine Art Knödel beschrieben wird, mich aber mehr an Gnocchi erinnert. Das heißt, wenn die Peluschki mit angebräunten Zwiebeln durchmischt sind, dann ist es ein polnisches und wenn die Zwergknödelchen, die wie Miniaturkissen aussehen, mit einer Sauce aufgetischt werden, dann ist es ein italienisches Gericht. Ein wunderbarer Kompromiss.
Agi Adler, die mit 18 Jahren nach Übersee ging, denkt beim Kochen immer an ihre Geschichte, an ihr Zuhause in Budapest und an ihre Großmutter. Dabei war ihr das Kochen nicht in die Wiege gelegt. Und Bob, ihr Ehemann, ein deutscher Flüchtling, litt heftig unter ihren Kochversuchen. Aber sie probierte weiter und entwickelte bald eine gewisse Leidenschaft für das Kochen. Die Bohnensuppe mit Czipetke erinnert Adi an den Geschmack ihrer Jugend. Tschi-petke gesprochen, bedeutet auf ungarisch ‚Kleine Kniffe’. Agi stellt auch ihren Kirsch- Mandel- und Schokoladenkuchen vor. Das Besondere daran ist, dass dieser Kuchen ihren Schwiegersohn Rob immer an seine polnische Großmutter und ihren Schokoladenkuchen denken lässt. Es existiert ein handgeschriebenes Rezept von ihr, aber es klappte nie, weil die Mengenangaben ‚ein bisschen davon‘ und ‚ein bisschen davon‘ zu ungenau waren. Er war folglich sehr begeistert, als er einen Kuchen kennenlernte, der den Geschmack des ‚alten Landes‘ einfing.
Alphabetisch geordnet, lassen die Nachnamen vielfach auf ihre Herkunft schließen. Die Rezepte aber decken die ganze Bandbreite von traditionell bis modern ab. Vor allem kann man bei den Backwaren meines Erachtens eine Annäherung an die neue Heimat erkennen, ist doch der Zuckeranteil bei den meisten Kuchen sehr hoch. Bspw. beim Chiffon-Schokoladekuchen oder beim Trifle mit Pfirsichen und Himbeeren. Das ist schade, hier scheinen die sechs Koch-Klubmitglieder in punkto Süßes fast schon amerikanisiert bzw. australisiert zu sein. Bei diesen Rezepten gilt, den Zuckeranteil nach Augenmaß herunter zu fahren. Aber es gibt auch Überraschungen wie Talias Himbeertarte, die einen gemäßigten Zuckeranteil aufweist. Wien ist vertreten mit Aprikosenkuchen und Aprikosen- oder Zwetschgenknödel. Letzteres Rezept stammt von Ken Hacker, einem 1923 Geborenen, der gerne Salzburger Nockerln, Makkaroni mit Käse überbacken und andere altertümliche Speisen, wie er sie nennt, für seine Kinder und Enkel kocht. Und wenn er sie beim Essen glücklich und zufrieden sieht, da hat er eine große Freude damit.
Auch Sharon Hendler liebt das Essen. Und sie vermutet, dass das mit ihrer Kindheit zusammenhängt: sie wuchs mit einer israelischen Mutter, einem russischen Vater und einer spanischen Haushälterin auf. Dank der drei verlor sie sich in all den Aromen, Düften, Farben und Geschmacksnuancen der Welt. Deshalb gibt es bei ihr eine Toskanische Bohnensuppe, die sie am liebsten in der Winterzeit kocht. Und dann noch die Pavlova nach einem Rezept von Margret Fulton, in Sharons Ausführung ein Ungetüm, das einem Erdbeervulkan gleicht. Aber mich begeisterten ihre Kekse, genannt Souhariki, die den italienischen Cantucchini ohne Haselnüsse ähneln.
Neidisch wird man, wenn man bei den Horwitz vorbeischaut. Da erwartet uns eine riesige Tafel mit weißem Tischtuch und Blumengestecken und Menschen, die schlemmen wie Gott in Frankreich. Litauisches Essen wurde von den Großeltern Poppie und Nettie in ihrem Haus serviert, eine Tradition die der Enkel Gary Horwitz fortsetzt. Als Vorspeise gibt es gehackte Leber oder Tomatensuppe mit Basilikum- und Rucolaöl und als Krönung Piri-Piri-Poularden für zwölf Personen. Poularden sind Hühner, die mindestens 120 Tage gemästet werden. An Sonntagen lädt Garry gerne seine Freunde zu diesem Hühnchenschmaus mit Piri-Piri- Sauce ein.
Melanie Knep, die ihre Kindheit in Südafrika verbrachte, steuerte zwei interessante Rezepte ihrer Mutter bei. Gehackte Heringe mit Kichel und Käseplinsen. Plinsen ist gleichbedeutend wie Kreplach, ein Gericht aus Nudelteig. Heute macht man ihn nur noch aus Mehl und Ei wie in Italien. In der alten aschkenasischen und sephardischen Welt bestand der Nudelteig aus Mehl, Ei und Wasser, so wie Melanie es von ihrer Mutter gelernt hat. Die Käseplinsen sind also Nudeltäschchen mit Käsefüllung, die ausgesprochen köstlich schmecken trotz ihrer überraschenden Süße. Melanies Variante ist recht üppig, weil die Tascherln mit 35%iger Konditorsahne bedeckt werden.
Es gäbe noch einige Schmankerln aufzuzählen, die es wert sind im Kanon der Nachzukochenden aufzuscheinen.
Das Monday Morning Cooking Club Kochbuch ist ein beeindruckendes Werk. Zunächst wegen des Anliegens, über Rezepte jüdische Geschichten sichtbar zu machen, und dann wegen der Protagonisten selbst. Das sind berührende, erstaunliche und wunderbare Lebensfassungen von 54 Menschen aus Polen, Ungarn, Südafrika, Burma, Russland, Indien, Deutschland, Österreich, die vor der Verfolgung und Armut flohen. Sie alle haben meist eine abenteuerliche Odyssee hinter sich, ehe sie Australien zu ihrem Lebensmittelpunkt machten. Viele von ihnen sind bereits gestorben, aber sie leben fort in ihren Rezepten. Und so ist dieses Kochbuch auch ein Erinnerungsbuch an Großeltern, Eltern und Verwandte, an vergangene Heimaten und Traditionen. Es ist eine historische Bestandsaufnahme, die mit Rezepten in die Gegenwart führt. Ein australisches Kochbuch mit globalen aber vor allem europäischen Wurzeln.