Heute reisen wir nach KOREA und weiter in die USA.
In Monica Lees Familie wird der Begriff Sohn-mat (sonmas) sehr hoch gehalten. Gemeint ist damit eine Gabe, die einige Mitglieder ihrer Familie hatten und haben. Eine Fähigkeit, die aus dem Koreanischen mit dem ‚Geschmack der Hand‘ oder ‚ein Händchen für Geschmack‘ übersetzt wird. Monica erinnert sich an eine Urgroßtante, die für den koreanischen Kaiserhof raffinierte Festmahle kochte. Sie besaß Sohn-mat und gab dies an Monicas Großmutter weiter, die ebenfalls eine grandiose Köchin war, aber auf dem Land, nahe bei Seoul, lebte. Bei Oma OH BOONG YI waren oft japanische Austauschstudenten zu Gast. Für sie kochte sie in riesigen Töpfen Unmengen Soon Tofu-Gerichte mit frischem Gemüse aus dem eigenen Garten. Monica erlebte das als Kind, wenn sie in den Ferien bei ihren Großeltern zu Besuch war. Eimerweise wurde dafür Kohl und anderes Gemüse verarbeitet zu Kimchi und Chigae wie auch im Reis untergemischt. Gemischter Reis, was Bibimbap wörtlich übersetzt heißt, wurde in Schalen angerichtet und als Mahlzeit serviert. Sehr früh erkannte die Familie, dass Monica ebenfalls Sohn-mat hat. Aber sie lernte erst Krankenschwester, emigrierte dann, um ihrer prekären Situation zu entkommen, nach Los Angeles. Und es vergingen noch einige Jahre, bis sie die Krankenpflege aufgab und professionell zu kochen begann. In einem Restaurant, in dem die Gäste ihr Gericht individuell zusammenstellen konnten – maßgeschneidert, frisch zubereitet und kochend heiß. Denn wird der Eintopf aufgewärmt oder auch nur warm gehalten, gehen die seidige Konsistenz des Tofus und die Geschmacksnuancen der Brühe verloren. Soon Tofu maßzuschneidern braucht Zeit. Die nahm sie sich, konnte dabei ihre Kochlust voll ausleben. Mehr noch, ihre Tofu-Gerichte wurden zum Markenzeichen.
Soon Tofu Chigae ist eigentlich ein gemütliches Essen, das aus einer kräftigen, würzigen Brühe und verschiedenen Einlagen besteht. Ähnlich der vietnamesischen Pho ba, nur steht im koreanischen Gericht der extraweiche Tofu im Mittelpunkt, ohne den geht es nicht. Lee, die das Beverly Tofu Hause in Los Angelas eröffnete, wurde mit dieser koreanischen Art von Tofu-Gerichten sehr erfolgreich. Mit der Corona-Krise war dann alles zu Ende, fast. Das Restaurant wurde zwar geschlossen, aber Monica setzte sich an den Schreibtisch und begann, ihre Soon Tofu-Geschichte niederzuschreiben. Es ist die Geschichte einer speziellen Kochfertigkeit. So schmeckt Korea, das im Südwest Verlag auf deutsch erschienen ist, ist quasi Monicas Vermächtnis. Die tragenden Säulen dieser archaisch anmutenden Gerichte sind Rinderbrühe und extra weicher Tofu.
Wundert sich jemand, dass in So schmeckt Korea außergewöhnlich viele Tofu-Rezepte versammelt sind? Ob Brokkoli mit Tofu oder Soon Tofu mit Rind, Austern und Muscheln oder Bibimbap aus dem Steinguttopf mit Tofu und Kimchi, die Kombinationsmöglichkeiten sind schier unendlich. Es sind eintöpfige Köstlichkeiten mit Pilzen, Garnelen, Seetang, Sojabohnenpaste und vielem mehr. Dazu gibt es Beilagen, die auf jeden Soon Tofu-Tisch gehören, dazu zählen Gewürzte Sojasauce, Scharfe Salatgurke, Gebratene Strohkartoffeln, Sojageschmorte Fischküchlein, um einige aufzuzählen. Nicht extra zu erwähnen, aber sie sind auch dabei, eine erkleckliche Zahl an Kimchi-Apologeten. Das alles klingt verwirrend und nach viel Arbeit, stimmt aber nicht ganz, wenn es auch viel zum Lesen gibt.
Vielleicht wird es so verständlicher: Monica Lees koreanische Küche lässt sich über drei verschiedene Zugänge erfahren, die gleichzeitig auch die Hauptkapitel sind. Da ist zunächst die Schiene Soon Tofu Chigae, die vom Soon-Tofu-Tisch abgelöst wird. Während man unter Ersterem ein Gericht versteht, das aus einer Brühe mit verschiedenen Einlagen besteht, steht im zweiten Kapitel der Reis im Mittelpunkt, und der steht selbstverständlich immer auf dem Tisch. Dann gibt es noch, als dritten Zugang, Weitere Familienlieblingsgerichte. Wobei hier der Fokus auf Nachhaltigkeit gelegt ist, d. h., es wird eine Resteküche bedient mit Brühen und Marinaden, die uns schon in den ersten beiden Kapiteln vorgelegt wurden, aber nicht nur. Die Mungbohnenpfannkuchen musste ich sofort nachkochen und wurde nicht enttäuscht. Spannend und geeignet für eine größere Gemeinschaft ist Bibimbap aus dem Steinguttopf mit gemischtem Gemüse, eine gemischte Platte, auf deren mittig platzierter Reisgupf ein Spiegelei thront. Farbenfroh präsentiert sich dieses Multi-Gericht, wobei auch eine vegetarische Version vorgestellt wird. Darüberhinaus bietet dieses Bibimbap-Gericht jeden Freiraum des Weglassens und Hinzufügens, sodass es eine absolut eigenständige Note bekommt. Das trifft übrigens auf alle Bibibaps zu. Absolut begeistert war ich von Japchae, ein Gericht, das eine perfekte Vorbereitung einfordert, weil die Zubereitung schnell gehen muss. Natürlich finden sich bei Monica auch Rezepte, die zu ihrem Heimatland gehören und mit denen sich die Koreaner identifizieren, dazu zählt Bulgogi. Das ist mariniertes, streifig geschnittenes Rindfleisch, das früher auf einer eigenen, gewölbten heißen Eisenplatte zubereitet wurde. Heute wird es im Grill oder in einer Grillpfanne gegart. Während Monica dafür Ribeye oder mäßig durchwachsene Querrippe ohne Knochen verarbeitet, verwenden andere Filet und Lende vom Rind, manchmal auch Schweinefleisch. Das Feuerfleisch, was Bulgogi heißt, serviert Monica mit gerösteten Sesamsamen. Wie sie überhaupt auf alles Gegrillte Sesamsamen streut.
In diesem dritten Kapitel wird also auf ‚Teufel komm raus’ gegrillt. Tintenfisch, Schweinerippchen, Rinderbrust, marinierte Hähnchen, Schweineschulter … alles kommt auf den Rost. Und wenn das Fleisch gar ist, wird es verteilt und vervollständigt das aufgetischte Gemüse, Suppen, Reis und Banchan, das sind Vorspeisen und kleine Gerichte, wie bspw. Rettichstifte oder Geschmorte Fischküchlein.
Mit So schmeckt Korea taucht man ganz tief in eine tradierte Landesküche ein, die sich durch kleine Anpassungen problemlos ins Heute transferieren lässt. Die entsprechenden Hinweise auf vegetarisch, vegan oder glutenfrei finden sich bei den jeweiligen Rezepten. So wird beim Frühlingszwiebeln-Kimchi unten angeführt: glutenfrei bei glutenfreier Fischsauce. Nicht immer ist Lee so knapp in ihre Ausführungen.
Manches Gericht wird Schritt für Schritt vorgestellt, zum Beispiel eine schnelle Rinderbrühe, Soon Tofu mit Rind, Austern und Muscheln wie auch die Omelettrolle und Scharfer Kimchi mit Chinakohl. Da wird Lees Professionalität sichtbar, auch ihre Hingabe, die sich in den ausführlichen Beschreibungen vergegenwärtig. Die Autorin gibt sich redlich Mühe, die koreanische Küche nachvollziehbar zu machen, dennoch ist es fast ein Kulturschock, wie anders der Geschmack gegenüber dem europäischen ist. Es beginnt mit der Küchenausstattung und endet bei der Einkaufsliste bzw. Umsetzung. Der Anspruch, dass alle Rezepte innerhalb einer Stunde umsetzbar sind, wird eingelöst, wenn man die Marinierzeiten außen vor lässt. Mit wenigen Ausnahmen bekommt man alle Zutaten mittlerweile sogar in großen Lebensmittelläden, ansonsten im Asiashop oder übers Internet. Und wer einen Koreaner in seiner Nähe hat, könnte dort sogar ein so empfindliche Gemüse wie den Pferdeschwanz-Rettich bekommen, der im Chonggak-Kimchi eine gewichtige Rolle spielt. Ausführlich beschreibt Lee ausgewählte Zutaten in der Rubrik Vorratsschrank und Einkaufsliste.
Mit So schmeckt Korea bekommt man einen guten Einblick in eine fleischlastige Länderküche Ostasiens, die sich auch durch ihre große aromatische Bandbreite auszeichnet. Dabei legt die Autorin ihren thematischen Schwerpunkt vor allem auf die Zubereitung von Soon Tofu-Gerichten und solchen, die den Soon Tofu begleiten. Auch lässt sie uns Anwendern immer wieder mehrere Optionen offen, wenn es bspw. um die Frage geht: schnelle Rinderbrühe oder klassische Rinderbrühe aus Knochen. Letztere simmert zwar still vor sich hin, benötigt aber Stunden und muss auch von an der Oberfläche schwimmenden Fett und Eiweiß befreit werden. Eine Menge Zeit für eine simple Brühe, denkt man, aber es lohnt sich. Wenn man bis zu diesem Punkt kommt, dann tauchen weitere Anschaffungswünsche auf, will man einen Ttukbaegi sich anschaffen. Dieser koreanische Steinguttopf kann die Hitze so gut speichern, dass der Soon Tofu bis zum letzten Löffel voll heiß bleibt.
So schmeckt Korea ist eine Herausforderung, keine Frage, wie auch die Autorin höchst ambitioniert ist, uns ihren Kochstil nahe zu bringen. Fleischliebhabern öffnet Monica mit ihren Rezepten die Tür zum siebten Himmel. Man muss nicht die Sohn-mat Fähigkeit besitzen, um gut kochen zu können. Aber man muss Monica Lee vertrauen um gut koreanisch kochen zu lernen. Wer sich darauf einlässt, wird es nicht bereuen.