Heute geht es nach NEUSEELAND.
Und das liegt am anderen Ende der Welt. Genauer, 18.300 km Luftlinie sind die beiden Hauptstädte Wellington und Wien auseinander, oder in Reisezeit ausgedrückt mehr als 25 Flugstunden. Auf zwei Inseln verteilt leben etwa 4,5 Mio Einwohner und 34 Mio Schafe, auf einem Land, das flächenmäßig mehr als dreimal so groß ist wie Österreich. Die Bewohner selbst nennen sich stolz Kiwis, nach dem gleichnamigen flugunfähigen Laufvogel, der auch das Nationalsymbol darstellt. Die grüne Insel, wie Neuseeland auch genannt wird, ist ein Eldorado für Aussteiger und Naturliebhaber, aber auch, man glaubt es kaum, ein guter Nährboden für Kochbücher. Zumindest behauptet das Vicki Ravlich-Horan, Journalistin und Redakteurin der Zeitschrift Nourish, eine Art Brigitte-Magazin. Denn, dieses einwohnerzahlenmäßig kleine Land produziert jedes Jahr überdurchschnittlich viele Kochbücher, von denen die meisten genauso schnell wieder verschwinden, wie sie erschienen sind. Und dennoch antwortete die legendäre Kochexpertin Tui Flowers auf Murray Thoms Vorhaben noch ein Kochbuch zu schreiben: „Aber natürlich brauchen wir noch ein weiteres, verdammtes Kochbuch!“ Das war die Initalzündung für ‚Das große Neuseeland Kochbuch‘, das nun auch im Knesebeck Verlag auf deutsch erschienen ist.
Das Konzept war einfach, die Umsetzung gewaltig. Thom kaufte eine Neuseelandkarte und trug alle interessanten Köche und Bäcker ein, die sich überall im Land versteckten. Dann reiste er mit seinem Team kreuz und quer durchs Land und suchte 80 Adressen auf. Neun Monate dauerte diese Reise. Das Ergebnis sind 190 Rezepte der besten Köchinnen und Köche Neuseelands auf über 400 Seiten verteilt. Ein herrlicher Spaß und vor allem schmack- und nahrhaftes Vergnügen, wenn man alle diese Rezepte nachkocht. Vielseitig und abwechslungsreich wie das Land und seine Menschen sind die vorgestellten Gerichte. Es sind viele einfache Rezepte, die schnell umzusetzen sind. Auch Klassiker, die sich die echten Kiwis selber kochen. Aber vor allem knüpfen die Protagonisten an ihre Rezepturen kleine persönliche Geschichten und Erinnerungen, was diesem Kochbuch einen ganz besonderen Charme verleiht. So erfahren wir von Tui Flower, dass das einfache, bodenständige Rosinenbrot aus Kindertagen sie ihr Leben lang begleitet hat. Und es erinnert sie an ihre Mutter, wie sie den Griff der Ofentür am kühlen Ende anfasste oder die Hand kurz prüfend in den Ofen hielt, um einschätzen zu können, wann das Rohr die richtige Temperatur hat. Al Brown aus Masterton im Süden der Nordinsel will mit seinem Tuatua-Burger und Mum‘s Ingwer-Crunchies vor allem etwas über sein Land erzählen. Für ihn ist das Sammeln der Tuatua-Muscheln – sie sind bei uns kaum zu bekommen und können durch Venusmuscheln ersetzt werden – wie für uns das Pilzesammeln, ein höchst beglückendes Erlebnis mit abschließenden Gaumenfreuden. Seine Rezepte versteht er als kulinarische Kettenbriefe, die aufgegriffen und abgewandelt an anderen Orten der Welt umgesetzt werden. So wie ich in Österreich seine eigenwilligen Ingwer-Crunchies nachgebacken habe. Das hat etwas wunderbar Verbindendes. Anders Willie Calder, der seit 38 Jahren früh morgens gegen 2 Uhr in See sticht, um Austern zu fischen. Für ihn gibt es nichts Köstlicheres als seine Austern, am liebsten à la Kilpatrick mit ein wenig Bacon, Käse und Worcester-Sauce.
Allerdings am meisten beeindruckt hat mich der Spaghetti-Käse-Toast von Peter Gordon. Haben Sie irgendeine Vorstellung wie das gehen soll? Also, man nehme ein Muffinblech, Toastbrot, Butter, Cheddar (Käse) und eine Dose Spaghetti in Tomatensoße. Nun drückt man die mit Butter bestrichenen Toastscheiben in die Mulden des Muffinblechs, füllt sie mit Spaghetti aus der Dose, reibt Cheddar darüber und backt sie etwa 20 Minuten, bis der Käse goldgelb und knusprig ist. Selten hat mir Toastmachen soviel Spaß bereitet. Und das Ergebnis war nicht schlecht!
Blättert man weiter durch das Kochbuch, dann stellt Anthony Hoy Fong seine Frühlingsrollen mit Schweinefleisch und Kohl vor, Jeremy Rameka, ein Maori seinen Gebratenen Petersfisch, Rex Morgan seine geschmorten Lammhaxen, Mary Bennett, eine gebürtige Irin ihre Minztrüffel, Julie Le Clerc, eine französisch, syrische Neseeländerin, ihr Sesam-Hähnchen und irgendwann hält man kurz inne, um festzustellen, dass wir es hier mit einem mix of Civilization zu tun haben. Die Kiwi-Küche ist ein Sammelbecken englischer, asiatischer, mediterraner und ozeanischer Einflüsse. Unbeschwert und verspielt kreieren die Küchenchefs eine neue, junge Neuseeland Küche. Geschickt werden lokale Zutaten mit anderen Kochtraditionen zubereitet. Das drückt für mich am besten Michael Meredith mit Oka I‘A aus, das ist ein Kokossalat mit rohem Fisch.
Nimmt man das gewichtige Buch zur Hand, fühlt man förmlich das gerippte Muster des Einbands. Dieser ist vom bekannten neuseeländischen Pop-Art-Künstler Dick Frizzell gestaltet und einem grünkarierten Geschirrtuch nachempfunden. Die letzte Umschlagseite zeigt grafisch die Grüne Insel und alle Locations der beteiligten Köchinnen und Köche. Was an diesem Kochbuch besticht ist die klare Struktur; allen Protagonisten steht eine Doppelseite zur Verfügung. Ein Foto zeigt sie in ihrem persönlichen Umfeld. Daneben gibt es ein Statement in der Art wie ich es eingangs erzählt habe und am Rand, klein wie eine Briefmarke, eine Umrisskarte Neuseelands, auf der ihr Wohnort markiert ist. Die Fotos sind hervorragend, wie auch den Übersetzern größtes Lob auszusprechen ist. Ich schätze dieses Neuseeland-Kochbuch wegen der Einfachheit und Vielfalt der Gerichte, aber auch wegen der Geschichten und Anregungen der Köchinnen und Köche, die ihre Heimat präsentieren. Einem Freund der diese Tage nach Neuseeland aufgebrochen ist, konnte ich einige Tipps aus diesem Buch mitgeben. Schauen wir, was er daraus machen wird.
Nachtrag 1: Die Kiwis lieben Süßes. Einige der im Buch vorgestellten verführerischen Köstlichkeiten beinhalten einen hohen Zuckeranteil. Hier kann (sollte) man die Menge individuell reduzieren; ich habe bspw. für Mum‘s Ingwer Crunchies ein Drittel weniger Zucker verwendet.
Nachtrag 2: Allen Rezepten vorangestellt sind genaue Angaben zur Menge, d.h., wieviel Personen damit verköstigt werden können, mit wieviel Vorbereitungs- und Zubereitungszeit gerechnet werden muss, sowie der Schwierigkeitsgrad, der sich in der dreiteiligen Skala meistens zwischen einfach und mittel bewegt. Vegetarische, glutenfreie und glukosfreie Rezepte sind eigens gekennzeichnet bzw. im Register extra zusammengefasst.