Nigel Slater, Tender Gemüse

Von der Artischocke bis zur Zwiebel

Ein Koch und sein Küchengarten
Das Standardwerk mit über 400 Rezeptideen von Englands bestem Food-Journalisten
Fotos von Jonathan Lovekin
DuMont Verlag, Köln, 2013, 618 Seiten, 39.95 Euro
ISBN 978-3-8321-9449-9
Vorgekostet

Heute geht es um ein Gemüsekochbuch.

Nein, nicht nur. Es geht auch um ein Gartenbuch, denn in den Beschreibungen der vorgestellten 29 Gemüsearten, von der Aubergine bis zur Zwiebel, fließen gartentechnische Informationen und Erfahrungen ein.

Aber nun der Reihe nach. Zunächst: Tender Gemüse ist schon ein ungewöhnlicher Titel für ein Kochbuch. Love me tender heißt es in einem Liebeslied und im übertragenen Sinne kann man dieses Werk Slaters als eine Liebeserklärung an das Gemüse verstehen. Tender, wird gleich am Beginn erklärt, ist das englische Adjektiv für so zart. Von weicher mürber Konsistenz, dass die Zähne leicht hindurchdrängen, wie beim Biss in eine reife Feige. Nicht definiert wird Gemüse, denn offensichtlich ist allen klar, dass es sich hier um einen Sammelbegriff für essbare Pflanzenteile handelt.

Persönlich, so der Autor in der Einleitung, möchte ich anmerken, dass ich eine Ernährungsweise, die vornehmlich auf Gemüse basiert, einfach viel lieber mag. Slater beschreibt sehr einfühlsam seinen persönlichen Werdegang in puncto Gemüse, in der Genese und Struktur eines kleinen englischen Stadtgartens die maßgebliche Rolle spielten.Das Garteln verändert sein Kochen und überhaupt seinen Umgang mit Obst und Gemüse. In Kurzform heißt das: aussäen, hegen, ernten und zubereiten. Eine Schrebergartenidylle entsteht und er stellt klar: Ich gärtnere einfach um der Freuden des Anbaues willen, wegen des Vergnügens, zuzusehen, wie Samen sich in Pflanzen verwandeln und – manchmal – Früchte tragen.

Frisches Gemüse spielt dann auf den restlichen 588 Seiten auch die Hauptrolle. Den Anfang in der alphabetischen Liste macht eine Verführerin: Die Aubergine. Bei Slater war es Liebe auf den ersten Biss. Schwärmerisch beschreibt er nicht nur die wohlbekannte violette, keulenförmige Frucht, sondern auch deren weniger bekannten Sorten. In seinen Worten:

‘Schönheiten, deren blasse Haut mit einem Hauch Lila oder Rosa überfangen ist, als ob jemand mit einem Pinsel darübergegangen wäre.’ Wenn das keine Liebeserklärung ist! Gekauft werden sie nicht wegen des Geschmacks, eher schon wegen des Aussehens, vor allem aber wegen ihrer Konsistenz. Sie ist eine Verwandlungskünstlerin. Ob überbacken, gegrillt als Eintopf oder Auflauf; Auberginengerichte sind Eye-Catcher mit Hang zu orientalischen Gewürzen wie Za‘atar, Sesampaste oder Minze. Slaters duftendes Single-Abendessen, bestehend aus einer Aubergine mit Olivenöl, Knoblauch, Schafjogurt, Paprikapulver und Minzeblätter habe ich ausprobiert und wurde nicht enttäuscht. Einfach, nicht teuer, mit einem Stück Ölbrot, ließ dieses genussvolle Gericht einen Strohwitwerabend im Nu vergehen.

Den Auberginen folgen Kapitel der Blattsalate, Dicke Bohnen, Karotten, Lauch, Mangold, Rote Beete, Zwiebeln und Andere gute Sachen, um einige von den 29 vorgestellten aufzuzählen. Unterschiedlich lang geht Slater auf sie ein. Zwischen 10 und 26 Seiten wendet er pro Gemüse auf, einzig für die Kartoffel sind es 56. Klar strukturiert wird jede Sorte ausführlich beschrieben. Beginnend immer mit einem sinnlichen Eindruck; so heißt es bei der Kartoffel: Die Blüten der Kartoffelpflanze, deren gelbe Staubblätter sich zu einer Krone schließen, gehören zu den anmutigsten im Küchengarten. Marie Antoinette trug sie im Haar. Geschichte, Aussehen, Sorten, persönliche Gartenerfahrungen mit dem Gemüse, Auszüge aus dem Gartentagebuch, küchenrelevante Notizen, gefolgt von einer Auflistung passender Zutaten zum vorgestellten Gemüse mit dem abschließenden Rezepteteil, bilden den Rahmen. Spannend für alle, die selbst Gemüse anbauen, sind die Gartenbezüge und diesbezüglichen Tagebuchaufzeichnungen. Der englische Gartenkalender weicht nicht sonderlich stark vom österreichischen ab. Schade ist, dass die Sortenbeschreibungen sich in erster Linie auf englische und wenige deutsche beschränken. Bezugsadressen für Samen und Saatgut wären ein Hit, vielleicht in der nächsten Auflage. Besonders angetan bin ich aber von den Küchennotizen. Diese Aufzeichnungen sind spannende Beschreibungen von Versuchen in ihrer gesamten Spannweite, ob Niederlage oder Erfolg. Es sind Protokolle einer respektvollen Auseinandersetzung, von der vagen Idee, was er damit machen kann, bis zur abschließenden Erkenntnis, dass bspw. Mangold bei niedriger Hitze gegart werden soll. Denn, wird Mangold gebräunt, kann es bitter werden. Diese wichtigen Erfahrungen fließen auch in die Rezepte ein.

Schauen wir uns das bei der Kletter- oder Stangenbohne genauer an, deren Erntezeit jetzt ansteht. Hier meint Slater, dass nur wenige Zutaten frische Bohnen bereichern können: eine gehackte Schalotte, Butter, Knoblauch, Tomaten und Mozzarella, Olivenöl, thats it. Lakonisch heißt es an anderer Stelle, ein leckeres Bohnengericht ist mit einer Stoppuhr anzurichten, Phantasie ist nicht gefragt. Höchstens fürs Auge, wenn er grüne und gelbe Bohnen in einer angebratenen Tomatensauce zu einem Kindergemälde verarbeitet. Slater hat Humor und englische coolness, mit der er vieles auf den Punkt bringt.

Bei den Kartoffeln widmet er sich auf zwei Seiten dem Püree. Da werden Fragen nach den besten Sorten für das Kartoffelpüree erörtert so wie dessen Beschaffenheit als Beilage zu Schinken mit Petersiliensoße, zu schweren Eintöpfen, zu gebackenem Kabeljau oder einfach Würstchen. Im Hintergrund immer die Suche nach der perfekten Püreekartoffel, die es schafft, gleichzeitig locker und buttrig zu sein. Sein Rezept für ein klassisch lockeres Püree zu Würstchen: mehlige Kartoffeln mit wenig heißer Milch und Butter (im Verhältnis 900 zu 100 und nochmals 100 g) ließ meine Leihenkelkinder wahre Lobeshymnen auf mich absingen. Dieses Kapitel veranlasste mich auch, eine kleine Liste von Kartoffelrezepten anzufertigen, die ich unbedingt ausprobieren möchte. Kartoffeln mit Gänseschmalz und Thymian oder Salat aus Kartoffeln, mit Hering und Creme fraiche. Meiner besseren Hälfte servierte ich Bubble and squeak mit Käse und Mangoldsalat als Beilage, also ein „blubberndes und quietschendes“ Käse-Kartoffel-Küchlein, dessen Rezept ich Ihnen am Ende vorstellen werde. Verraten sei, dass dieses Gericht sehr gut ankam.

Die Rezepte, die ich nachkochte, zeichneten sich alle durch Einfachheit und manch interessante Kombinationen aus, die zu wunderbaren Geschmackserlebnissen führten. Auffällig auch, und das kommt meiner Kochpraxis sehr entgegen, Slater verwendet kaum Salz. Aufgefallen ist auch, dass Knoblauch für ihn offensichtlich nicht zum Gemüse zählt. Überschaubar sind die häufigst benötigten Zutaten wie Butter, Olivenöl, Senf, Zitronen, einige Gewürze und Creme fraiche, das in Österreich dem Philadelphia Doppelrahmstufe oder Schmand entspricht.

Zur Aufmachung: Das sehr dicke Kochbuch wäre allerdings ohne die stimmungsvollen Fotos von Jonathan Lovekin, einem Meister der Foodfotographie, viel schwerer verdaulich. Schlicht und mit einem deutlich hohen Anteil an Grüntönen, lässt er selbst fade Stangenbohnen, aufgestellt in Reih und Glied, zu Topmodells avancieren. Die Titelseite ist ungewöhnlich, Halbleinen mit Schiebebild von einem Kohlblatt. Hervorzuheben ist auch die Leistung der vier Übersetzerinnen, die die poetische Ausdruckskraft des Autors hervorragend ins Deutsche übertrugen.

Was mich an Tender Gemüse besonders fasziniert, ist die zurückhaltende Leidenschaft Slaters für Gemüse – und die ist ansteckend.

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