Heute reisen wir nach BERLIN.
Wenn ich nach Berlin fahre, dann sicher nicht, weil ich Sehnsucht nach Griechenland habe. Wenn auch die Antikensammlung in Berlin mit ihrem großen Bestand von archäologischen Objekten des griechischen Altertums mich immer wieder zu einem Museumsbesuch verführt. Aber nein, diesmal geht es um etwas ganz anderes. Also nicht um eine mediterrane Hochkultur und doch um so etwas Archaisches, das schon die alten Griechen schätzten. Die Rede ist hier von der einfachen, griechischen Küche. Die zu erfahren reisen wir also extra nach Berlin. In Deutschlands Hauptstadt kocht Tante Poppi. Ihr bürgerlicher Name ist Theopoula Kechagia. Eine Thrakierin, die aus dem kleinen Dorf Sofiko nahe der türkischen Grenze stammt. Wie so viele Griechinnen und Griechen ist sie als Gastarbeiterin nach Deutschland gekommen. Zuerst lebte sie in Hamburg, dann mit einem kurzen Zwischenstopp in ihrer Heimat und jetzt, schon wieder seit einigen Jahren, in Berlin. Dort betreibt sie zusammen mit ihre Nichte Nikoletta das Café ‚eßkultur’ des Jüdischen Museums. Vorher aber führten die beiden das Café „König Otto“ in Berlin Neukölln. Das war mehr ein griechisches Kafenion, eine Mischung aus Taverne und Tante Emma-Laden. Dort wurden die Gäste mit vegetarisch-griechischer Küche beglückt, ganz im Sinne von Nikolettas Großeltern, Eltern und Cousins, die auch Lokale betrieben und kochten. Und dort wurde auch die Idee eines neuen griechisches Kochbuchs geboren. So viele Gäste wollten von Poppi das Rezept erfahren von dem Essen, das sie gerade verzehrt hatten. Und so entstand Tante Poppis Küche, das Kochbuch, das im DuMont Verlag erschienen ist.
In fünf Kapitel gliedert Tante Poppi ihre vegetarischen Familienrezepte.
Gestartet wird mit Meze, das sind in der Regel einfache Rezepte mit wenig Zutaten. Dazu zählt Poppi den griechischen Bauernsalat sowie Zaziki, Gerichte, die wir vor allem aus den Griechenlandurlauben kennen. Allerdings finden sich in dieser Rubrik auch weniger bekannte Speisen, die es aber in sich haben. Etwa der Rote-Bete-Walnuss-Salat oder die Auberginenpaste, die mit Granatapfelkernen aufmunitioniert wird. Einen Versuch wert sind auch die gefüllten Zwiebeln. Letztere frei nach dem Motto: Es müssen ja nicht immer gefüllte Weinblätter sein. Natürlich hat Poppi auch Dolmadakia in ihrem Repertoire, auch das Rezept ist in diesem Kochbuch abgedruckt. Von den Gefüllten Weinblättern – die die Griechen auch lautmalerisch liebevoll Dolmades nennen – gibt es unzählige Variationen. Poppi mengt den üblichen Zutaten von Risottoreis, Lauchzwiebeln und Dill auch eine kleine Karotte und Pinienkerne bei. Sie bedauert jeden, der Dolmadakia nur aus der Dose kennt.
Aus Arkadien, der Hochebene am Peleponnes, stammt der meiste Knoblauch, der zu Zöpfen zusammengebunden in den östlichen Mittelmeergebieten verkauft wird. Eine regionale Spezialität nennt sich entsprechend auch Arkadia – das ist frischer junger Knoblauch, der in Öl und Essig eingelegt als Vorspeise serviert wird. Und wussten Sie auch, dass die Griechen Kartoffelpüree lieben? Allerdings wird es etwas anders zubereitet. Denn vielerorts wird das Püree mit Knoblauch angereichert und kalt serviert, als Kinderspeise, feine Vorspeise oder Beilage zu gebackenen Auberginen. Knoblauch-Kartoffel-Paste bzw. Skordalia nennt sich nun dieses ‚püreeige‘ Gericht. Überhaupt verwendet Poppi gern und viel Knoblauch in ihren Speisen. Das geht in Griechenland nur, wenn man sich über die Götter hinwegsetzt. Den Knoblauch-Geruch finden sie unerträglich, und deshalb haben sie den Gläubigen nach dem Knoblauch-Genuss das Betreten der Tempel verboten. Aber auch Tante Poppi hat sich hier etwas angepasst, diesmal den Deutschen, die keinen Knoblauch mögen, und serviert daher einige Gerichte auf zweierlei Art: einmal mit und einmal ohne Knoblauch.
Auf die Meze-Gerichte folgen Suppen & Eintöpfe, die auch einen hohen Stellenwert in der einfachen griechischen Küche haben. Das dritte Kapitel ist für Hauptgerichte reserviert, die fast nie ohne Pites & Brote auskommen, die im vierten Abschnitt dominieren. Zum Abschluss wird – wie fast überall in der Welt – Süßes angeboten.
Zwischen all den griechischen Rezepturen sind kleine Exkurse eingeschoben. Kurztexte, die das soziale Umfeld und Alltagsleben der beiden Protagonistinnen näher beleuchten. Da geht es um Familie, Heimat und Griechenland im Kontext von Essen. Da werden außertourlich Nachbarn bekocht oder der Stellenwert der Wassermelone im Griechenlandurlaub genauer betrachtet. Auch über das Einkaufen auf Neuköllns Märkten wird berichtet. Deren Riesenangebot an Grünzeug, Obst und allem Verkochbarem löst staunende Freude aus. Im Beitrag „Mit Kind und Kegel“ umreißt Nikoletta das Leben und Feiern griechischer Familien. Hier kommt zur Sprache, wie ihre Familientreffen-Essen organisiert werden. Fast beiläufig erfährt man nützliche Details für die Planung von familiären Großereignissen. Zum Beispiel: In der kälteren Jahreszeit werden besonders erdige und kräftige Gerichte aufgetischt, im Sommer aber Frisches und Kühles wie der griechische Bauernsalat. Besonders gut kommen bei den Gästen Speisen an, in welchen Marinaden und Soßen länger einwirken, etwa Salate, und natürlich darf kein selbstgebackenes Brot auf der Familientafel fehlen. Da mag manches banal klingen und bekannt, aber Impulse zum Wiedererinnern schaden nie.
Im letzten Beitrag geht es um die zwei Heimaten der Autorinnen und die Frage, wie kompatibel ist die griechische mit der deutschen? Angekommen jedenfalls sind Nikoletta und Poppi in ihrem „eigenen kleinen Kosmos voller griechischer Traditionen, deutscher Freundschaften und Beziehungen, Erinnerungen an früher und Plänen im Hier und Jetzt.“ Das drückt sich auch in den Rezepten aus. Da werden uns Spaghetti Bolognese vorgesetzt oder aus der jüdischen bzw. palästinensischen Küche, pochierte Eier in Tomatensoße bekannter als Saksouka. Dann wieder italienisch Angehauchtes wie die Nudeln mit Auberginen. Manche werden sich spätestens hier fragen, was hat die Pasta in griechischem Essen zu suchen? Nun ja, der östliche Mittelmeerraum stand über viele Jahrhunderte unter venezianischem Einfluss. Wie auch die Ionischen Inseln sehr nahe an der italienischen Küste liegen, sodass sich die kulturelle Nähe auch im Essen niederschlug, wie manche Gerichte aus Westgriechenland bezeugen. Eine solche italienische Hinterlassenschaft ist bspw. Pastitsio. In diesem Fall die vegetarische Variante, Makkaroniauflauf mit Béchamel.
Poppis Kochkünste orientieren sich, wie schon angedeutet, nicht stur an der griechischen. In ihren Töpfen finden sich Spuren von der asiatischen, russischen, mittel- und südeuropäischen Küche. So tauchen in einigen Rezepten auch Zitronengras, Kurkuma, Sojagranulat oder Maronen auf.
Gemeinsam mit meiner Enkelin Freya bereitete ich Nudeln mit Auberginen zu. Das war ihr Einstieg in die griechische Küche. Und weil sie ab Herbst in Berlin studiert, wird sie im Cafe des Jüdischen Museums dann Tante Poppis Original Auberginen-Nudeln verkosten und vergleichen – so ihr Plan. Gemundet hat uns das Nudelgericht mit viel reifen Tomaten jedenfalls ausgezeichnet.
Ein anderes Gericht, Chorta oder Wildgemüse in Olivenöl, kenne ich aus der libanesischen Küche. Zum Unterschied wird dort junger Löwenzahn etwa 2 Minuten blanchiert, und sollte er noch zu bitter sein, ein zweites Mal in Salzwasser kurz aufgekocht und kalt abgeschreckt. Poppi kocht das Wildgemüse 20-25 Minuten bei mittlerer Hitze. Ansonsten sind die Zutaten gleich, nur in der Menge leicht variierend. Was besser schmeckt, muss jeder selbst herausfinden.
Alle nachgekochten Rezepte waren wohlschmeckend und reichhaltig. Einfach in den Zutaten und der Zubereitung, das ist Poppis Markenzeichen. Und das Ergebnis schmeckt allen. Tante Poppi ist in ihren Grundwerten Griechenlands Küche verpflichtet, auch wenn es auf den ersten Blick nicht immer danach aussieht. Die Familienrezepte von Theopoula Kechagia sind grün und bunt. Schön arrangiert und fotografiert hat sie Natascha Zivadinovic. Die Bilder erzeugen Genussvorstellungen und Verlangen, das mit wenigen Handgriffen gestillt werden kann. Beispielsweise wenn man Löwenzahnblätter pflückt, kleingeschnitten aufkocht und mit Zitrone und Olivenöl vermengt – fertig ist Chorta, der gekochte Wildgemüsesalat. So einfach kann Tante Poppis Küche sein. Das Kochbuch drückt auch die Lebensfreude zweier Frauen aus, die mit der griechischen Küche ihre Bestimmung fanden. Die Gerichte von Theoupoula und Nikoletta fanden in meiner Familie großen Anklang.