Heute reisen wir nach KAUKASIEN.
Kaukasien, das Land als solches gibt es natürlich nicht. Es ist ein Kunstwort, so meine Assoziation, das Asien, den Kontinent, mit dem Kaukasus-Gebirge verknüpft. Der Kaukasus, der die russische Föderation von der Türkei und dem Iran abtrennt, ähnelt, vom Weltraum aus mit einiger Phantasie betrachtet, den sinnlichen Lippen eines Mundes, der sich lächelnd zweier Länder bedient, Georgien und Aserbeidschan.
Zwei Nationen, die zusammen einen Sperrriegel bilden und so das Schwarze vom Kaspischen Meer trennen, aber gleichzeitig Europa mit Asien verbinden. Ein geographischer Raum der Überschneidungen also. Auch eine raue, wenig bekannte Gebirgsregion von der doppelten Größe Österreichs, das die Menschen in seinen kulturellen Eigenheiten prägt. Am augenscheinlichsten wird das im kulinarischen Spannungsfeld von tradierten Gerichten und den hereindrängenden Einflüssen aus Ost und West sichtbar. Etwa dort, wo von alters her Hammelfleisch, das zunehmend durch Lamm oder Huhn ersetzt wird, verarbeitet wird, z. Bsp. in Kebabgerichten.
Gleichzeitig ist die Küche wohl das verbindendste Element, das die Kulturen der Armenier, Aserbeidschaner, Georgier, Kaukasier und anderer Volksgruppen vereint, zu ähnlich sind die Gerichte und Zubereitungsarten. Dieses kulturelle Erbe, zu wertvoll um es brachliegen zu lassen, wird nun zunehmend vom Westen entdeckt, sei es über Gourmetreisen oder Kochbücher. Eine Botschafterin guten Essens und kaukasischer Tischgepflogenheiten ist Olia Hercules, eine Ukrainerin mit familiären Wurzeln in Bergkarabach. Sie ging, nachdem ihre Familie kriegsbedingt zunächst nach Baku, dann weiter nach Kiew auswanderte, im 2003er Jahr nach London, zum Studium. Arbeitete bei Ottolenghi und blieb in der Gastronomie hängen. Ein Glück. Denn Hercules hat das Gespür für das kulinarisch Besondere und sie kann es vermitteln. So geschehen in Kaukasis, ihrem neuesten Kochbuch, das im Knesebeck Verlag erschienen ist. Es ist eine kulinarische Reise durch Georgien und Aserbeidschan. Der Umschlag, ein erster Hinweis, zeigt ein buntes Mosaikbild von Tieren, Gemüse, Obst und dem schneebedeckten Gipfel des Kasbek, und drückt aus, was die Autorin empfindet und fühlt: farbige Pusszlesteinchen, die erst in der Gesamtschau ein Bild kaukasischer Kultur, Tradition und ihrer Rezepte ergibt. Und hier muss ich mich korrigieren. Denn Kaukasis leitet Olia aus dem Skythischen ab, das verwandt ist mit dem griechischen kaukasis, den „schneebedeckten Berggipfel“. Von dort, dem über 5000 m hohen Kasbek, kann man weit ins Land schauen und in die Küchen und Kochtöpfe und aufbrechen zu einer lukullischen Entdeckungsreise, die spannend ist und einige Überraschungen bereithält.
Sie beginnt bereits bei der Kapiteleinteilung. Der Auftakt der Reise startet im Garten, dem Mehl & Asche folgen. Dann wird’s deftig in der Fleisch & Fisch Abteilung, das ein Kapitel nach sich zieht, das nicht die Ursache für den Titel ist und sich aus den vorhergehenden ableitet, nämlich Schmerz, lass nach! Nein, das Schmerz-Kapitel bezieht sich auf die trinkfreudigen Georgier und ihre Bekämpfungsmethoden von Katerstimmungen. Dem folgt noch Süße Sachen, aber auch das weicht inhaltlich stark ab von dem, was in Mitteleuropa vorwiegend darunter verstanden wird, eben Kuchen, Torten und Eis. Zum Ausklang folgt ein Kapitel der Zutaten, in welchem Hercules genuin georgische und aserbaidschanische Produkte beschreibt, wie sie zu ersetzen, bzw. woher sie zu beziehen sind. Das Kurdjuk, das Schwanzfett der Fettschwanzschafe bspw. ist eine zentralasiatische Spezialität und kaum außerhalb dieser Länder zu bekommen. Kann aber, so erfährt man hier, durch guten italienischen Lardo ersetzt werden. Derartig nützliche Tipps finden sich immer wieder. Ein ausführliches Register am Ende lässt kaum ein Stichwort aus und offenbart auf einen Blick den großen kulinarischen Bogen der kaukasischen Küche.
Mit dem ersten frischen Gemüse löst sich langsam der Winter auf. „Ich mag Gemüse, vor allem im Frühling“, erklärt der georgische Fremdenführer Shota, beinahe eine banale Erkenntnis jahreszeitlich bedingter Gelüste. Dieser folgen die ersten Rezepte reichhaltiger Vitaminzufuhr nach sparsamer Winterkost. Und wenn auch nicht bei uns die Rote Bete das erste Frühjahrsgemüse ist, so lässt zumindest die Autorin so das neue Jahr beginnen. Rote Beten & Pflaumen ist bereits eine Entdeckung, eine Offenbarung selbst für Olia. Die leicht karamelisierten Pflaumen kombiniert mit den leicht bitteren Gemüseblättern überraschen angenehm. Dazu kommt die Entdeckung von Tkemali, das ein Grundpfeiler der georgischen Saucen ist und sich als Dressing für diverse Salate und herb-knackige Gemüse-Gerichte wunderbar eignet. Auch die überbackenen Blumenkohlsteaks erweiterten mein Repertoire von Karfiolrezepten um eine interessante Variante. Dass auch Einflüsse von außen hereingetragen werden, zeigt sich im Tomatensalat mit Himbeeren, den eine sich in Georgien niedergelassene Ungarin mit Inspiration aus San Franzisco kreierte. Ganz anders dann Serdach, ein klassisches Gericht, das Auberginen mit Tomaten vereint und einen aromatisch, seidigen Touch bekommt, ob durch die geklärte Butter oder nicht, ich habe es nicht herausbekommen. Selbst wie geklärte Butter herzustellen ist, erfährt man in diesem Kochbuch. Das Gartenkapitel deutet bereits an, was sich später noch erhärtet: Kaukasisches Essen ist zwar fleischlastig ausgerichtet, aber das vegetarische Kapitel ist das umfangreichste. Neben alltäglichen Beeren und Gemüsen wie Karfiol, Mangold, Spinat, Karotten und anderen Wurzeln finden sich auch seltenere Vertreter wie Berberitzen, Portulak, Kichererbsen und Sauerampfer in Rezepten wieder.
Allein die unzähligen Brotrezepte mit diversen Füllungen zeugen von der Backkunst der Frauen, denn sie sind es, die dieses Handwerk am besten beherrschen. Dabei wird das Adscharische Chatschapuri ein Art Brotkahn mit Käse und einem Ei in der Mitte, genauso vorgestellt wie das Chatschapuri Kada Lobiani, ein mit Bohnenpaste und karamelisierten Zwiebeln gefülltes Brot. Dabei kennt der Variantenreichtum an Füllungen keine Grenzen. Ob mit Kartoffelpüree vom Vortag, mit Käse, Bärlauch, Kürbis, Granatapfelsirup ua. gefüllt, die hervorgezauberten Aromen sind unbeschreiblich.
Reichhaltig, wie bereits beschrieben, an Zutaten und Kombinationen sind die Rezepte auch in den anderen Kapiteln.
Im Schmerz, lass nach!-Kapitel fand ich das Dorffrühstück von Tante Lynda. Dieses herzhaftes Katerfrühstück, das an Üppigkeit dem amerikanischen Frühstück in nichts nachsteht und sich auch als normales Mittag- oder Abendessen eignet, serviere ich Ihnen zum Schluss. Ein feines Essen, das beliebig ergänzt werden kann, mit Zutaten, die der Kühlschrank gerade hergibt. Auch ist es ideal, um altes Brot zu verwerten.
Kaukasis fängt Lebensfreude ein, das ist der erste Eindruck. Nicht ganz unschuldig ist daran auch die Fotografin Elena Heatherwick, die mit ihren Portraits sehr an Vermeer erinnert. Ein Bild gefällt mir besonders. Die sinnliche Versunkenheit der jungen Frau beim Mörsern strahlt Ruhe aus und lässt ahnen, dass feine Aromen sich ausbreiten. Auch sind die Gerichte schön adaptiert in entsprechender Umgebung abgelichtet. Und dann kommt noch das erzählerische Moment der Autorin dazu, die so unbeschwert und leicht von den Georgiern und Aserbeidschanern und ihren Esstraditionen und -gewohnheiten erzählt, dass man sofort aufbrechen möchte in diese Länder und ausprobieren und auskosten will all diese angehäuften Genüsse. So bleibt mir derzeit nur eine Alternative, meine Küche, wo ich jetzt gleich Waljas Zitronentarte ausprobieren werde. Sie sollten mich beneiden um dieses Kochbuch!