Rachel de Thample, Winterfest

Das Kochbuch für ein starkes Immunsystem und mehr Energie

Mit einer Einführung von Hugh Fearnley-Whittingstall
Fotos von Nassima Rothacker
Aus dem Englischen von Carla Gröppel-Wegener
DuMont Verlag, Köln, 2024, 304 Seiten, [EU] 29.- Euro
ISBN 978-3-8321-6949-7
Vorgekostet

Heute rüsten wir uns für die WINTERZEIT.

Denn im Feber ist der Winter noch nicht vorbei. Wer Jahreszeiten als Rythmen des Lebens versteht, geht von einer bestimmten Vorstellung aus, nämlich, dass zirkadiane Muster von Wachheit und Schlaf, von Energiefluss und Ruhebedarf unser Leben bestimmen. Falsch wäre zu glauben, so der Bestseller-Autor und Koch Hugh Fearnley-Whittingstal, dass man dem Kreislauf entkommt, bzw. ihn durchbrechen kann, indem man sich bspw. in klimaregulierte Gebäude zurückzieht und künstliches Sonnenlicht installiert. Eine Illussion, weil es den immerwährenden Sommer nicht gibt. So wie der Tag die Nacht braucht, ist das Jahr erst mit dem Winter vollständig. Die Bedeutung liegt in der Funktion, die die kalte Jahreszeit im zyklischen Zeitlauf hat, eben Regeneration und Erholung vom kräftezehrenden Sommer. Die Natur macht es uns vor. Natürlich kann der Mensch nicht in den Winterschlaf fallen, aber immerhin Vorkehrungen treffen und Pausen einlegen, um durchzuatmen. Und ähnlich wie die Pflanzen, verlangt unser Körper, wenn die Tage kürzer werden, wenigstens nach einer Verlangsamung. Winterfest, so der Buchtitel von Rachel de Thample, Winterfest, will dieser Gesetzmäßigkeit Rechnung tragen und hält jene Rezepte zur gesunden Ernährung parat, die zum Auftanken essenziell sind. Lebensnotwendig, weil Essen auch Medizin ist. Aber nicht nur. Der Winter ist köstlich und notwendig, das will uns die Autorin vermitteln. Essen als Medizin ist Rachels Credo, eine freundliche aber zugespitzte Einladung, ja Zielsetzung, wie wir Immunsystem und Verdauungstrakt stärken mit lukullischen Schätzen. Sogar vom Heilen ist bei ihr die Rede. Deshalb werden am Anfang all jene gesundheitlichen und strukturellen Aspekte in den Kontext guter Zutaten gestellt. Rachels Rezept dafür: Arthritis und Entzündung verlangen nach Mandeln, Knochenbrühe, dunkles Blattgemüse, Ingwer, Grünkohl, Zitronen, Olivenöl, Kurkuma, Walnusskerne, und Walnussöl, die in Rezepten wie der Zitronen-Gerste-Avgelomono, einer griechischen Suppe, teils zum Einsatz kommen. Die Verdauung und Darmgesundheit fördern Äpfel, Koriander, Kreuzkümmel, Fenchel, gemahlene Leinsamen, Kefir, Minze Haferflocken, Olivenöl, Oregano, Sauerkraut und einiges mehr. Was Rachel zu Rezepten inspiriert wie eine Kräftigende Bircher-Bowl oder eine Levantinische Knoblauchpaste, die man im Nahen Osten zu Artischocken serviert, ähnlich wie die Aioli in Frankreich. Aber die Knoblauchpaste passt auch zu Hähnchen und Pommes oder gedämpftem Gemüse wie auch als Grundlage für Salatdressing. Kombinationen gibt es genügend, entsprechend Ihrer Fanstasie. Eine gesunde Haut, um ein drittes Beispiel anzureißen, verlangt nach Knochenbrühe, dunkelgrünem Blattgemüse, Ingwer, Kefir, Olivenöl, Kurkuma, Weizengras, woraus sich Wohlschmeckendes zaubern lässt wie Grünkohl mit Tahini nach türkischer Art oder Kurkuma-Pfeffer-Essig oder Goji-Ingwer-Tee. Die Rezepte bauen sich um verschiedene Krankheitsbilder auf wie Fieber und Grippe, Kopfschmerzen, Magenverstimmung, aber sie beziehen sich auch auf Menschliches, allzu Menschliches wozu Kater, Alterungsprozess oder Menstruationsbeschwerden zählen. 

Rachel teilt ihren Ansatz von gesundem, stärkendem Winteressen in sechs Kapitel auf, die sich vom Frühstück und Brunch über Wärmende Hauptgerichte bis zu Tonika, Tees und Mocktails spannen. 

Eigentlich müssten Frühstück und Brunch die wichtigsten Energielieferanten sein, da sie quasi Starter für den Tag sind. Alle anderen Mahlzeiten dienen dann nur noch dazu den Motor am Laufen zu halten. Und richtig, köstliche Frühstücksgerichte aus Haferflocken und Banane heizen uns auf, denn sie regen den Körper dazu an, Wärme zu produzieren, indem sie langsam Energie freisetzen, stellt de Themple einleitend fest. Neben dem Tahini-Birnen-Porridge, dem Carrot-Cake-Flapjacks und den Apfel-Mandel-Scones war ich vom Finnischen Notfallbrot sehr angetan. Vor allem, nach dem ich eine dicke Stulle dieses Sauerteigbrotes mit einer Schicht Aromatische Feigenkonfitüre bestrichen hatte. Das Notfallbrot besticht mit seinem Ansatz, weil im Brotnotfall der Kefir helfen kann, d. h., mit ihm ein schneller Sauerteigstarter machbar ist und für die Konfitüre es nicht mehr als 5-6 getrocknete Feigen braucht. Die werden in der Pflanzenheilkunde empfohlen zur Behandlung von Schnupfen, Erkältung und Grippe. Und hinzu gesellen sich Blutorangensaft und Masala Chai, ein von Gewürzen dominiertes Getränk. Diese Gewürzmischung aus Zimt, Kardamom, Pfeffer, Gewürznelken und Sternanis kommt uns bekannt vor, ähnelt sie doch dem, was in englischen Christmas-Pudding und auch im amerikanischen Pumpkin Pie zu schmecken  ist.

Wenn irgendwo dann zu lesen ist: Der Winter bringt Freuden, von denen der Sommer nichts weiß, so bezieht sich das auf Salate, Snacks und Beilagen, die im zweiten Kapitel vor allem mit Wintergemüse gebaut werden. Das lässt allerdings den Umkehrschluss zu, dass der Winter nicht weiß … Für Ligurische Lauch-Pfannkuchen benötigt man Kichererbsenmehl und Kombucha, ein Gericht, das nicht nur ein schnelles Mittagessen sein kann, nein, es hat das Zeug, immer wieder auf dieses Rezept zurückzugreifen. Dass es ein gesundes Essen ist, muss nicht extra erwähnt werden; der Lauch macht seine Sache gut, regt die Darmbakterien an, macht sie und uns glücklich. Eingefügt in diesem Kapitel ist ein Querverweis auf einen Wintergarten auf der Fensterbank. Da erfährt man, welche Keime von Samen und Kernen, Getreide und Hülsenfrüchten man sprießen lassen kann, samt Zeitplan und Aufbewahrungshinweise. Solche Kurzbeiträge zu ausgewählten Themen wie Nahrhafte Salatdressings, Microgreens selbst ziehen, Miso, Muscheln, Kimjang, das saisonale Kimchiritual und andere sind nicht nur eine Abwechslung in der Rezeptflut, sondern bereichern und vermitteln mit ergänzendem Wissen.

Würden wir die Wärme des Sommers genießen können, wenn die Kälte des Winters sie uns nicht versüßt hätte? Eine Frage, mit der Rachel de Thample die Tür zu Süsses aufstößt und den Spagat versucht, den Genuss süßer Lebensmittel mit heilenden, nährenden Eigenschaften zu verweben. Hierfür scheinen mir die Zitronen-Schneebälle ideal, die das par excellence bestätigen. Sweet and treat wie auch sweet and healthy sind diese leckeren Bällchen nach einem Rezept von Oma Ima Mae.

Es ist erstaunlich, wieviele Rezepte die Autorin für die Winterküche zusammengetragen hat, die auffällig, sich abheben gegenüber der üblichen Rezepteflut. Viele gute Rezepte, quasi essbare Wärmflaschen könnte man meinen. Zudem kommen sie mit einer überschaubaren Zutatenmenge aus. Allerdings sind es nicht immer gewöhnliche Ingredienzien, die hier verarbeitet werden, dessen muss man sich bewusst sein. Dukkah, Microgreens, Ghee, Kefir und anderes ist im Einsatz, was weit über das Normale in der Vorratshaltung hinausgeht. Aber Rachels Rezepturen sind etwas Besonderes. Klarerweise sind sie auf ihr Konzept abgestimmt und nicht unbedingt Jederfrau- und Jedermanns-Sache. Aber allemal einen Versuch wert und Karfiol-Liebhaber finden hier gleich dreifach die Bestätigung, dass Karfiol, also Blumenkohl, nicht gleich Blumenkohl ist. Denn der Ahorn-Miso-Blumenkohl aus dem Ofen schmeckt so anders wie die Blumenkohl-Lasagne oder gar der südindische Rasam mit Blumenkohl-Popkorn. Vorzüglich schmecken sie alle drei, wobei die Bezeichnung Blumenkohl-Popkorn etwas übers Ziel hinaus schießt, weil kross gebacken und gebräunt nicht gleich aufpoppen ist.

Rachel de Thamples Kochbuch Winterfest wird im englischen Original mit Winter Wellness betitelt. Zielt also mehr auf Wohlbefinden oder Wohlfühlen ab. Das mag für die Rezepte auch zutreffen, aber so wie ich Rachel verstehe, will sie mehr, nämlich den menschlichen Körper winterfest machen. Also nicht einmummen wie man Pflanzen vor dem Erfrieren schützt, so über den Winter rettet, sondern es gilt, den Körper zu stärken. Das hat auch der DuMont Verlag so gesehen und das Kältebeständige in den Titel eingetragen. Winterfest heißt aufrüsten, präparieren, um gut durch die winterliche Jahreszeit zu kommen, weil einfach zu viele Krankheitsverursacher darauf lauern zuzuschlagen. So sind Rachels Rezepte und Tipps nicht bloße Hungerstiller, nein. Sie unterstützen unser Immunsystem und unsere geistige Gesundheit in Zeiten der Kälte. Ihre Essensvorschläge sind kleine Kraftwerke mit Komfortzone wie der Gebackene Kürbis mit Kimchi-Butter oder der Peruanische Koriander-Eintopf, der mehr Fisch-Gemüse-Kokosmilch-Brühe ist und unter seiner Oberfläche Feines wie Krustentiere, Fisch, Kartoffel, Knollensellerie und Blattgemüse versteckt hält, einer Bouillabaisse ähnlich. Eingestreut in den Rezeptefluss offeriert – wie schon erwähnt – die Autorin allerlei Wissenswertes, quasi eine vertiefende thematische Ergänzung. Schöne Fotos von den Gerichten, auch winterlicher Natur, erfreuen unser Auge, lassen uns beim Durchblättern dann und wann verzückt innehalten. Rachel de Thample hat viel zu erzählen. Für Winterfest sollte man sich Zeit nehmen wie für die Mahlzeiten, die unseren Körper fit halten, ihm gut bekommen in den kalten Wintermonaten.