Heute reisen wir nach MAROKKO.
Mögen Sie Hochzeiten? Dieses Kochbuch beginnt mit einer Hochzeit in Marokko. Rob Palmer, Australier, und Sophia Thomasset, Französin mit marokkanischen Wurzeln, heiraten in Marrakesch. Sie vollziehen eine Liäson, im Gepäck drei Kulturen. Die Bühne bildet ein staubiges Fußballfeld neben dem Hochzeitslokal. Kinder umringen die Braut „Prinzessin, Prinzessin“ rufend; weit gereiste Hochzeitsgäste lächeln dabei. Diese Momente des Glücks sind die Initialzündung für ein Buchprojekt, das unter dem Titel ‚Zu Gast in Marokko‘ im Callwey Verlag erschienen ist. Rob und Sophias Hochzeit steht also am Beginn einer kulinarischen Entdeckungsreise, die ein Jahr später an dem selben Ort, mit denselben Kindern und einem Festessen auf dem selben staubigen Fußballplatz zu Ende geht. Aber der Reihe nach.
Das Cover ist ein Blickfang mit seinen farbenfrohen Ornamenten stilisierter Blumen sowie dem mittig, vertikal platzierten Titelschriftzug. Anders der Innenteil. Behutsam, mit ganzseitigen Abbildungen, beginnt die Reise in eine für viele wahrscheinlich fremdartige Kultur. Das erste Foto zeigt zwei Frauen, die Haare eingehüllt in rotem und gelbem Kopftuch, die mit dem Rücken zum Betrachter stehend ein Mahl bereiten. Ein Bild mit Hopperschen Zügen, das mehr Aussagekraft enthält, als man zunächst vermutet. Denn, marokkanische Hausfrauen stehen täglich mehrere Stunden in der Küche, um Brotteig zu kneten, Gemüse einzulegen oder eine der beiden Hauptmahlzeiten zuzubereiten. Männer sind aus dem Reich der Gaumenfreuden verbannt, dürfen maximal den traditionellen Minztee zubereiten und das Fleisch grillen. Eine Ausnahme bilden die Küchenchefs großer Hotels und nobler Gästehäuser, von denen einige in diesem Buch ebenfalls zu Wort kommen.
Die Rollenverteilung der Autoren sind vorgegeben. Rob ist für die Fotos zuständig und er beschreibt Begegnungen und Erlebnisse mit dem Blick eines Fremden, die, und das ist etwas Besonderes in diesem Buch, sich abheben vom Hauptteil. Es sind tagebuchartige Notizen auf weißen Seiten gedruckt, die kleiner als das eigentliche Buch und verteilt, immer am Beginn eines Kapitels, eingeheftet sind. Sophia ist Vermittlerin, Übersetzerin und für den Rezeptteil verantwortlich. Keine leichte Aufgabe, denn sie erhält von den Familienrezepten zunächst nur eine Zutatenliste. In Marokko lernt man Kochen durch Erfahrung, nichts ist aufgeschrieben. Deine Augen sind deine Messbecher ist die wenig hilfreiche Antwort der Mutter zu offenen Fragen von Kochablauf und Mengenangaben. Wenn du mehr wissen willst, musst du herkommen, war ihre Lösung, und das taten die Palmers.
Von Marrakesch aus führt ihre Reise zum Atlantik nach Essaquira, dann die Küste hinauf nach Rabat, den 34. Breitengrad entlang Richtung Osten bis zur algerischen Grenze nach Oujda. Zurück nach Fes, geht es von dort in den Süden nach Merzouga, zu Füßen der Dünenlandschaft des Erg Chebbi, um dann wieder in Richtung Westen abzudrehen über Quarzazate zurück zum Ausgangspunkt der Rundreise, der Königsstadt Marrakesch. Abwechslungsreich wie die Landschaften, sind die Menschen die ihnen begegnen und die Palmers an ihrem Lebensalltag teilnehmen lassen. Vordergründig drehen sich die Gespräche immer ums Essen ergänzt durch kurze Textpassagen und Bilder, die das soziale Umfeld ausleuchten. Entstanden ist dabei ein kulinarisches Portrait eines faszinierenden Landes, das im Wechselbad der Geschichte vielen Einflüssen ausgesetzt war und ist. Auf Berber und Schwarzafrikaner gehen einfache Gerichte auf der Grundlage von Grieß zurück, so der Couscous, das marokkanische Nationalgericht. Von der iberischen Halbinsel vertriebene Juden und muslimische Araber bringen das Süße und Pikante auf den marokkanischen Speisezettel. Eroberer aus dem Osten, die Kalifen aus Bagdad, verfeinern die lokale Küche mit Gewürzen wie Safran, Ingwer und Muskat. Und am Ende stehen französische Einflüsse, die sich eher in Restaurants und weniger in marokkanischen Haushalten durchsetzten. Mitprägend für die abwechslungsreiche Küche sind die Landschaftsstriche. An der Küste sind Fisch und Meeresfrüchte dominierend, im Landesinnern mehr Gemüse und Lammfleisch. 60 % der in Marokko gefangenen Fische sind Sardinen und somit immer wieder Gäste auf marokkanischen Esstischen. Sie bilden die Zutat für viele Gerichte, am häufigsten wohl für eine Fisch-Tajine, ein äußerst bekömmliches Schmorgericht. Die römische Geschichte war der Taufpate eines Hühnchengerichts. In den Ruinen von Volubilis nahe der Stadt Fes, kann man eine antike Olivenpresse besichtigen. Sie inspirierte zum Hähnchen mit grünen Oliven und Safran-Joghurt-Sauce. Welche Bedeutung Skhina, ein Rindfleisch-Kartoffel- Auflauf mit dicken Bohnen für die jüdische Kultur hat, wird erst klar, nachdem der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde von Marrakesch, Jacky Kadoch, aufklärt. ‚Skhina gibt uns Energie für die Aufgaben der Nacht!‘ meint er, es ist reich an Proteinen, was an Freitagen von höchster Wichtigkeit ist, denn dann werden die Babys gezeugt.
Allen Rezepten vorangestellt sind kurze Einführungen, die die Gerichte in den Kontext persönlicher Erfahrungen, historischer und kultureller Gegebenheiten, wie auch kulinarischer Inspirationen und Überraschungen stellen. Oder einfach als ‚So ist es‘ platziert, wie die Lamm-Pflaumen-Pastete. Für Sophia die perfekte Symbiose aus Marokko und Australien, in einem knusprig-goldenen Paket. Diese kurzen Geschichtchen sind cool, lustig, berührend, sachlich – immer amüsant und bereichernd.
Wer marokkanisch kocht bereichert seine Speisekammer mit Couscous, Bohnen, Linsen, Kichererbsen, Kürbis, diversen Gemüsen und Gewürzen, Obstiges wie Feigen und vor allem vielen Zitronen. Aber als Erstes sollten Sie Salzzitronen einlegen die Bestandteil einiger Gerichte sind.
Nachgekocht habe ich neben der Kürbismarmelade, die Kürbis-Kichererbsen-Suppe einen Klassiker der marokkanischen Küche, der mit Joghurt verfeinert wird. Die gedämpften Reisnudeln mit Wachteln, in meinem Fall mit kleinem Hähnchen, süß gewürzt mit Puderzucker, Zimt und Mandeln waren eine ungeahnte Köstlichkeit aus Fes. Der Fleischbällchen-Tajine mit Tomatensoße entpuppte sich mit Eiern angereichert – das nächste Mal werde ich sie weglassen – als ein wenig deftig aber köstliches Landessen. Hervorragend geschmeckt haben die Ziegenkäsetaschen, die von der jungen marokkanischen Köchin Bahija serviert werden. Sie verkörpert eine neue selbstbewußte Generation junger Frauen, die Marokko verändern wird. Das Rezept für diese einfachen aber wunderbar schmeckenden Briouats, wie sie in Marokko genannt werden, finden Sie im Rezept-Ordner.
Marokko ist immer eine Reise wert. Wenn nicht real dann mit diesem Länderkochbuch. Stimmungsvolle Bilder und einfühlsame, oft sehr persönliche, Beschreibungen bringen uns dieses Land und seine Menschen sehr nahe. Eindringlich erschließt sich dieses kulinarisch unbekannte Land über vielfältigste Gaumenfreuden die uns Rob und Sophia Palmer mit ihrem wundervollen Band ‚Zu Gast in Marokko‘ offerieren.