Heute reisen wir nach KLOSTERNEUBURG.
Um 1750 gab es im katholischen Europa von Portugal bis Polen mindestens 200.000 Mönche und 150.000 Nonnen, das entsprach ungefähr 0,3 Prozent der Gesamtbevölkerung. Auch werden in demselbm Jahr in Bayern noch zwei Abteien gegründet, was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass das klösterliche Wachstum seinen Höchststand erreicht hat. Mit dem Beginn der Aufklärung begann das Sterben der Klöster. Ein Konvent, der dieser Zäsur erfolgreich über die Jahre widerstand, ist das Augustiner-Chorherren Stift Klosterneuburg nördlich von Wien. Mehr noch. Das 900 Jahre alte Stift mit 48 Mönchen ist ein erfolgreiches Unternehmen, das nicht nur wegen des Verduner Altars besucht wird. Nein, viele kommen vor allem wegen der ausgezeichneten Weine, die in der hauseigenen Vinothek angeboten werden, aber auch, um im Stiftskeller einzukehren. Das Stift wird von Prälat Bernhard Backovsky geleitet, das Restaurant vom Profikoch Roman Czeczelich. Beide verbindet die Liebe zum Kochen – vor allem traditioneller Gerichte – aus der eine Freundschaft des Genusses wurde. Irgendwann beschlossen sie, ihre Lieblingsrezepte zu veröffentlichen. Schmankerln aus dem Stiftskeller ist der bezeichnende Titel ihres Kochbuchs, das im echomedia Verlag erschienen ist. Mit von der Partie ist noch die Fotografin Sabine Hauswirth, die sowohl die beiden Protagonisten und das Stift als auch das Gekochte mit ihrer Kamera eindrucksvoll erfasste. Das muss erwähnt werden, denn das Kochbuch wird getragen von wuchtigen, fotografisch dokumentierten Details. Es sind Bilder einer kulinarischen Reise als auch Impressionen vom Stift und dem Drumherum. Ergänzend dazu erzählt Miriam Jessa in ihrem Beitrag „Von Kindheit an mit der Kocherei verbandelt“, wie Prälat Bernhard Backovsky auf den Geschmack gekommen ist. Aus dem Gespräch erfahren wir bspw., worauf es bei Krautfleckerln mit Grammeln ankommt oder dass früher das rechte Maß fürs Schmalz eine Kelle war, die dem gekochten Gemüse beigegeben wurde. In einem einfühlsamen und interessanten Text geben der Prälat und der Koch Einblick in ihre Küchengeheimnisse. Und beide betonen, wie wichtig Geduld beim Kochen ist. Optimal drückt sich das bspw. beim Gulasch aus, das zwei, drei Tage nach dem Kochen erst richtig schmeckt, wie Roman Czeczelich betont. Und Prälat Bernhard Backovsky ergänzt: „Rasten lassen! Rasten, das tut nicht nur uns gut.“
In vier Kapiteln nähern sich die drei Verbündeten dem Kulinarischen und Alltäglichen. Einleitend werden Mensch und Stift beschrieben, dem folgt eine kulinarische Bilderreise durchs Kloster, den Kräutergarten, das Kochen als Prozess bis hin zum Tischgebet. Im dritten Kapitel werden die Rezepte vorgestellt. Dabei wird hier nochmals unterteilt in Suppen, Vorspeisen und Beilagen, Knödel, Hauptspeisen sowie Nachspeisen. Das ist vielleicht das einzig Lästige, dass die Rezepte so weit hinten beginnen, ab Seite 70. Diese Anmerkung ist zugegebenermaßen halbherzig, denn die Bilder und Texte haben durchaus etwa Kontemplatives an sich.
Die Rezepte beeindrucken vor allem wegen ihrer Einfachheit. Hier gibt es keine überkandidelten, aufgemotzten Essensvorschläge. Landhausrezepte könnte man sie fast nennen mit dem Hang zum perfekten Geschmack. So wird die Kürbiscremesuppe mit Schlagobers und Kürbiskernöl verfeinert, die Kohlsuppe ohne Bratwürsteln ideal zum Abnehmen angepriesen. Die Kohlsuppe mit Bratwürsteln wird an Sonntagen im Advent für die Chorherren gekocht. Ausgefallener wird es dann mit der Klosterneuburger Sulz oder dem Blunzenstrudel, wobei es sich bei der Blunzen – für die, die es nicht wissen – um die Blutwurst handelt. Also ein deftiges Gericht, das nicht jedermanns Sache ist. Aber spätestens beim Rieslingkraut sind alle Freunde kulinarischer Verführung wieder vereint. Dabei werden hier keine Rebenblätter verarbeitet, sondern Sauerkraut, das leicht karamellisiert mit einem mächtigen Schluck Riesling abgelöscht wird. Und dass in dieser Abtei Wein nicht nur zum letzten Abendmahl gereicht wird, sondern auch zu und in manchem Schmankerl wie dem der Martinigans oder dem geschmorten Stiftsbraten liegt auf der Hand, zumal das Stift Klosterneuburg zu den größten Weinproduzenten Österreichs zählt. Und weil das Unternehmen so renommiert und als erstes klimaneutrales Weingut erfolgreich ist, wird auch ein bisschen Werbung gemacht, was wir tolerieren.
Sehr löblich finde ich die kleine Sammlung von Knödelrezepten. Hier zeigt sich der souveräne Koch von seiner besten Seite. Fast beiläufig lässt er sein Kochwissen in die Rezepte einfließen. Etwa, dass die Kartoffeln für die Erdäpfelknödel im kalten Zustand verarbeitet werden müssen, da der Teig sonst zäh wird. Beim Bärlauchknödel möchte ich noch anfügen, dass es sich rentiert, den im Frühling geernteten Bärlauch einzufrieren um, jahreszeitlich ungebunden auch zwischendurch einen solchen Knödel zu genießen. Nun gut, das widerspricht ein bisschen Romans Leitsatz von frischen Lebensmitteln, aber die Bärlauchknödel schmecken mir einfach zu gut, als dass ich sie nur im Frühjahr genießen wollte.
Die Krautfleckerln mit gehackten Grammeln und Schnittlauch wurden schon erwähnt. Perfekt wird die böhmische Fastenspeise – und hier werden die Kockünste des Prälat sichtbar -, wenn man sie nicht wie heute üblich karamellisiert, sondern pikant zubereitet. Dabei gilt zu beachten, dass die Zwiebeln nur hell angeröstet und Grammeln keinesfalls zu klein geschnitten sein dürfen. Und für die Verdauung wird mit Kümmel gewürzt. Die Hauptspeisen sind etwas fleischlastig ausgelegt, das dürfte aber auch mit Niederösterreich zusammenhängen. Dort gehört die Martinigans, das gefüllte Bauchfleisch, die geröstete Leber, die geschmorte Lammstelze und andere fleischige Gerichte zu einem richtigen Sonntagsessen. Der geschmorte Stiftsbraten mit Rotkraut und Erdäpfelknödel mundete meinen Freunden ausgezeichnet; indirekt ein Indiz für die Güte der Rezepte.
In der Vorweihnachtszeit probierte ich den Lebkuchen aus. Der Schwund ist gigantisch und spricht für sich. Es ist ein einfacher Lebkuchen, der gleich nach dem Backen genießbar ist. Verführerisch gut und ideales Kraftfutter für Schitouren und lange Bergwanderungen, wie sich herausstellte.
Die Schneenockerln auf Erdbeersoße und die Stiftstorte stehen bereits auf meiner Liste. Wobei die Nockerln eindeutig Priorität haben, wenn es nach meinem Enkel Jakob geht.
Am Ende beglücken uns Fotogeschichten mit Eindrücken aus dem Stiftsküchen-Alltag, über Weinlese und barocke Kellerromantik, mit Impressionen vom Stift und vom Marktgeschehen. Das letzte Wort aber hat der Koch, der überblicksmäßig zusammenfasst, welche österreichische Sorte in welchen Monaten reif ist für die Küche. Im Dezember stehen saisonal diverse Kohl- und Wurzelgemüse wie auch Äpfel und Birnen hoch im Kurs. Wer sich getraut, mag sich im Apfelstrudel testen, und den Strudelteig so dünn ausziehen, dass man durch ihn hindurch eine Zeitung lesen kann. Je öfter Sie es versuchen, desto weniger werden die Löcher im Teig, das garantiere ich Ihnen.
In Schmankerln aus dem Stiftskeller von Roman Czeczelich und Prälat Bernhard Backovsky geht es nicht nur ums Kochen mit Leib und Seele, sondern vor allem ums Kochen für Leib und Seele. Die meist einfachen und bodenständigen Rezepte garantieren gutes Gelingen und damit zufriedene Gäste und Köche sowie Köchinnen. Erwähnenswert ist jedenfalls auch Jacek Malinowski, der das gestalterische Kunststück schaffte, die profanen und sakralen Welten in Bild und Text friedlich zu vereinen. Der hohe Bildanteil und vor allem die großformatigen Details wie auch Fotostrecken sind zwar gewöhnungsbedürftig, geben aber so einen guten Einblick in die Stiftsküche, wo sowohl weltliche als auch geistliche Blickrichtungen vertreten sind. Der Geschmack ist in beiden Bereichen etwa derselbe wie auch das dampfende Resultat: es schmeckt ausgezeichnet, was uns die beiden Kochfreunde servieren. Kein Wunder, ist die Dosis Herz für Bernhard Backowsky eine wohl bemessene Zutat in allen Essen. „Das Herz muss in den Topf!“