Ronny Lolls, SeelenFUTTER!

Auf der Suche nach gekochtem Glück und echten Lieblingsgerichten

Fotografiert von Jigal Fichtner
Team Tietge Verlag, Offenburg, 2021, 288 Seiten, 30.70 Euro
ISBN 978-3-949346-00-2
Vorgekostet

Heute reisen wir durch DEUTSCHLAND.

Vorwiegend. Auch das benachbarte Ausland wird besucht. Österreich zum Beispiel, das Elsass und die Schweiz. Schauen in so manche Küche und lassen uns überraschen, was dort aufgetischt wird. Neben traditioneller Kost findet sich auch Exotisches aus der mediterranen und der asiatischen Küche. Ein Mix von Vielem. Die Reisenden und die Besuchten eint das Essen, vielleicht mehr noch das Kochen. Im Hintergrund aber steht die ultimative Suche nach dem Seelenfutter. Ein schönes Wort, mit dem jede und jeder etwas anderes in Verbindung bringt. Ein Wort, das die meisten in ihre Kindheit versetzt, vielfach Erinnerungen an die Oma-Küche wach werden lässt. Vor dem geistigen Auge steigen Bilder kleiner Tafelfreuden auf, Aromenschwaden durchziehen das Gehirn. Kulinarische Spuren der Vergangenheit, die finden sich vor allem in Ronny Lolls Kochbuch Seelenfutter!, das im Verlag Team Tietge erschienen ist.

Ronny Loll ist Koch und Autor. Ein Mann, der auch in Kochshows mitmischte, allerdings mehr im Hintergrund. Sarah Wiener erinnert sich an einen jungen, gut aussehenden liebenswürdigen Mann, der die Ansprüche der Köchin nach den besten Produkten unaufgeregt, mit großer Geduld und Achtsamkeit erfüllte. Das war 2008 und seitdem verbindet sie eine Freundschaft mit vielen Gemeinsamkeiten. Auch die Vorstellung, dass man beste Speisen nur aus besten Zutaten kreieren kann. Das ist ein roter Faden, der sich durch das Kochbuch zieht. Gemeinsam mit 22 Köchen, davon ein Viertel Frauen, spürt Loll dem Futter fürs Gefühlsleben nach. Keine leichte Aufgabe, denn der Nabel menschlichen Empfindens ist ein Gral, ist Emotion. ‚Es sind Geschmäcker, die durch Omas und Mütter geprägt wurden, vielleicht auch durch den Vater. Oder durch eine Umgebung, durchs erste Date oder einen Urlaub. Wir verknüpfen es mit Momenten, an die wir uns gerne erinnern. Die Gerichte selbst variieren dabei von Region zu Region. Sie können deftig oder süß sein …‘ So beschreibt Loll seinen Ansatz und lässt ihn sich bestätigen von einigen Großen der Zunft und Kochbuchszene. Harald Wohlfahrt, Rainer Sass, Lucki Maurer, Meta Hiltebrandt, Veronique Witzigmann und Antje de Vries, um einige zu nennen. Gemeinsam mit ihnen präsentiert Ronny deren Inbegriff von Nahrung fürs Herz. Ronnys Nichten Martha und Lena lieben Oma Kaschows Quarkbällchen – sie belohnen und trösten, versöhnen und verbinden. Und der Onkel erinnert sich gern an die leider verstorbene Großmutter, wie sie in ihrer Kittelschürze in der Küche an einem mit Holz und Kohle zu befeuernden Herd stand, wo man noch Ringe herausziehen konnte, um die Feuerstelle dem Topf anzupassen. Die Quarkbällchen wurden in tiefem Fett ausgebacken und zu einer Pyramide aufgestapelt. Danach verschwanden sie unter einer riesigen Puderzuckerwolke. Das ist Seelenfutter, wortwörtlich ausgelegt im Gedenken an Oma Kaschow, die Else hieß.

Den Reigen der Gerichte, die das Glück verheißen, eröffnet Ronny Loll mit acht Rezepten. Neben den Quarkbällchen kommen Rindfleisch als Kotelett, Roulade oder Ossobuco auf den Tisch, aber auch Schokopudding mit Vanillesauce oder Königsberger Klopse mit Bratkartoffeln. Dass das Seelenfutter sowohl spalten als auch einen kann, beweist der Autor mit den Klopsen. Für ihn steht fest: Das Rezept meiner Familie ist das einzig wahre. Große Klopse, ordentlich süßsauer, müssen es sein und Kapern müssen rein, viele Kapern. Meine Frau sieht das etwas anders. Die Klopse müssen klein sein, dafür natürlich mehr, es darf nur dezent süßsauer schmecken, sonst sind es eben keine Königsberger. Okay – mein Kompromiss: Machen wir die Klopse etwas kleiner, beim Geschmack verstehe ich aber keinen Spaß …

Für Sarah Wiener ist das Wiener Saftgulasch eine ihrer Lieblingsspeisen. Der Duft nach gebratenem Fleisch mit Paprika, Majoran und einem Hauch von Kümmel machen es für sie unwiderstehlich. Damit es nicht zu trocken wird, verwendet sie lieber das Fleisch von der Wade, das gut mit Sehnen durchzogen ist und durch die lange Kochzeit schön saftig und marmeladig wird. Es sind diese kleinen Geheimtipps, die immer wieder auftauchen und dieses Kochbuch und manches Rezept zu etwas Besonderem machen. Das Saftgulasch darf in keinem Wiener Beisl fehlen, weil es zur Stadt gehört wie die Heurigen und die Lippizaner. Und Wien ist ihre Vaterstadt. Denn, für Sarah Wiener ist Heimat nicht nur ein Gefühl, sondern auch eine Geschmackserinnerung, wie Muttis Wirsingroulade oder Omas Marillentopfenknödel.

Antje de Vries verknüpft mit ihren Rezepten Erinnerungen an Opa Hilk und an ihre Mutter, der schnellsten Krabbenspulerin des Nordens. Gleichzeitig fließen in ihre Gerichte auch neue Erfahrungen aktueller Projekte ein, in diesem Fall balinesische Geschmacksnoten. Sie serviert uns ein Stubenküken-Ragout mit Nasi Kuning. Der Reis, ein Berg aus Gold mit verführerischen Düften, ist hier eine Beilage, auf Bali aber auch sehr oft Teil von Zeremonien. Zu Puffert, dem gedämpften Hefepudding Ostfrieslands, gibt es ein Mango-Kompott anstelle der traditionellen Peern. Antje merkt dazu an: Da ich in die Kraft der Pflanzen vertraue, hab ich den Puffert vegan gemacht und für meine Schwester Hilke mit cremigem Kokos versehen! Das sollte man probiert haben.

Am Flädle, den Eintöpfen wie auch an den Oeufs à la Neige, Schnee-Nockerl oder Schnee-Eier ‚auf gut deutsch’, hängt für den Drei-Sterne-Koch Harald Wohlfahrt der Duft von Früher. Es waren richtige Glückstage, wenn man beim Heimkommen gerochen hat, was es Gutes gibt. Zu diesen Geschmacksbildern gehört auch Linsen mit Speck und Spätzle, ein Klassiker der badischen und schwäbischen Küche. Für Wohlfahrt, ein wunderbar herzhaftes Gericht. Ehrlich und einfach. Perfekt im Herbst oder Winter, wenn man lange draußen war. Mit selbst gemachten Spätzle sind sie aber mehr als nur ein schnelles Essen – sie sind für mich ein Stück Heimat. Und daher auf meiner Seelenfutter-Rangliste ganz weit oben.

Neues und manch Bekanntes lässt sich in Ronny Lolls Kochbuch entdecken. Viele Fleischgerichte. Dazwischen fleischlos und freudvoll Matthias Gförers Sommergemüse à la Escabeche oder Rainer Sass frittierte Senfeier mit Kartoffelstampf oder Stefan Wiertz Milchreis à la Mama.

Metamorphosisch hingegen gibt sich Meta Hiltebrand, wenn sie den Geruch der Ferien, des Meeres, mit frischen Muscheln auf den Tisch bringt. Miesmuscheln im Bier-Fenchel-Safran-Sud zu welchen man frischen, spritzigen Weißwein trinken soll und sich fallen lassen und genießen. Nicht falsch ist es, wenn neben jedem Teller noch eine Fingerbowle steht, mit warmem Wasser, 2-3 Zitronenscheiben und Rosmarinzweige darin. Meta mag es, mit Freunden und Familie gemeinsam zu kochen. Sie ist Schweizerin, liebt ihre Käsekultur und Raclette, der Eidgenossen wahrscheinlich liebstes Gemeinschaftsessen. Auf das angesprochen, wird die Köchin todernst, denn mit Käse spielt man nicht! Im Käse ist der Duft der Alpen und beim Fondue à la Meta sitzen sie zusammen, vor dem Topf und tunken die aufgespießten Brotstücke in den flüssigen Käse, erzählen sich dabei Neuigkeiten. Da wird allen warm ums Herz, Seelenfutter in behaglichem Ambiente. Meta mischt Freiburger Vacherin mit Gruyère rezent, zwei exzellente Schweizer Käse. Anmerken hätte man können, was rezent bedeutet, im Falle des Gruyère heißt das 7-10 Monate gereift, wenn ich mich nicht irre. Wichtig ist Meta auch, dass das Caquelon (Fonduetopf) mit Knoblauch ausgerieben ist. Allium sativum, so die botanische Bezeichnung des Knoblauch, wurde von den römischen Legionären vor einer Schlacht als eine Art Aufputschmittel gegessen, auch Hähnen gab man ihn vor dem Kampf. Vielleicht sind Metas Fondueabende auch hitzige Debatierrunden und es wird, um die Gemüter zu beruhigen, viel Bier dabei getrunken.

Auf alle Fälle ist Ronny Lolls Seelenfutter auch eine Art Tagebuch von Fahrten zu Freundinnen und Freunden, deren gemeinsamer Nenner die Kochleidenschaft ist. Die Zielorte sind ausgewiesen mit Koordinatenangaben, wer es überprüfen will, hier ein Beispiel. In Bayreuth, 49 Grad 56 Min 44 Sek Nord und 11 Grad 34 Min 16 Sek Ost ist der Herr der Windbeutel, Andreas Opel, anzutreffen. Von ihm gibt es nicht nur ein ‚windiges Brandteiggebäck‘ mit ordentlich Sahne und Schokosauce – kurz: Opel‘sche Windbeutel, sondern auch die Fränkischen Karthäuser mit Vanillesauce, ein geradezu himmlisches Vergnügen.

Die Herausgeber dieses Kochbuchs, Ronny Loll und Uwe Tietgen, haben die Vorstellung, dass die Gerichte aus diesem Kochbuch Freundschaften besiegeln. Ja, einige haben das Potenzial dazu, da bin ich mir sicher. Die Matelote zum Beispiel, ein Fischeintopf, den auch Casanova in seinem Repertoire hatte. Das Rezept steuerte übrigens Uwe bei.

Der Charme von Seelenfutter! liegt m. E. eindeutig in der Mischung von erzählten Lebensabschnitten exzellenter Köchinnen und Köche, vielen Erinnerungen an heimelige Gefühle, auch und bestätigt durch die hier versammelten Gerichte. Es sind vielfach Familienrezepte, darunter einfache Gerichte, herzerwärmend. Und wer sich Seitenblicke-Gespräche vorgeführter Prominenter erwartet, liegt bei diesem Kochbuch falsch. Manche der vorgestellten Persönlichkeiten geben mehr von sich preis, einige verbleiben im respektvollen Abstand, aber wenn es ums Essen geht, dann sprudeln die Erinnerungen.

So erinnert sich Sascha Balser, der die Band Rammstein bekochte, an einen einschneidenden Italienaufenthalt. Auf dieser Reise habe ich in Apulien ein Gericht gegessen, das nicht nur viele unserer Gäste später glücklich machen sollte, sondern aus meiner Sicht eines der besten Pastagerichte Italiens darstellt. Orecchiette Al Burro Di Fagioli Cannellini – mit muschelförmigen Fertignudeln – ist schnell gemacht und schmeckt einfach nur wundervoll. Die Orcchiette setzt den Schlusspunkt stellvertretend für alle anderen vorgestellten Gerichte, die einzig und allein der menschlichen Mitte und dem Essen verpflichtet sind – dem Seelenfutter! Das sind Erinnerungen mit dem Gaumen.