Wir treffen uns auf dem Maydān.
Das ist der Satz, den Rose Previte wohl am häufigsten hörte, als sie mit ihrem Mann durch die Länder Osteuropas, des östlichen Mittelmeerraums, Nordafrikas, Zentral- und Südasiens reiste. Immer wieder: Das Fest ist auf dem Maydān. … Die Gedenkfeier ist auf dem Maydān. … Die Revolution findet auf dem Maydān statt. 2004 protestierten tausende Menschen auf dem Euromaidan in Kiew gegen die Wahlfälschung des autokratischen Regimes. Bei eisigen Temperaturen harrten sie aus, schufen so den Mythos Maidan. Ein Begriff, der sich über die menschengemachten Grenzen hinweg durchgesetzt hat. Ein sprachübergreifender Grenzgänger, weil, auf das Kochen angewandt, sich die in ihrem Wesen verwandten Esskulturen von Marokko und Tunesien über den Libanon, Syrien und die Türkei bis nach Georgien und in den Iran erstrecken, behauptet Rose. Und weiter: Selbst wenn ähnliche Gerichte nicht den gleichen Namen tragen oder von Ort zu Ort und Land zu Stadt etwas anders zubereitet werden, haben viele Zutaten und Rezepte aus diesem Teil der Welt auf dem Rücken und in den Köpfen von Menschen die Grenzen überschritten. Der Versammlungsort als Narrativ zusammen mit dem familiären Zauber levantinischer Abstammung ergibt den Stoff für Maydān – in Freundschaft essen, das im Knesebeck Verlag auf deutsch erschienen ist.
Es ist ein kulinarisches Abenteuer in acht Kapiteln. Eine Reise entlang alter Gewürzhandelsrouten, die Rose zu Rezepten mit dem Aroma der Levante inspirierten, wie es im Untertitel so schön heißt. Dazu gehören eben Familiengerichte ihrer libanesischen und sizilianischen Großmütter. Diese wurden über Generationen weitergegeben, während die Sprachen der Nonnas ins Abseits gerieten.
Womit beginnen, ist für Kochbuchautorinnen und -autoren immer eine essentielle Frage. Und die Entscheidung für Dips & Saucen kam aus der Erfahrung, wenn nur zwei Saucen im Kühlschrank sind, inklusive einem Korb Fladenbrot und einer kleinen Auswahl verschiedener Speisen, dann ist die kleine Mahlzeit perfekt. Die Schälchen mit den Dips und Saucen sind Ausdruck puren Glücks wie auch einer Lebenshaltung, und nicht zu vergessen, sie verleihen jedem Gericht einen fantastischen Geschmack. Während Tahin und Harissa den meisten bekannt sein dürften, ist die aufgeschlagene Knoblauchsauce Toum wahrscheinlich nur eingefleischten Knoblauchfans geläufig. Wie auch vielen Türkeireisenden gar nicht bewusst sein dürfte, dass ihr frischer Tomatensalat mit Ezme verfeinert wurde. Bekannt auch als das türkische ‚Pico de Gallo‘ erhält die scharfe Sauce hier mit dem Sherryessig und Granatapfelsirup eine leicht süßliche Note. Eine andere scharfe Chilisauce ist die Rote Shatta, die mit Apfelessig einen Hauch von Frucht bekommt. In Previte’s Restaurants gehört die süße Tomatenkonfitüre zu den beliebtesten Speisen, ein Renner, sodass die Gäste sie sogar in Gläser abgefüllt mit nach Hause nehmen. Besonders gut schmeckt die Konfitüre zu Entenbrust mit Ras el-Hanout. Nach diesem fulminanten Einstieg glaube ich Rose gerne, dass Dips & Saucen der Weg zum leckersten Bissen sind. Im zweiten Kapitel erweitern wir das Repertoire an Dips mit Mezze und Aufstriche. Ein Warm-up für das eigentliche Essen, wie die Amerikaner die kleinen Vorspeisen nennen. Jetzt tauchen wir endgültig in levantinische Essensvorstellungen ein. Kräuter und Gemüse dominieren hier. Das Rote-Bete-Borani kann sich in der Konsistenz nicht richtig entscheiden, ob es Dip oder Sauce sein will. Borani verlangt Joghurt, während das Rezept erstgereiht Labneh vorschlägt, das ist Frischkäse, der das Ganze cremiger macht. Wer griechisches Sahnejoghurt verwendet, muss sich bewusst sein, dass der leicht säuerliche Unterton vom Labneh verloren geht. Spannend finde ich den Mangold Dip, M’tabbal Dulu’el-Selek, der auch mit Auberginen toll schmeckt. Die Eierfrüchtchen spielen in der levantinischen Küche eine wichtige Rolle. Und eines der bekanntesten ist natürlich Baba Ghanoush, ein Auberginenpüree, das in unzähligen Variationen rund ums Mittelmeer als Dip oder Brotaufstrich serviert wird. Rose Previte favorisiert das libanesische Rezept ihrer Mutter, das im Vergleich zu anderen Auberginenpürees, die ich kenne, mehr Tahin und Zitronensaft enthält. Während Kathy Kordalis ihr Baba Ghanoush mit im Backofen gebräunten Karfiol erweitert, bleibt Claudia Roden erstaunlich zurückhaltend, reduziert es auf Gemüse und Zitrone, was den leicht bitteren Geschmack der gerösteten Auberginen unterstreicht. Immer aber müssen die Auberginen geröstet werden, bis die Schale schwarz ist, auf offenem Feuer, egal ob Grill, Lagerfeuer oder Camping-Kocher. Erst die rauchige Note des Auberginenfleisch macht das Baba Ghanoush zu einem guten und dazu zählt die Baba Ghanoush nach Art meiner Mutter.
Ebenfalls libanesisch und eine traditionelle Beilage zu Lammfleisch, ist Bamia. In diesem Eintopf dominiert Okra, während die Tomate das flächige Grün mit roten Farbtupfern durchbricht. Erstaunlich aber wahr, Bamia kann beides sein, Salat oder Eintopf.
In der dritten Abteilung dreht sich alles um Salate, Gemüse und Dolmas und es versteht sich von selbst, dass das Beste aus dem Garten kommt. Das Ergebnis, ob roh oder gegart – die Gemüse und Salate sind so simpel wie besonders. Ein Gericht muss ich hervorheben: Koosa, gefüllt mit Lammhackfleisch und Reis, ist das ein absolutes Wohlfühlgericht. Allerdings ist der Koosa-Kürbis den allerwenigsten ein Begriff und die Übersetzung mit Sommerkürbis zwar richtig, dennoch oberflächlich, und beides wahrscheinlich auch irritierend. Unter Sommerkürbis sind allgemein die Zucchini zusammengefasst. Zu diesen mild schmeckenden, zart getönten Gartenkürbissen – Cucurbita pepo subspez. – zählt der Koosa. Aus der Abbildung ist erkennbar, dass es sich um die Sorte Tiger Cross handelt, weil äußerlich von gelb-grünem, fein gesprenkeltem Farbton. In unseren Breitengraden ist es eher üblich, die Zucchini zu halbieren und entkernt wie Schiffchen zu beladen. Bei Rose werden sie ausgehöhlt und mit einer Reis-Lammhack-Mischung vollgestopft, ähnlich wie die gefüllten Paprika, um sie dann in einem Bad aus duftender, würziger Tomatensauce zu kochen. Ob das Gericht wegen des Zimts, der hineinkommt, in ihrer Familie zum Weihnachtsessen zählt, erfährt man nicht.
Dass die Autorin Sinn für Humor hat, zeigt sich bei einigen Kapitelüberschriften. Da geht es um köstliche Kohlehydrate, eben Brot, Getreide und Hülsenfrüchte oder um Essen am Stiel, was sich vor allem auf Streetfood bezieht und meint Kebabs wie auch preiswerte, schmackhafte Mahlzeiten am Spieß. Es sind Düfte wie aus den Kebab-Läden im Libanon oder Mishkaks im Oman oder in den Restaurants der Türkei, hier wird Essen zum Vermittler zwischen Orient und Okzident. Und man staunt, wie reichhaltig die Welt außerhalb der Dönerbuden sein kann. Hähnchen und Schwertfisch bekennen sich zum Lokalpatriotismus, spiegeln ihre regionale Bedeutung im Titel wider: Gegrillte Aleppo-Lammhackspieße oder Garnelenspieße nach Oman-Art. Herausragend dann Kebab bel Karaz, das sind Lamm- oder Rinderhackbällchen, die in einer Sauerkirschsoße geschmort alle Essenden zum Dauerlächeln verführen. Jedenfalls machte Maria ein zufriedenen Eindruck, als ich ihr dieses Rezept verriet – sie hatte noch eingefrorene Sauerkirschen.
Kennen Sie den Film My big fat greek wedding? Da verliebt sich ein weißer Amerikaner in ein griechisches Mädchen, was schon nicht gut geht, zudem ist er noch Vegetarier. Es spitzt sich zu, als er neben allen Turbulenzen zwischen die Genuss-Fronten gerät, weil Tante Toula feststellte: Sie essen kein Fleisch?! und ihre Lösung: Ich mache kein Fleisch?! Das ist okay, ich mache Lamm. Lamm ist das Gebot des sechsten Kapitels. Aber auch Geflügel, Fisch & Meeresfrüchte. Jedenfalls versteckt sich das Hähnchen Satsivi unter einer dicken Walnusssauce. Mit wenigen Handgriffen lassen sich Meerbrassen und Wolfsbarsch zubereiten. Beim gebratenem Fisch mit pikantem Weißkohl werden die ofengegarten Meerestiere auf ein Kohl-Fenchel-Bett gelegt und mit Chermoula, bzw. Rote Shatta und Olivenöl beträufelt – fertig.
Rose Previte ist nicht nur übersprühend und vor Freude tanzend, sondern auch Kauffrau und Restaurantbetreiberin. Daher gibt es bei ihr neben intimen Zweier-Tischen auch lange Tischreihen für sechs und mehr Personen, ganz dem Maydān-Gedanken verpflichtet – ein Versammlungsort Vieler. Um eine größere Gesellschaft zu verköstigen, bedarf es guter Planung und dafür stellte Rose drei Tawle-Menü-Vorschläge zur Verfügung. Es gilt, Köstlichkeiten für jeden Geschmack aufzutischen. Der Maydān-Tawle besteht bspw. aus folgenden Gerichten: Eingelegte Gurken, Rüben und Tomaten, Hummus auf dreierlei Art, Persische Rinderhackspieße bis zu gegrilltem Halloumi mit Dukkah und Honig oder Lammschulter mit syrischem Siebengewürz nach Maydān-Art. Danach kommt der Nachtisch, und der ist angepasst auf Menschen mit Laktoseintoleranz, kein Scherz. Rose selbst kann nicht bedenkenlos Milchprodukte essen und deshalb sich selbst als Massstab der Verträglichkeit herangezogen. Sie probierte alle Dinge, die sie selbst eigentlich nicht essen sollte, aus und so sind nur Rezepte, die die Aufnahmeprüfung bestanden haben, in diesem Buch. Darunter sind erstaunlich viele Käse-Gerichte wie Pikante Käsebällchen oder die Käsepastetchen. So gesehen ein heikles Thema, weshalb wir schnell ins letzte Kapitel huschen. Das süße Ende gilt den Desserts. Ich mache es kurz! Die Früchteplatte mit Orangenblütensirup war der Star eines gelungenen Abendessens, auch wenn ich den Orangensirup durch Holler ersetzte.
Maydān – in Freundschaft essen von Rose Previte und Marah Stets spürt dem Bouquet des östlichen Mittelmeerraums nach. Sie lassen ihn hochleben mit unvergleichlich schmackhaften Gerichten. In mehr als 150 Rezepten werden kulinarische Landschaften vom Kaukasus bis ins Libanongebirge abgebildet, manche von Rose Previt ihren Vorstellungen entsprechend adaptiert. Die Rezepte in diesem Buch, übernommen von vielen KöchInnen, oft Großmüttern, drücken Gefühle wie Freude, Fernweh und Gemütlichkeit aus. Es sind Erinnerungen an Ausflüge in andere Ess-Kulturen, die die Previts auch während ihres dreijährigen Moskauaufenthaltes machten. Dazu kommen die Fotos und die Sprachgewalt Marah Stets, die ein wenig das Aromentuch der Levante lüften. Angelegt sind viele Rezepte für 4-6 aber auch für 10-12 Personen, wie der Weißkohlsalat mit Minze. Das Soziale im Essen steht für Rose ganz vorne und das drückt sich im Khachapuri wohl am besten aus, war es doch dieses Gericht, dass Rose den Traum eines eigenen Restaurants verwirklichte. Ich beschließe mit diesen georgischen Käsebroten meinen Ausflug zu den Maydāns des Ostens. Serviere meinen Freunden diese beliebten Brotboote, wissend, dass sie wie Eisbrecher die Stimmung und Diskutierfreude der Runde beleben. Und wenn wir das Glas mit dem Za’atar-Martini erheben, dann knistert die Luft nach Maydān-Magie. Dafür danke ich Rose Previte und ihren Levante-Rezepten.