Sarah Owens, Sauerteig

Echtes Brot und mehr

Fotografie Ngoc Minh Ngo
Übersetzt aus dem Englischen von Hartmut Ertl
Knesebeck Verlag, München, 2017, 288 Seiten, 30.80 Euro
ISBN 978-3-95728-005-3
Vorgekostet

Heute reisen wir nach WILLIAMSBURGH.

Williamsburgh – das ist ein Stadtteil von New York. Ich wage zu behaupten, dass es in New York vielleicht ein knappes Dutzend Bäckereien gibt, wo man gutes, im mitteleuropäischen Sinn gutes Brot, bekommt. Ich weiß, das ist eine sehr gewagte Aussage und es wäre auch eine eigene New York Reise wert, diese Behauptung zu verifizieren. Ich kann mich nur an Zabar’s am Broadway erinnern, wo mir auch erzählt wurde, dass die Leute jeden Morgen anstehen, fast kämpfen um die SauerteigBaguettes, die dort verkauft werden. Jetzt ist mir eine zweite Adresse bekannt in Williamsburgh. Die würde ich sofort aufsuchen, um dem amerikanischen Schlabberbrot zu entkommen. Die BK17 Bakery, ein Ein-Frau-Betrieb, mit handgemachtem Sauerteigbrot. Auch hier kursieren Gerüchte, dass es gar nicht so leicht sei, an einen Laib heranzukommen. Sarah Owens, die Bäckerin kam dazu wie das Kind zum Bade. Ein Reizdarm änderte Sarahs Ernährungsgewohnheiten und der Sauerteig, das ermittelte sie in kulinarischen Selbstversuchen, brachte die nachhaltigste Wirkung auf ihre Verdauung. Brot zu essen war plötzlich ein Genusserlebnis und Brot drängte sich ab nun immer mehr in ihr Leben. Owens, die Keramikerin und Gärtnerin, begann sich mit Sauerteigbrot zu beschäftigen. Mittlerweile ist es eine Obsession und vermutlich einträglicher als die Gartenarbeit. In einer fünf Quadratmeter großen Küche, wie New Yorks Küchen eben sind, buk und experimentierte sie mit Hefe und Sauerteig. Die wohlduftenden Ergebnisse blieben nicht lange geheim und seither bäckt sie mit Zauberhand Brot, das viele knurrende Mägen nährt. Der Sauerteig heilte und veränderte Owens. Ihr Wissen gibt sie weiter in Kursen und Büchern. Sourdough, ihr erstes Kochbuch ist mittlerweile ein Klassiker und, wie gut, dass es den Knesebeck Verlag gibt, nun auch auf deutsch erhältlich. Sauerteig von Sarah Owens handelt von echtem Brot und mehr, das verspricht zumindest der Untertitel. Von echtem Brot gibt es so viel wie echte Bücher und echte Verlage. Hier hätte der Verlag sein Köpfchen ruhig mehr anstrengen und für rustic fermented breads sich etwas Originelleres einfallen lassen können. Gut, wir wollen nicht Korinthen backen. Denn dafür ist dieses Brotbuch viel zu gut, um auch nur eine Krumme eines Schattens heraufzubeschwören.

Sauerteig ist ein großartiges Brotbackbuch, das vorweg. Die Autorin nähert sich in zwei Hauptteilen dem zweitwichtigsten Lebensmittel an: zunächst theoretisch und dann ausführlich mit ertragreichen Vorschlägen die Vielfalt, die im Sauerteig steckt, praktisch auszuloten.

Die ersten drei Kapitel durchleuchten den Wunderwuzzi. Da geht es ums Werkzeug, Techniken, die Zutaten aus der Vorratskammer, den Sauerteig selbst. Sehr anschaulich und fundiert listet Owens darin Wichtiges und weniger Wichtiges auf, vom Anstellgut, dem Starter, übers Vorformen bis zum hitzebeständigen Schutzhandschuh. Alles, wirklich alles, bis ins kleinste Detail, wird hier beschrieben, z.Bsp. das Entenfett, das ein wunderbar seidiges Mundgefühl erzeugen kann. Sehr schön, ja geradezu liebevoll ist ihre Einführung in den Sauerteig. Nun, es geht ja auch um eine Mutter-Kind Beziehung. Hier spätestens wird klar: Wer mit Sauerteig arbeitet, Brot backt, benötigt Zeit. Wer nicht bereit ist, Zeit aufzubringen, dem bereitet dieses Kochbuch nur halbe Freude. Nicht für alle Rezepte werden Starterkulturen benötigt, zudem kann man sie auch vom Bäcker kaufen. Nachdem der Starter dann erfolgreich angesetzt ist, kann es losgehen mit dem Backen.

Ausgangslage für die weiteren Kapitel sind die vier Jahreszeiten. In diesen Kontext eingebettet wird eine Fülle von Backwaren vorgestellt. Ob Sie nun mit den Rezepten im Winter die Seele wärmen oder mit dem Frühlingserwachen die Rückkehr des Grüns feiern, das bleibt Ihnen überlassen. Owens Zugänge kommen sehr stark über die Natur. Das hängt auch mit ihrer Ausbildung als Gärtnerin zusammen und ist für uns Anwender ein doppelter Glücksfall. Ihre Sensibilität und Einstellung zu Kräutern, Gewürzen, Samen und Nüssen wie auch Gemüse und Früchten findet Ausdruck in der Beschreibung, wenn sie bspw. die Haferwurzel vorstellt, die für Haferwurzel-Puffer benötigt werden, oder die Rote-Bete für das Rote-Bete-Brot usw. Es sind auch die vorgestellten Pflanzen oder Ingredienzen wie Süßkartoffel, Große Klette, Feuerbohne, Bronce-Fenchel u.a., die dem Brotbackbuch einen botanischen Touch der Sonderklasse verleihen. Wir kennen alle die stacheligen Blütenkugeln der Großen Klette, die sich gerne bei Wanderungen in unserer Kleidung oder im Fell des Hundes festkrallen. Dass die Stiele mit nussigem Aroma an die Artischocken erinnern und die seidigen Blätter ein guter Bärlauchersatz sind, daran denken wohl die wenigsten. Diese ergänzenden Beschreibungen von Pflanzen, die dem Brot eine besondere Note verleihen, werden sehr humorvoll und prägnant dargestellt. Die Pflanzen sind zudem auch einzeln abgebildet, von der Wurzel bis zur Blüte. Überhaupt hat die Fotografin ein feines Gespür für Pflanzen und Food Styling. Man verspürt einen großen Gusto ob der abgelichteten Brote und Gerichte.

Das Süßkartoffelbrot war eine wunderbare Entdeckung. Wenn auch die Melasse ein wenig das Rötliche ins Bräunliche umgefärbt hat, das Brot duftete so verführerisch, dass der erste Laib innerhalb weniger Stunden verputzt war.

Ebenfalls eine Offenbarung war das Freundschaftsbrot. Obwohl ich fast verzweifelt wäre über die nasse Teigführung und nur sehr widerwillig der Versuchung, Mehl zum Binden zuzugeben, widerstand. Aber es zahlte sich aus. Und hier ist der Erfahrungsschatz der Autorin Goldes wert, die im Vorspann vor der Mehlzugabe-Versuchung warnt.

In allen Rezepten lässt die Autorin im Vorspann Hintergrundwissen einfließen. In leichtem erzählerischen Ton lässt sie private Erinnerungen aufleben oder berichtet über bestimmte Zutaten, die im Zusammenhang mit dem Gericht stehen. Zatar und Granatapfelkerne lernte sie von einem iranischen Einwanderer und Koch kennen, die sie dann in in einer belegten Focaccia verarbeitete. Focaccia mit Granatapfelkernen & Za’atar – dieses italienische Brot vereint sich hier mit der amerikanischen Vorstellung vom Orient. Schmeckt wunderbar, wenn Sie das Gewürz Sumach mögen, das Hauptbestandteil von Za’atar ist.

Ein feiner Frühlingsbote sind die Frühlings-Tartelettes. Sie servierte ich meiner Literaturrunde, die begeistert war und vielleicht durch die Keimlinge im Dressing noch aufgeweckter diskutierte. Es war ein feiner Abend mit viel Gesprächsstoff über Literatur und Essen.

Owens erzählerischer Stil ist ansteckend heiter, typisch amerikanisch, bin ich versucht zu sagen. In den Anfängen „ging ich mit einem Thermometer den Tücken meines Ofens nach und erkundete so seine Backeigenschaften.“ Und fast nebenbei fließt ihr enormes Wissen rund ums (Sauerteig)Brot ein.

Sauerteig ist, wie schon erwähnt, ein starkes Brotbackbuch. Toll gestaltet, fast ein Markenzeichen des Knesebeck Verlages, ist es vor allem die Art und Weise, mit der Sarah Owens uns an das Thema heranführt. Allerdings sollte man bereit sein, mehr als nur das Rezept zu lesen. Die Bezugsquellen und Lesetipps sind aktualisiert und auf das deutschsprachige Publikum abgestimmt. Ein sehr umfangreiches Register lässt keinen Suchwunsch unerfüllt. Jedes Mal wenn ich Sauerteig zur Hand nehme und es durchblättere, finde ich Neues, Staunenswertes und ein Rezept, das ich sofort ausprobieren möchte. So den Löwenzahn-Schnittlauch-Popovers*, pikante Muffins, die frech über die Förmchen hinauswachsen. Jungen Löwenzahn und Schnittlauch habe ich im Garten, also los …

* Das Rezept der Popovers finden Sie im Rezept-Ordner.

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