Sissi Chen, Einfach Chinesisch

Rezepte für jeden Tag

Fotos von Claudia Gödke
DuMont Buchverlag, Köln, 2024, 192 Seiten, 30.-- Euro
ISBN 978-3-8321-6937-4
Vorgekostet

Heute reisen wir nach CHINA.

In die Hauptstadt Beijing, um die chinesische Küche kennenzulernen. Dort würden wir Sissi Chen treffen, theoretisch, denn Sissi ist in Chinas Metropole geboren, verbrachte auch ihre Kindheit dort. Aber jetzt lebt sie in Wien, und wir müssen also nicht erst 6000 km hinter uns bringen, um mit der nordchinesische Küche Bekanntschaft zu machen. Sissi wird uns einführen in die asiatische Alltagsküche, Gerichte vorstellen, die sie von ihrer Großmutter viele Jahre tagtäglich serviert bekam. Auf dem Speiseplan standen da vor allem Teigtaschen, Nudeln, Fladenbrote und gedämpfte Brötchen. Die Zutaten, schreibt sie im Vorwort ihres Kochbuchs EINFACH CHINESISCH, sind nicht nur simpel und überall erhältlich, darüberhinaus sind sie auch günstig und ergeben in Kombination mit anderen einfachen Produkten eine unendliche Vielfalt an Gerichten. Das klingt jetzt nicht sehr kompliziert oder mysteriös. Und genau deshalb ändern wir die Reiseroute, fahren nach Wien zu Sissi Chen, um Chinas Alltagsküche zu erfahren. Sissi erging es wahrscheinlich wie vielen im Ausland lebenden Chinesen; sie behalten das heimische Essen als ein gemeinsames körperliches Bewusstsein in Erinnerung. Wenn Chinesen in Europa sich unterhalten, kommt früher oder später das chinesische Essen zur Sprache – stets in einem sehnsuchtsvollen Ton und meist mit traurigen Augen. Sissi aber lacht. Denn ihre Erinnerungen an die Essen ihrer Großeltern sind Teil ihrer Identität und prägten sie bis hin zu ihrer beruflichen Erfüllung. Sie schreibt als freie Autorin über das Essen im Kontext von Kultur und Identität. EINFACH CHINESISCH, das im DuMont Verlag erschienen ist, übernimmt eine Vermittlerrolle, präsentiert sich mit einer Sammlung leicht nachkochbarer chinesischer Rezepte für jeden Tag – wie es der Untertitel verspricht.

Zum Aufbau: Einer ausführlichen Einleitung folgen Rezeptblöcke, die sich auf fünf Kapitel verteilen. Den Nudeln folgen Tofu & Gemüse, die von Teigtaschen abgelöst werden. Anders als in westlichen Kochbüchern sind Suppen & Fladenbrote weit hinten gereiht. Den Schlusspunkt aber setzt das Chinesische Neujahr, zu dessen Anlass spezielle Gerichte gekocht werden. In der Regel werden alle Essen in die Mitte des Tisches gestellt, und alle bedienen sich davon. Wer zudem eine größere Runde chinesisch bekochen will, kann sich an Sissis Menüvorschlagen orientieren. Den ultimativen Schlusspunkt aber setzt ein umfangreiches, zutatenorientiertes Register, das kaum einen kulinarischen Wunsch offen lässt, wohlgemerkt, einfacher chinesischer Alltagsküche.

Was aber ist chinesisches Essen, bzw. wie traditionell und authentisch ist es? Chinesisches Essen, wie es die Chinarestaurants in Europa vorgeben, ist – mit Ausnahmen – eine Anpassung an westliche Gaumen. Und ob bspw. das Nudelgericht Zha Jiang Mian ihrer Großmutter traditionell und authentisch ist, weiß Sissi nicht und es spielt für sie auch keine Rolle. Aber, Tradition und Authentizität würden nicht existieren, wenn sich Essen nicht verändern würde, das wiederum findet sie wunderbar. Ihre einleitenden Überlegungen zur chinesischen Esskultur spiegeln sehr persönliche Erfahrungen, die allgemeingültig sind. Geschmack ist mindestens genauso elementar wie Textur, Aroma und Farben. Und es gibt beim Kochen ein großes Mantra: abschmecken, abschmecken, abschmecken! Ausführlich stellt sie auch typische chinesische Zutaten vor; chinesischer schwarzer Essig, geröstetes Sesamöl, Austernsoße, Doubanjiang, schwarze Sojabohnepaste usw. Hier schwächelt die Autorin ein bisschen, bleibt in der Beschreibung eher an der Oberfläche, bspw. beim schwarzen Essig (hei cu): ihre bevorzugte Marke Chinkiang wird aus fermentiertem Reis hergestellt, es gibt aber auch schwarzen Essig aus anderen Getreidearten. Zudem wird schwarzer Essig auch gerne als Dipsauce verwendet wegen seiner holzigen, rauchigen Note. In Pfannengerichten soll er die Nährstoffe erhalten und die Zutaten richtig knusprig machen. Das ist dann ein bisschen mehr, als ihn als ‚süß-säuerlich, mild‘ zu beschreiben.

Am meisten erstaunte mich aber, dass Sissi selbst keinen Wok zuhause hat. Soviel zum Kochzubehör, denn jetzt geht es ans Eingemachte.

Die Rezepte sind nicht nach chinesischen Landesküchen gegliedert, sondern nach Kategorien, die vorwiegend die chinesische Alltagsküche ausmachen. An erster Stelle also Nudelgerichte. Wohl auch deshalb, weil Nudelessen in China mit Langlebigkeit und Glück in Verbindung gebracht wird. Die Nudeln werden geschnitten, gezogen und gezupft. Chinesische Verarbeitungsmethoden sind ausgeklügelter und vielgestaltiger als selbst im europäischen Nudelland Nr.1, Italien. In China gibt es zu allen Tageszeiten Nudelgerichte, die unterschiedlich an Form und Größe sind. Der Einstieg erfolgt über selbst gemachte Weizennudeln, die nur aus Mehl, Salz und Wasser bestehen, weniger geht gar nicht. In einer Fotostrecke werden die Arbeitsschritte sichtbar gemacht, sodass eigentlich nichts schiefgehen kann. Aber das wichtigste, sie schmecken sehr zart, wie Sissi anmerkt. Allein das sollte Grund genug sein, Nudeln selbst zu machen, oder? Dass der Nudel-Grundteig, der gleiche ist wie für die Teigtaschen, ist ein Vorteil. 

Nachdem wir nun das Ausgangsprodukt selbst herstellen können, variieren die Gerichte anhand von 14 Rezepten. Das beginnt mit Nudeln mit gebratener Soße, einem der beliebtesten Nudelgerichte Nordchinas. Da beherrschen Hackfleisch und Sojabohnenpaste den Teller, auch wenn die aufgelegten Gurkenstreifen wie eine Krone das Gericht zieren. Der Umamigeschmack bleibt lange auf der Zunge liegen. Ein anderes Gericht ist Re gan mian aus der Provinz Wuhan, das übersetzt Heiß-trockene Nudeln heißt, und man kann sich vorstellen warum. Die Soße enthält Chiliöl, Powerschärfe pur. In Wuhan gelten diese Nudeln als ‚heilige‘ Mahlzeit am Morgen. 

Die Autorin stellt noch mit biang biang mian, eine besondere Nudelart aus der Provinz Shanxi vor. Bei der Herstellung wird der Nudelteig gezogen und auf den Tisch geklatscht, wobei ein Geräusch entsteht, das, auf Mandarin wie biang biang klingt. Für die Biang Biang Nudeln gibt es sogar ein eigenes Schriftzeichen. Wer sich in der Herstellung dieser Bandnudeln versuchen will, kann sich an der Fotostrecke orientieren. Eine mit Knoblauch und Chili aromatisierte Soße und ein Spiegelei dazu machen Shanxi Biang Biang Mian unvergesslich. Eine Entdeckung für mich waren die chinesischen Scherennudeln, wobei sich der Name auf die Herstellung bezieht und ich vermute, die Bearbeitung der Nudeln mit der Schere eine Erfindung der Autorin ist. Das Rezept ist eine Anlehnung an ein Gericht mit Daoxiao, einer der fünf traditionellen chinesischen Nudeln, die wegen ihrer wellig-ausgefransten Ränder wie Fangarme aussehen. Sie haben eine gewisse Ähnlichkeit mit den süditalienischen Fricelli-Nudeln.  

Im Tofu & Gemüse-Kapitel spielen genau genommen ein Drink, wortwörtlich ‚geronnene Bohne’ und essbare Pflanzen die Hauptrolle, die sich nicht nur toll ergänzen, sondern auch oft zusammen angebraten werden. Die Rezepte, die hier vorgestellt werden, sind bis auf zwei vegan. Chen betont, dass Tofu für sie alles andere als geschmacklos ist, und führt uns vor, wie vielseitig dieses chinesische Grundnahrungsmittel eingesetzt werden kann. Die Bandbreite reicht von Blanchierter Tofu mit Knoblauchsoße bis Tofusalat mit Gurke – aber erst das Würzen macht die Speisen besonders. So einfach  – so geschmackvoll, das gilt auch für die vielen spannenden Gemüsezubereitungen. Yu Xiang Aubergine hat ihren Ursprung aus der Sechuan-Küche und vereint in sich alle fünf Geschmacksrichtungen. Wer die Auberginenstücke nicht frittieren möchte kann sie auch dämpfen. Der Chinakohl mit Chiliöl besticht mit mildem, leicht süßlichem Geschmack und seiner Textur, was auch für den Spitzkohl in zwei Varianten gilt. Natürlich lassen sich die Rezepte variieren mit anderen Kohlsorten oder eine schärfere Gangart einlegen, bspw. mit Doubanjiang, einer scharfen Paste aus der Sechuan-Küche. Und wer gerne den klassischen Kartoffelsalat mag, sollte mal das chinesische Pendant versuchen: Sauer-scharfe Kartoffelstreifen, die mit Chili, Sichuan-Pfeffer und chinesischen Essig angemacht werden.

Kapitel drei gehört den Teigtaschen. Sie sind sowohl Alltagsessen als auch Teil der Festtagsküche. Und überhaupt haben die Teig- oder Maultaschen etwas Kollektives an sich, denn die Herstellung der kleinen gefüllten Teiglinge lässt sich gut auf mehrere Menschen verteilen, stärkt so das Gemeinschaftsgefühl. Betriebswirtschaftlich betrachtet, könnte man das Fordismus der Küche nennen. Wenn die Produktion dann richtig läuft, dann einfach laufen lassen, denn der Überschuss wird eingefroren.

In den Taschen verpackt wird alles, was essbar ist. Hackfleisch mit Kohl steht an erster Stelle. Aber es kann auch vorkommen, dass Münzen darin versteckt werden und wer sie findet, hat viel Reichtum zu erwarten. Am Anfang werden aber die Basics zu den selbst gemachten Teigtaschen von der Autorin ausführlich beschrieben. Der Rest sind Rezepte, die sich den unterschiedlichen Inhalten widmen, vom Ei oder Fisch bis zum Sauerkraut oder Tofu – alles ist drin. Wer sich immer noch vor der Zubereitung von chinesischen Teigtaschen fürchtet, kann sich an den Fotostrecken für die Watans in Chiliöl und die chinesischen Suppenteigtaschen Xiao Long Bao orientieren. Wünschenswert wäre da manches Detail in größerer Auflösung, wie bspw. das Rändeln. Von hier ist es nicht mehr weit zu den Hefe-Teigbrötchen, in derem Inneren sich entweder herzhaftes oder süßes Füllgut versteckt. Für die Zubereitung ist ein Dampfkorb von Vorteil. Wer den nicht besitzt, kann sich mit einem Provisorium à la Chen behelfen, und wie das geht, wird in den Anmerkungen zum Kochzubehör beschrieben. 

Mit Suppen & Fladenbrote kommen wir nun in die Zielgerade. Hervorheben möchte ich hier die Tomaten-Eierblumen-Suppe, die Alt mit Neu verknüpft. Die Tomaten hielten erst spät Einzug in die chinesische Küche, während das Ei, denken Sie bloß an die Tausendjährigen Eier, mehr muss ich nicht sagen … 

Den Schlusspunkt setzt dann das Kapitel über das Neujahrsfest. Das das Ende des Winters einleitet und zur jährlich größten Massenbewegung der Welt führt. Millionen von Chinesen streben vor dem 8. Tag des 12. Monats nach Hause, um zu feiern. Da wird aufgetischt vom Feinsten. Sissis Essenvorschläge sind: Löwenkopf-Hackfleichbällchen, Gedämpfter Fisch und und und. Auch Süßes darf dabei nicht fehlen. Nur sind die Süssen Sesambällchen von Geschmack und Konsistenz so ungewöhnlich, dass sie uns wieder einmal schlagartig vor Augen führen, wie anders die chinesische Küche tickt.

Sissi Chen hat mit EINFACH CHINESISCH ein erstaunlich gutes Kochbuch geschrieben, das mit Rezepten für jeden Tag selbst heikle europäische Gaumen verführen kann. Ihre Art zu kochen ist unkompliziert, schnell und wenig aufwändig, wie sie selbst in einem Interview bekannte – und das stimmt! Mühelos gelingt ihr der Spagat zwischen europäischer und chinesischer Küche, was sich auch in den unzähligen Tipps und Vorschlägen ausdrückt, wenn es bspw. darum geht, schwer erhältliche chinesische durch hiesige Zutaten zu ersetzen. Weil in China fast alles auf dem Tisch geteilt wird, stellt Sissi auch Menüvorschläge zur Verfügung, die dieses Prinzip für vier, sechs und acht Personen beherzigen. Und wer seinen Liebsten und Freunden seine Gefühle via Essen ausdrücken möchte, versuche es doch mal mit Mapo Tofu oder einem anderen Gericht aus EINFACH CHINESISCH.