Heute reisen wir ins LÄNDLE.
Wir begeben uns auf die Suche nach Fragaria ananassa, nach Prunus aviaum, nach Sambucus nigra und weitere botanische Spezies mehr. Manche von Ihnen wissen, wer oder was sich hinter diesen Namen verbirgt. Die Rede ist von der Erdbeere, von der Kirsche, vom Holunder und vier weiteren Beerensorten, die Sophia Dünser in ihrem Backbuch versammelt und vorstellt. Himbeerschnitte und Holundereis ist ein schöner Titel und programmatisch für das, was uns erwartet. Nämlich 100 Rezepte mit heimischen Beeren.
Sophia Dünser ist AHS-Lehrerin in Feldkirch. Sie hat Biologie und Deutsch studiert sowie die Kunst des Kuchen- und Tartebackens, Mixturen von Aperos und Sirup herzustellen als auch des Einkochens von Früchten zu Gelees und Marmeladen.
„Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben …“
hat sich Sophia wohl gedacht, als sie begann, das Beobachtete und Erlernte aus Mamas Backschule mit eigenen Ideen zu kombinieren und in Backwerke zu gießen. Die Rezepte sind einfach, köstlich und regional, schreibt Dünser einleitend. Gleichwohl sind damit auch die Rahmenbedingungen festgelegt. Es gibt kein Rezept mit exotischen Zutaten wie Tonkabohne oder Mango in diesem Buch. Die Eier müssen frisch sein, möglichst von Freilandhühnern direkt vom Bauernhof wie auch diverse Milchprodukte, Mehl aus einer naheliegenden Mühle und der Zucker aus österreichischen Raffinerien. Regionalität ist groß geschrieben, zudem eine Forderung, die sie als Biologin an sich selbst stellt. Die Naturwissenschaftlerin dominiert in diesem Backbuch. Der Aufbau erinnert an Linnes taxonomisches Ordnungsprinzip. Klar strukturiert ist jedes Kapitel im gleichen Schema angelegt, ein Garant für schnelles Orientieren. In sieben Kapiteln werden die Erdbeere, die Kirsche, der Holunder, die Himbeere, die Heidelbeere, die Brombeere und die Preiselbeere als Früchte vorgestellt. Mit Ausnahme von Holunder, Heidel- und Preiselbeere gehören alle zur Familie der Rosengewächse. Und wir staunen, auch die Kirsche gehört zu den Rosaceaen der vielleicht bedeutendsten Pflanzenfamilie. Nach der botanischen Zuordnung und Beschreibung folgt immer der Rezeptteil, der in fünf Kategorien gegliedert ist: Klein & Süss, Creme & Mousse, Kuchen & Tartes, Eingekocht & Eingeweckt sowie Apero & Sirup. Dieser dualistische Ansatz ist spannend; die Rezepte umfassen eine große Bandbreite.
Greifen wir uns als Beispiel die Kirsche heraus. Lucullus, dem römischen General und Feinschmecker verdanken wir die Popularisierung des Kirschgenusses in Europa. In Japan steht die Kirschblüte für Zerbrechlichkeit und Schönheit des Lebens. Ihre Reifezeit umfasst mit dem Juni gerade mal einen Monat und man muss schnell sein mit der Verarbeitung. Sonst ist die Gelegenheit, die reifen, prallen, roten Sommerfrüchtchen in köstlichem Backwerk zu verpacken, vorbei.
Kurz und prägnant ist die botanische Beschreibung dieses winterkahlen Laubbaums. Dünser informiert fast lexikalisch über Vorkommen, Historisches als auch Inhaltsstoffe und Heilwirkung. Letzteres hätte ein wenig ausführlicher sein können. Weiß man doch seit der Antike, dass es gesund ist, die Mahlzeit mit Früchten zu beenden. Die Kirsche gehört zweifelsohne zu den schmackhaftesten und erfrischendsten.
Generell unterscheidet man bei den Kirschen zwischen Süß- (Prunus avium) und Sauerkirschen (Prunus ceresus); von beiden Arten stammen mehr als 1.000 Sorten ab. Dünser konzentriert sich in ihrem Backbuch allerdings auf die süße Steinfrucht. Aufgefallen ist, dass sie zu den Kirschen kein Rezept für Marmelade wie auch Gelee sowie Apero und Sirup beisteuert. Das ist schade. Schon der Vollständigkeit halber und weil ich auch gehofft hatte, ein Rezept für eingelegte Kirschen darin zu finden. Die werden sowohl für den Grießschaum mit Kirschragout als auch für die Kirsch-Bombe als Zutat benötigt.
Exkurs: Mein Lieblingsrezept für Kirschen im Glas stammt von der Wirtin der Alpenrose in Zürich. Tine Giacobbo legt die Kirschen (500 g), die mit einem Haushaltspapier abgerieben und nicht gewaschen sind, ohne Stiel, dicht an dicht in drei sterile Gläser (à 2,5 dl) mit großer Öffnung. Sie müssen es richtig kuschelig haben, meint sie. Dann Zucker (180 g) einfüllen und Kirsch (3 dl) darüber. Gut verschließen, vorsichtig drehen und eine Woche darin lassen. Thats it! Und gönnen Sie sich einen guten Kirsch. Wäre schade, wenn der Aufwand in einem Fusel endet. Auch so ein Ratschlag von Tine.
Das erste Kirschrezept von Sophia ist ein Kirsch-Streusel. Das Beste an diesem Obstkuchen sind nicht nur die Streusel, sondern auch die saftigen Kirschen. Dazu eine Kugel Vanilleeis; meine Enkel waren glückselig, ihre rot-gelb verschmierten Münder der beste Beweis. Die Kirschtaschen waren dann der Hit im Chor. Ein einfaches Rezept und schnell zubereitet sind Kriterien, die eindeutig für dieses Gebäck sprechen. Zudem kann leicht Vanillepuddingpulver dem Zucker beigegeben werden, um den Kirschtascherln ein neues Aroma zu verleihen. Eine Besonderheit ist die Buttermilch-Kirsch-Torte, die vielleicht etwas weniger Schlagrahm verträgt und sicher noch einige Experimente meinerseits verlangt. Hier ist die Herausforderung für mich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen süßer Sahne und Schmand bzw. Crème fraÎche zu finden, da ich kein Schlagrahmfan bin. Die Feuerwehrtorte ist auf meiner Backliste ganz oben vermerkt, auch weil mein Enkel Jakob, der Feuerwehrmann werden will, sie sich zum Ende des Kinderkrippenjahres wünscht. Ich habe ihm das Bild im Buch gezeigt und die Erklärung, warum sie so heißt, vorgelesen. Dass der Mürbteig die Mauern sind, der Kischpudding darüber die Flammen symbolisieren und der Schlagrahmbelag darauf der Löschschaum ist, leuchtete ihm voll ein.
Dünser spendet jedem Rezept einen Vorspann. Darin entfaltet sie die mitunter sehr persönlichen Eindrücke zum jeweiligen Rezept bis hin zu den Tipps, wie das fertige Produkt serviert wird.
Das Kirschkapitel ist stark geprägt von Kuchen und Tartes. Die Linzer Kirschschnitten werden mit Kornellkirschen-Marmelade bestrichen; hier fehlt das Rezept dazu. Die Kirsch-Wähe ist unkompliziert, mit fertigem Blätterteig hier gemacht, was eher selten ist. Häufig wird die Wähe mit einem Mürbeteig gemacht, das ist – zugegeben – allerdings zeitaufwändiger. In diesem Blechkuchen baden die Kirschen in einem Sahnebad, sind bedeckt mit gemahlenen Mandeln. Da kann doch niemand nein sagen, wenn er ein Stück angeboten bekommt, oder? Zwei Klassiker dürfen natürlich auch nicht fehlen. Da ist zum Einen die Prager Kirsch-Torte, die traditionell mit Weichseln – also Sauerkirschen – gemacht wird und zum Anderen die allseits bekannte Schwarzwälder Kirsch-Torte. Versuchen Sie dieses nicht allzu schwere Rezept! Die Schwarzwälder sieht nicht nur gut aus, sie ist auch verführerisch gut.
Was ich noch nachgebacken habe, ist die Heidelbeer-Cheese-Cake-Tarte. Dass ich dafür Magertopfen verwendete, war ein kleiner Fehler. Die Tarte schmeckte nicht so vollmundig wie erwartet. Hier hätte Sophia vielleicht eine Prozentangabe machen können. Generell fiel auf, dass für die Autorin vieles selbstverständlich ist. Eben, wieviel prozentiger Topfen untergerührt wird. Die Heidelbeer-Cheese-Cake-Tarte hat trotz allem allen gut geschmeckt und das leichte Vanillearoma verlieh ihr einen besonderen Kick. Aber wirklich überrascht ward ich von Sophias Mürbteig; ihr Grundrezept muss extra hervorgehoben werden. Geschmeidig, leicht auszurollen und weiterzuverarbeiten – Eigenschaften, die ihn zum Standard-Mürbteig küren. Ohne zu reißen, was ich befürchtet hatte, lässt sich der Teig auf den Nudelwalker aufrollen und problemlos über der Tarteform schön ablösen. Eine wahre Freude ist dieser Teig.
Im Holunder-Kapitel werden zwei Erntesaisonen bedient. Einmal sind es Rezepte für Gerichte mit Holunder-Blüten und dann mit schwarzen Beeren. Wir beginnen und beenden dieses Kapitel mit Blüten, nämlich gebackenen Holunderblüten und Holunderblütensirup. Dazwischen, als ob sie sich verstecken möchten, gibt es Köstlichkeiten wie den Holunderkoch mit einer Kugel Vanilleeis oder die Holunderbeerenmarmelade mit Birnen. Zwar ist das Abperlen der Beeren von den Stielen eine ‚Sauarbeit‘, aber das Ergebnis entschädigt dann für alle Mühen.
Egal, welche Seite man aufschlägt, Dünser weiß mit ihren Rezepten zu überraschen. Für Wochenendgenießer empfiehlt sich der Erdbeer-Gugelhupf. Weil dieser ‚den Sonntag erst zu einem Sonntag macht‘. Puddingfans sollten die Himbeerschnitten ausprobieren.
Himbeerschnitte und Holundereis von Sophia Dünser ist eine wahre Novität auf dem Backbuchsektor. Man merkt der Autorin die Begeisterung für ihre Backkreationen an. Die Bandbreite ihrer süßen Schöpfungen ist groß. Schade, dass sie kein Wort auf die Haltbarmachung (außer Marmelade und Sirup) der Beeren verliert. Gelegentlich führt sie Tiefkühlobst in der Zutatenliste an. Auch ist die Autorin nicht nur für die Rezepte verantwortlich, sondern steuerte zudem alle Foodfotos bei. Die meisten sind überbelichtet und haben einen Farbstich. Was mich anfänglich störte aber jetzt begeistert. Denn, das hat Charme, verleiht den abgebildeten Kuchen und Gerichten gar ihren eigenen Reiz, rückt sie in den Mittelpunkt der Betrachtung. Ein Saisonkalender verschafft uns einen guten Überblick über die Blüte- und Reifezeit der Beeren. Last but not least gibt es einen Schnellkurs in Sachen Sterilisieren von Gläsern und Flaschen. Den Schlusspunkt setzt allerdings ein ausführliches Inhaltsverzeichnis inklusive Glossar und interessanten Literaturtipps. Was bleibt? Die Feststellung, dass dieses Beerenbuch uns einen Bärenappetit auf Süßes macht.