Søren Staun Petersen, RHABARBER

Raffinierte Rezepte für Süßes und Herzhaftes

Mit Fotos von Søren Staun Petersen
Aus dem Dänischen übersetzt von Elke Adams
LV.Buch im Landwirtschaftsverlag GmbH, Münster, 2020, 120 Seiten, 18.50 Euro
ISBN 978-3-7843-5646-4
Vorgekostet

Heute gehen wir in den GARTEN.

Rhabarber ernten ist angesagt. In meinem Gemeinschaftsgarten gibt es drei Rhabarberstauden. Mich faszinieren die leuchtenden Farben seiner Stiele, die manchmal, wie zum Schutz, von seinen großen Blättern abgeschirmt werden. Obwohl Rhabarber botanisch zum Gemüse zählt, wird er in der Küche als Obst verwendet. Erstaunlicherweise hält sich die Begeisterung für dieses Knöterichgewächs, das zu den ersten erntereifen Saisongemüse zählt, in Grenzen. Die türkischen Mitglieder meiner Garten-Community können mit ihm gar nichts anfangen. Überhaupt scheint er in der Küche des östlichen Mittelmeerraum völlig unbekannt zu sein.

Es ist eine kleine Anhängerschar, die die fruchtig säuerliche Schärfe des Rhabarber schätzt. So sehr, dass sie den Rhabarberpflanzen in ihrem Garten besondere Zuwendung zukommen lässt. Es ist eher ein Zufall, dass Rhabarber in Europa heimisch wurde. In Zentralasien werden Rhabarbersorten als Heilpflanzen gezogen. Britische Apotheker bestellten diese und bekamen statt der Heilsorten für sie wertlose Nutzsorten. Und so ist es dem viktorianischen Gemüsehändler Joseph Myatt zu verdanken, dass diese relativ neue Zutat Eingang in unsere Küchen fand, nachzulesen bei Nigel Slater (Obst Tender). Mittlerweile fehlt Rhabarber auf keinem Stand der Bauernmärkte. Es sind vor allem rotstielige Sorten, die angeboten werden, obwohl sie ertragsmäßig weniger bringen als die grünstieligen.

Soren Staun Petersen, ein Däne, der sich berufsmäßig der Foodfotografie widmet und sich loyal zur Anhängerschaft dieses fruchtig sauren Gewächses bekennt, beschäftigt sich in seinem neuen Kochbuch ausschließlich mit diesem tollen Gemüse. Rhabarber, raffinierte Rezepte für Süßes und Herzhaftes, ist im Landwirtschaftsverlag LV.Buch erschienen.

Das Kochbuch ist in zwei Themenbereiche gegliedert. Einer kurzen Einführung, in der auch die Diätberaterin Cathrin Ilsoe sich mit wenigen Sätzen über Ballaststoffanteil, Energiegehalt, Nährstoffe und Oxalsäure auslässt, folgen zunächst zwei Rezeptkapitel für Herzhaftes und Süßes. Anschließend geht es dann um historisch Hintergründiges, vor allem um die Geschichte des Rhabarbermanns Lars Skytte, der im dänischen Fünen auf 75 Hektar Rhabarber anbaut. Der eher wortkarge Lars wird hier dann, wenn es um seine Pflanze geht, etwas gesprächiger und gibt zunächst einen guten Überblick über die – vor allem deutsche – Geschichte des Rhabarber. Im weiteren Verlauf vertieft er sich in Sorten- und Qualitätskriterien, Farbe, Säuregehalt und Anbau. Der Anbau-Abschnitt ist der informativste, hier erfährt man, wie die Pflanze zu behandeln ist und wie sie geerntet werden muss. Die Stängel dürfen nicht abgeschnitten, sondern müssen herausgezogen werden. Das ist wichtig. Was mir fehlt ist der Hinweis auf den im Dunkeln gezogenen Frührhabarber, der um die Weihnachtszeit auf dem Markt auftaucht. Eine Rarität zarter, säuerlicher Stiele aus dem Chelsea Physic Garden in England. Nach diesen Exkurs in die Botanik und Geschichte schließen sich dann drei weitere Rezept-Kapitel an, die sich schwerpunktmäßig mit Kompott, Chutney & Relish sowie Getränke beschäftigen, in der Rhabarber den Hauptdarsteller spielt. Interessant finde ich aber vor allem die ersten zwei Abschnitte. Denn Herzhaftes lässt aufhorchen mit Rezepten, die nicht unbedingt mit Rhabarber in Verbindung gebracht werden. Der Frühlingskartoffelsalat oder die Pizza Bianca oder der Risotto zum Seehecht enthalten einige Rhabarberstängel. Und wenn man es kaum glauben will, die Oxalsäure  verliert sich großteils beim Kochen und Backen. Rhabarber kann Gerichte wunderbar ausgleichen, er ist ein toller Begleiter zu reichhaltigen, fetten Fleisch- und Fischsorten, nur hat sich das noch nicht so herumgesprochen. In der Kombination funktioniert er wie Apfelsoße mit Schweinefleisch. Aus diesem Blickwinkel betrachtet hätte das erste Rezeptkapitel mehr Essensvorschläge vertragen. 

Am wohlsten fühlt sich Rhabarber jedoch wahrscheinlich in Süßspeisen und Kuchen, konstatierte Nigel Slater einmal. In Petersens Abschnitt Süßes finden sich neben Klassikern wie Tarte mit gebackenem Rhabarber und Pavlova mit Rhabarber für mich einige Neuheiten. Vor allem das Rhabarber-Bananen-Brot hat nicht nur mir bestens gemundet, sondern auch all jenen, die ich davon kosten ließ. Interessant, dachte ich zunächst, es gibt keinen Rhabarber-Blechkuchen, den die Deutschen so lieben, und entdecke dann doch den Rhabarber Crumble, die englische Version eines Obst-Blechkuchens mit Streuseln. 

Im dritten Rezeptblock steht das Rhabarberkompott im Brennpunkt. Zunächst werden drei Rhabarberkompotte vorgestellt, die sich jeweils nur in einer Zutat unterscheiden, nämlich Ingwer, Minze und Vanille. Diese sind dann auch Bestandteil der weiteren Kompotte, bspw. in der Glasur der Rhabarberschnitten oder als geschmacksgebenden Anteil der Cheescake-Füllung wie auch als Pfannkuchen-Belag. Da hat es sich der Autor mit der Zubereitung des überschüssigen Saftes der gekochten Stängel doch etwas leicht gemacht. In etwa gilt das auch für die folgenden zwei Kapiteln, in welchen Grundrezepte vorgestellt, die dann in weiteren Rezepturen eingearbeitet sind. Dem Rhabarber-Gin als Ausgangsprodukt für Drinks wie Gin & Tonic oder Light & Stormy setzt Petersen das Konservierungsmittel Natiumbenzoat zu. Ob’s das braucht, nachdem eh schon Säure, Zucker und Alkohol drin sind, ist fraglich; man ist allerdings so auf der sicheren Seite. 

Rhabarber, das Kochbuch von Søren Staun Petersen, enthält für jene, die nichts mit diesem Nischengemüse am Hut haben, garantiert viele anregende Rezeptideen. Auf jeden Fall neue Genussmomente. Hervorragend fotografiert, machen uns die meisten Rezepte beim bloßen Hinschauen den Mund schon wässrig. Wenn auch mehr drin gewesen wäre, die Vorzüge des Rhabarber in der Küche herauszuarbeiten, etwa in Suppen, Püree, Sirup oder beim Fermentieren, um einige Beispiele zu nennen, so ist Rhabarber von Petersen dennoch ein Themenkochbuch, das interessante Koch-Horizont erweiternde Impulse bereithält. 

Ich bin nun gespannt wie der klassische Frühlingskartoffelsalat mit Rhabarber schmeckt. Falls Sie auch neugierig sind, das Rezept ist im Ordner abgelegt.