Stefan Ekengren, Kartoffelküche

Die leckersten Rezepte und Zubereitungen

Übersetzung aus dem Schwedischen von Andrea Hauss-Honkanen
Mit Fotos von Roland Persson
Die Gestalten Verlag, Berlin, 2024, Leinen, 192 Seiten, [D] 35.- Euro
ISBN 978-3-96704-165-1
Vorgekostet

Heute reisen wir nach SCHWEDEN.

Drei besonderen Menschen gilt unser Besuch. Da ist zunächst Ante Wiklund, ein Bauer, der auf der Insel Gotland auf 180 ha nur Kartoffeln anbaut. Das Besondere: Er baut auch biologisch an, was in dieser Größenordnung einem Balanceakt zwischen Erfolg und Scheitern bedeuten kann. Es sind resistente Sorten, die sich vor allem gegen Schimmel und andere schädliche Faktoren behaupten. Dazu gesellt sich noch der Faktor Lagerung. Bei plus 4°C, in absoluter Dunkelheit und einem Klima, das einen Erdkeller simuliert, schläft die Kartoffel ein, wie man sagt. Künstlicher Winterschlaf.

Dann ist da noch Matilda Svahn, auch auf Gotland, die ihren kleinen Hof nur mit Freiwilligen bewirtschaftet. Es ist ein Genossenschaftshof, d. h., 70 Haushalte kaufen kontinuierlich den größten Teil ihrer Ernte. Einer dieser Genossenschafter ist Stefan Ekengren, der Dritte im Bunde, der seine Leidenschaft für diese besondere Knolle lebt. Kein Bauer, ein Koch. Sein ganzes Leben lang drehte sich alles um die Kartoffel, ob in der Kindheit oder im Berufsleben. Für den Koch ist die Potatis allgegenwärtig, tonnenweise ist sie durch seine Hände gegangen. Aber sind sie deshalb selbstverständlich? Nein! Sie wachsen direkt vor unserer Nase und gehören zu unserem Leben, aber viel wissen wir nicht über die Grundbirne. Der Mensch sollte mehr über sie erfahren, beschloss Stefan und schrieb ein Kochbuch. Kartoffelküche ist im Verlag Die Gestalten herausgekommen. 

In dem umfangreichen Einleitungsteil wird zunächst Wissenswertes über dieses Erdobst vermittelt. Da werden einige dieser Spezies mit Kurzbeschreibung und Bild vorgestellt, wobei ‚einige‘ relativ ist, angesichts der Tatsache, dass es über 5.000 Kartoffelsorten gibt. Maria, ach Melody, hmm Folva, oh du wilde Rosara, Amandine, was für ein toller Körper, Annika, du meine Königin … Was für eine Auswahl, man tut sich schwer zu entscheiden. Dabei sind es nur 35 Sorten, die hier vorgestellt werden und davon kenne ich gerade mal die Alte schwedische Rote, Ditta, Ratte und Annabelle. Traditionell haben die knolligen Wesen weibliche Namen, vorwiegend deutsche Vornamen auch im fernen Schweden. Das hängt wohl damit zusammen, dass die Saat-Kartoffeln aus Deutschland nach Schweden eingeführt wurden. Eigentlich Beutestücke, denn nichts blieb den schwedischen Soldaten von ihren langen Kriegszügen in Deutschland als die Kartoffel. Aus dem kurzen Abriss über die Geschichte der Kartoffel erfährt man, dass es unter anderem der Wissenschaftlerin Eva Ekeblad zu verdanken ist, dass der Erdapfel sich in Schweden etablieren konnte. Nun, historisch Interessierte werden hier einiges Neues erfahren. Wir konzentrieren uns jetzt aber auf die Frage: Mehlig oder festkochend? Jene, die kein Augenmerk auf die Eigenschaften legen, sollten diese Seite lesen. Da erfährt man bspw., dass Stefan zu folgender Überzeugung gelangte: Mehligkochende Kartoffeln eignen sich nicht für Kartoffelbrei. Ihr Geschmack ist weniger gut, die Stärke klebt im Mund und die Konsistenz des Breis ist meist so locker, dass sich Sahne, Milch und Butter nicht in dem von mir gewünschten Umfang einarbeiten lassen. Deshalb schlägt Stefan auch bei jedem Rezept die geeignete Kartoffelsorte vor. 

Am Anfang jedes Kartoffel-Kochens aber stehen wichtige Fragen: Soll man sie vor oder nach dem Kochen schälen? Kochen oder köcheln? Wieviel Salz gibt man zu? Fragen über Fragen, die im Kapitel Gekocht beantwortet werden.

Nichts wird sehnsüchtiger erwartet als die ersten, neuen Kartoffeln und zwar weltweit, nicht nur in Schweden. Daher gilt den Frühkartoffeln das erste Rezept; ein einfaches, banales könnte man anmerken. Aber, und hier erkennt man den Feinschmecker, die frischen Kartoffeln aus der ersten Ernte werden erstklassig zubereitet. Ich koche Wasser und Salz (3 TL auf 800 g Frühkartoffel), gebe die Kartoffeln hinein, reduziere die Hitze und lasse die Kartoffel 15 bis 20 Minuten köcheln. Dann esse ich die noch warmen Kartoffeln nur mit Butter oder tauche die kleinen Erstlinge in Sauce Hollandaise – herrlich! Ja, zu Kabeljau und Eiersauce oder einem deftigen Fleisch-Eintopf oder Stockfisch mit Bechamelsauce, Erbsen und knusprigem Speck, zu all diesen Gerichten passen gekochte Kartoffeln hervorragend. Die Norweger servieren die Frühkartoffeln gerne mit ihrer sahnigen Sandefjordsauce samt Forellenrogen und Dill.

Ob gestampft, gerührt oder püriert wird, hängt von Ihnen ab. Sicher ist, dass die mit der Gabel zerdrückten und die gepressten Kartoffeln Erzrivalen sind. Warum, kann ich nicht mal mit Sicherheit beantworten. Es hängt wohl vom Endzustand ab. Jedenfalls serviert Stefan gerne seinen Gästen die noch dampfenden Kartoffeln im Topf und legt eine Kartoffelpresse bei, sodass sich jeder selbst seine Kartoffeln auf den Teller pressen kann. Direkter geht’s nicht. Dazu passen wunderbar Krautrouladen wie auch Boef Bourguignon. Einfach ausprobieren, allerdings weniger mit kleinen Kindern, da mutiert es dann eher zu einer Breischlacht, aber die mögen ohnehin lieber die Pommes Frites. Ekengren stellt noch andere Pommes-Variationen vor. Die Pommes Anna bspw. sind blätterig geschnittene Kartoffeln, die, in einer runden Auflaufform stehend geschichtet, zu einer überdimensionalen Rose gebacken werden. Und die Pomme Dauphine, ein Gemenge aus Brandteig und Kartoffeln, werden entweder zu Bällchen oder Nocken geformt. Wer sich auf diese Zubereitung einlässt, wird einige Versuche aushalten müssen. Aber sollten sie gelingen, dann ist Ihnen ein Applaus sicher. Eine elegante Beilage ist die Kartoffelrose, die wie die Pommes Anna nur kleiner, im Muffinblech zubereitet wird.

Stefan erklärt sehr wortreich und mit Rezept den Unterschied zwischen Kartoffelstampf, mit der Gabel zerdrückt, Kartoffelbrei und -püree. Dieser Zustandsklärung, die mit einer eindrucksvollen Fotomontage sichtbar gemacht wird, folgen Rezepturen, die nicht vor Staatsgrenzen haltmachen. Duchesse oder die Herzoginkartoffeln stammen aus der klassischen französischen Küche. Sie sind wohl ein wenig in Vergessenheit geraten, aus den Speisekarten der Restaurants völlig verschwunden. Lassen wir sie aufleben, wie auch Brandade, meist ein langweiliges gratiniertes Kartoffelpüree, das Stefan zugegebenermaßen zu verbessern weiß, indem er den Fisch noch räuchert. Mit Parmesan, Knoblauch und Rogen wird aus Schonkost ein luxuriöses Essen. Dass er den norddeutschen Labskaus – wie behauptet – noch verfeinert habe, und wie, konnte ich nicht feststellen. Dafür hat mir Löksälta, diese nordschwedische Spezialität wegen ihrer Einfachheit besonders gemundet. Bestechend auch die Kalte Kartoffelterrine mit Frischkäse sowie die verschiedenen Knödel, ob aus Öland oder Småland; sie sind eine Bereicherung. Wobei mir die Småland-Knödel, die mit Preiselbeeren und Butter serviert werden, besser schmecken als die Öland-Knödel, die noch einen Sahnegupf bekommen. Aber das ist eine rein persönliche Entscheidung und Geschmackssache, denn zwischen den beiden Knödeln gibt es keinen nennenswerten Unterschiede die gustativ großen Einfluss hätten. 

Ein weiteres Kapitel gilt den gebackenen Kartoffeln. Für Stefan die schönste Zubereitungsmethode. Lufsa, ein Kartoffelauflauf aus Öland, sticht sofort ins Auge. In der Konsistenz nicht unähnlich dem Öland-Knödel, allerdings mit viel Sahne und Eiern erinnert das Gericht mich ein wenig an Polenta.

Ein Muss und Ekengrens Aushängeschild sind die Hasselbackkartoffeln. Die, in seiner Version die besten sind, die ich kenne, und würdig, jedes Sonntagsessen, ob Steak oder Hähnchen, zu krönen. Ein weiteres altes Rezept für Kartoffeln ist Janssons Versuchung. Angeblich ein unverzichtbarer Bestandteil des Smörgasbord, ein schwedisches Büfett, das bei Feierlichkeiten angeboten wird. Stefan kritisiert, dass Janssons Versuchung auf dem Weihnachtsbuffet fast immer falsch platziert wird. Nämlich bei den warmen Gerichten und nicht neben dem Hering, obwohl es als Gratin dort besser passen würde. Stefans Version wird mit Sardellen gemacht, die intensiver schmecken als Sprotten. Viele Schweden bauen ihre Versuchung mit den milderen Sprotten und ich weiß, dass es da manchmal Übersetzungsfehler gibt. Sicher ist, dass man Janssons Versuchung nicht unmittelbar vor dem Zu-Bett-Gehen essen sollte.

Die Kartoffelküche von Stefan Ekengren überrascht mit einer kenntnisreichen Auseinandersetzung, die das Lebensmittel Kartoffel in neuem Lichte erscheinen lässt ebenso wie die verblüffende Vielzahl an Gerichten. Die immer wieder vorgebrachten Einwände, zu langweilig, so eine trockene Angelegenheit, nicht ohne Aufwand, die werden spätestens beim Verkosten entkräftet. Es sind Gerichte voller Aromen. Ob das Frittierte Kartoffelschalen oder Pommes Williams sind, mit der Kartoffelküche wird unser Kartoffelhorizont weit. Interessanterweise gibt es kaum süße Rezepturen im Buch. Und interessanterweise vermisse ich sie auch nicht. Mit Kartoffelküche lebt Ekengren seine Leidenschaft aus, verpackt sie in Rezepturen, die begeistern.