Stephen Sokoloff, GUUTEN Appetit

Die gastronomische Seele von Urfahr und Umgebung

Mit Fotos von Stephen Sokoloff und anderen
Verlag Anton Pustet, Salzburg, 2023, 192 Seiten, 26.-- Euro

ISBN 978-3-7025-1080-0
Vorgekostet

Heute reisen wir nach Linz und in seine weitere Umgebung.

Dafür haben wir einen Führer. Stephen Sokoloff ist Amerikaner und sehr unternehmungslustig. Ihn hat es Ende der 1970er Jahre nach Oberösterreich verschlagen. Seither erwandert er sich dieses österreichische Bundesland wie ein Forscher. Zahlreiche Wander-, Natur- und Kulturführer entlang der Donau von Passau bis zum Nationalpark Donau-Auen hat er geschrieben. Sein jüngstes Werk bedient wohl das elementarste menschliche Bedürfnis, die Esslust. GUUTEN Appetit, ist der Titel seines kleinen Gastro-Führers, der im Anton Pustet Verlag erschienen ist.

15 Wirtshäuser, Restaurants und Lokale im Bezirk Linz-Urfahr und der weiteren Umgebung hat Sokoloff besucht. Anders als die afrikanischen Anthropologen aus dem Dokumentarfilm Das Fest des Huhns ist Stephen problemlos und schnell mit den WirtInnen und KöchInnen der Betriebe ins Gespräch gekommen. Sein Blick dringt tief in die gastronomischen Seelen dieser Region. Dabei beschäftigen ihn zwei Grundfragen: Wie leben die Wirtsleute ihren gastronomischen Lebenstraum? und Was sind ihre Lieblingsrezepte? Jedem Betrieb ist ein Kapitel gewidmet und dieses ist entsprechend der Grundfragen zweigeteilt. Den Betriebs-Porträt folgen die Rezepte.

Oberösterreich hat eine bunte Wirtshauskultur. Die Palette der besuchten Betriebe reicht von Hummel’s Backmanufaktur über das Landgasthof Dieplinger oder das Gramaphon in Gramastetten bis zur Whiskydestillerie in Alberndorf. Letzterem, dem Whiskykapitel, folgt kein Rezeptblock. Vielleicht liegt der Grund in der Vorstellung, dass das edle Destilat Getreide in seiner reinsten Form ist, das kulinarisch nicht mehr aufbereitet werden soll. Wir erfahren es nicht.

Bis auf zwei Betriebe befinden sich alle im Mühlviertel. Werfen wir nun gemeinsam einen Blick in einige der hier vorgestellten Gaststuben und Küchen, um die kulinarische Bandbreite zu erfassen. Das Restaurant & Genießerhotel Bergergut wird von zwei sehr jungen Gastgebern betrieben. Der Küchenchef Thomas Hofer legt den Fokus auf ein Menü mit 5 Gängen, das verspielt und detailverliebt sich vor allem der lokalen    Küche bedient. Sein Credo gilt der Nachhaltigkeit, das heißt: Das was gerade wächst, hat immer die beste Qualität und ist von den Einkaufskosten her das Intelligenteste. Auf Exotisches wird fast völlig verzichtet, der Küchenchef nimmt aus der Region was möglich ist, meistens in einem Radius von 50 Kilometern. Für die Grammelknödel mit Rahm-Radi-Salat wird klassisch ein Erdäpfelteig zubereitet. Der Grammelknödel ist typisch für Oberösterreich, wo früher sparsam mit Lebensmitteln umgegangen wurde. Die Winter waren lang und die Gerichte mit verschiedenen Zutaten gestreckt. Ungewöhnlich hier, dass die Gewürze in Grammmengen angegeben sind. Aber der Rahm-Radi-Salat anstelle des üblichen Sauerkrauts ist eine wunderbare Beilage. Das Mühlviertel erscheint in Hofers Küche jedenfalls omnipräsent. Ob Mühlviertler Rahmsuppe mit Blunzen-Buchteln oder Mühlviertler Rahmschmarrn mit Zwetschken- oder Marillenröster und Sauerrahm-Eis, das Saisonale und die Frische der verarbeiteten Produkte stehen an erster Stelle. Dieser Anspruch gilt ‚ungeschaut‘ für alle, die in diesem Buch vorkommen. 

Keine kulinarischen Verrenkungen zelebriert der Wirtn’ Carlos Keck vom Roadlhof. Hier wird traditionell Schweinsbraten oder Schnitzel aufgetischt. Allerdings mit Augenzwinkern. Die gefüllte Hühnerbrust versteckt im Inneren Feta-Käse und Ruccola. Das Roadl-Pfandl, eine Grillplatte mit Rinderbeiried, Schweins- und Hühnerfilet, bleibt in der Beilage mit den Pommes kreativlos, während das Gemüse ein wenig mehr bietet und ausbaufähig ist.

Und es ist dann der Glockerwirt in Alberndorf, der mich schon wieder versöhnlicher stimmt. Einmal, weil er eine Hauptspeise mit Suppe oder Nachtisch um 10.50 anbietet, zum anderen, weil die MitarbeiterInnen fast familiär in das Wirtshaus eingebunden und die Rezepte etwas anspruchsvoller sind. Die große Leidenschaft von Renate Reichetseder, sie ist Köchin und Wirtin in Personalunion, gilt der Mühlviertler Hausmannskost. Gut, die Kardinalschnitte ist eine Erfindung der Wiener Konditorei zu Ehren von Kardinal Innitzer. Aber, eine gelungene Kardinalschnitte ist der Himmel für den Gaumen, behauptet Renate und beschwört Visionen eines barocken Deckenfreskos herauf. Ja, ja, barocke Gottestempel gibt es in Oberösterreich viele, zum Wohle der Bürger. Keine süße Verlockung und weniger aufwändig sind das Kalbsgulasch oder die gebackene Kalbsleber. Beide Gerichte können engelhafte Erscheinungen durch den Gaumenkitzel auslösen.

Profaner wird es wieder im Gasthof Post in Hellmonsödt. Das Wirtspaar Julia und Martin Rittberger lieben kulinarische Mischehen. Bei ihnen wirbelt Asien durch die Küche. In der asiatischen Lachsforelle ist der Fisch wahrscheinlich das einzige Produkt aus dem Mühlviertel. Wenn auch der Küchenchef Daniel behauptet, dass die Crossover-Experimente nicht überhand nehmen dürfen, so beweisen die vorgelegten Rezepte wohl eher das Gegenteil. Auch die Zutatenlisten sind ausufernd. Für das Rote-Thay-Curry wird rote Currypaste verwendet, das ist schade, denn gerade das Mörsern der Paste garantiert Niveau. Trotzdem sind die Rezeptvorschläge spannend und versprechen Gaumenfreuden.

Die oberösterreichische Wirtshausküche ist bunt, abwechslungsreich und scheut nicht den Blick über den Tellerrand. Der Maurerwirt in Kirchschlag verarbeitet sowohl gewürfelte als auch pürierte Rote Bete im Rote-Rüben-Risotto, was diesem Reisgericht eine neue Note verleiht. Auch die Blunz-Türmchen mit Speckkrautsalat, Erdäpfel-Gröstl und Sauerrahm-Dip lassen handwerkliche Meisterschaft erkennen und einen Koch, der seine Linie gefunden hat. Beim Wia z’haus Lehner in Linz-Urfahr sollte die schreibweise des Gasthauses wie zuhause suggerieren. Der Leberschädel mit Sauerkraut ist nix Gräusliches, sondern faschierte Masse vom Schwein und von der Leber in einem Schweinenetz festgehalten und im Ofen gebacken. Anspruchsvoll, regional und frisch wird dort gekocht und so sind auch die Rezepte. Mit füül (viel) Kräuter, füül Gemüse und füül Fleisch, so Chefkoch Michael Wenzel, gilt es, die Wirtshausbesucher bei der Stange zu halten.

Im Gasthof Eidenberger-Alm liegt das Hauptaugenmerk auf der österreichischen Küche. Hausmannskost, neu interpretiert, und Haubenküche werden dort aufgetischt in moderner Restaurant-Umgebung und einem alten Tiroler Bauernhof mitten im Mühlviertel. Sieben Rezepte von sechs Köchen. Die Blutwurst hat in Oberösterreich nach wie vor Hochkonjuktur. Ob im Knödel, in Radln mit Preiselbeeren, in Schneckenform oder als gebackenes Blunzentascherl auf Rote-Rüben-Carpaccio, die Blunzn ist fast universal einsetzbar und serviert nicht nur eine Augenweide. Legendär war der Topfenstrudel, der freitags angeboten wurde mit einer Suppe zum Aufwärmen. Die Essgewohnheiten haben sich verändert. Jetzt ist der ausgezogene Apfelstrudel der süße Verführer und auch bei den Hauptspeisen gab es Veränderungen. Das Wildschweinschnitzel „Linzer Art“ wird nicht mit Semmel- sondern mit den Bröseln der Linzer Torte paniert. Natürlich ohne Marmeladefüllung. Ich kann es nicht sagen, habe es noch nicht probiert.

Sympathisch ist mir der Süßkartoffel-Burger vom Gramophon, weil er nicht so hoch ist, man(n) den Kiefer beim Reinbeißen nicht so arg verrenken muss. Ein Lokal, das eher jüngeres Publikum anzieht, wie ich aus den Rezepten ableite, dazu zählt der frisch-freche Rieddeckel mit Biersoße, ein saftiges Stück Rindfleisch mit Bandnudeln.

Es ist schwer, allen Beteiligten dieses Gastro-Kochbuches gerecht zu werden. Alle aufzuzählen und vorzustellen ist wie eine Präsentation am Laufsteg. Diesem Dilemma kommt auch der Autor nicht ganz aus. Natürlich ist es die Absicht von Stephen Sokoloff, mit GUUTEN Appetit Ein- und Aussichten zu geben auf die geschätzte Mühlviertler Gastro-Szene. Auf Werte hinzuweisen wie Regionalität, Qualitäten, auch soziale, wenn es um die Zusammenarbeit mit den Produzenten geht, der Zufriedenheit der MitarbeiterInnen, Problembewältigung in Krisenzeiten. Der Autor scheut sich nicht, soziologische und psychologische Aspekte in seinen Wirtshausportraits aufzunehmen. Allerdings ist seine Vorgangsweise die eines Naturwissenschaftlers – ein Rahmen von Fragen, die, klar strukturiert, alles rund um die Gastronomiebetriebe inklusive Personen erhebt und journalistisch auskleidet. Da gibt es viel zu lesen. Manche Texte sind besser gelungen, manche schrammen am PR-Image, bspw. über die Whiskydestillerie oder den Gasthof Eidenberger Alm. Fast schon Sozialreportagen sind die Beiträge über die Glockerwirtin und den Maurerwirt, weil sie am Boden bleiben, von ihren Ängsten und Sorgen, von ihren Familien und dem Umfeld, der Dorfgemeinschaft erzählen. Die Rezepte spiegeln bis zu einem gewissen Grad auch das Milieu, besser die Sozietät – das oberösterreichische Mühlviertel. So steht Wögeners Krenfleisch für das gemeinsame Essen nach dem Saustechen oder die Erdäpfel-Gemüseknödel mit Wurzel-Most-Soße und Julienne Gemüse für die Verschmelzung von Modern und Traditionell. 

In GUUTEN Appetit finden Reisende ins Mühlviertel durchaus gute Tipps zu Gastwirtschaften, die dem leiblichen Wohl dienen. Und Zuhausegebliebene finden das eine oder andere Rezept, um sich das Mühlviertel nach Hause zu holen.