Sybil Gräfin Schönfeldt, Kochbuch für die kleine alte Frau

Mit einer Zeichnungen von Jutta Bauer
edition Momente, Zürich Hamburg, 2018, 3. Auflage, 128 Seiten mit Leseband, 20.00 Euro
ISBN 978-3-0360-6001-9
Vorgekostet

Heute reisen wir nach HAMBURG.

Dort lebt Sybil Gräfin Schönfeldt, eine gebürtige Österreicherin und bekannte Persönlichkeit des Life Style. Die promovierte Germanistin arbeitete lange für Die Zeit und das Zeit-Magazin, übersetzte unter anderem Lewis Carolls Alice in wonderland und schrieb Kinder- und Kochbücher. Ist sie für die einen ein Fels in der Brandung des Journalismus, so ist sie für andere die Grande Dame des guten Tons und wiederum andere nehmen sie vor allem als Autorin wahr, die mit einigen Berühmtheiten zu Tische saß. Diese Tischgespräche mit Goethe, Fontane, Thomas Mann und Astrid Lindgren wurden auch veröffentlicht. Biographien mit Mehrwert, denn es ging darin nicht nur um die Stationen im Leben dieser Persönlichkeiten, sondern auch um ihre Bücher und Rezepte. Das Thema Essen begleitet die Gräfin ihr ganzes Leben. Einem breiteren Publikum zugänglich wurde Schönfeldt dann mit Büchern in der Rowohlt Taschenbuchreihe ‚koche froh mit rororo’. Das waren die ersten Ratgeber für Dicke, für junge Mütter und für überforderte Eltern. Die Titel waren sehr direkt, quasi praxisorientiert: Kochbuch für die Frau vom dicken Mann, Das Kochbuch für geplagte Mütter, Das Kochbuch für die Frau die sparen will und viele andere. Bereits für diese Rowohlt-Reihe war geplant, ein Kochbuch für Alleinlebende, d.h. Einpersonenhaushalte, herauszugeben. Aber Frau Schönfeldt musste 90 Jahre alt werden um dieses Thema in einem Buch zu fassen. Herausgekommen ist eine Art Brevier für die Zeit des Mittag- oder Abendessens, für den Fünfuhrtee oder Nachmittagskaffee. Ein Büchlein mit dem wunderschönen Titel Kochbuch für die kleine alte Frau, das in der Edition momente verlegt ist. Mittlerweile in der 3. Auflage.

Natürlich können sich auch Männer angesprochen fühlen, die willens sind, die ‚alte Frau‘ in der Küche zu stellen.

Wie ist so ein Thema aufzubereiten, ohne dass es gleich belehrend und besserwisserisch-vorschreibend wirkt? Denn eines ist klar, ältere Menschen wollen nicht wie kleine Kinder behandelt werden. Aber sie lieben Geschichten, die spannend sind, und interessante Lebensgeschichten können fesseln. Hier klinkt sich Sybil Gräfin Schönfeldt ein, sie kann auf ein langes, abwechslungsreiches Leben mit vielen lustigen aber auch traurigen Ereignissen zurückblicken.

Und so arbeitet sich die Autorin mit Erinnerungen über Kochen und Essen durch den Parcour ihres Leben. Ihre Vita verpackt sie in Küchenherdgeschichten und Erzählungen über kulinarisch beglückte Menschen. Dabei waren die Lebensumstände nicht immer lustig. Die Pflege ihres Mannes, für den sie Astrid Lindgrens Apfelkuchen buk, weil die weichen süßen Äpfel fast im Munde schmolzen.

Da konnte die Gräfin schon auf mehr als sechs Jahrzehnte Kocherfahrung zurückblicken. Bereits als Single wurde sie von einer Freundin aufgefordert, das Rezept einer Mahlzeit aufzuschreiben, die sie gerade verzehrten. „Genau solche Rezepte brauche ich jetzt!“ war der Kommentar zu dem Paprikagericht. Einfaches Essen, leicht nachzukochen, mit Lebensmitteln, die man im Haus hat. Das ist der Leitgedanke dieses Kochbuchs. Schönfeldts Innitiation mit Essen erfolgte in frühester Kindheit und war den komplexen Verwandschaftsverhätnissen geschuldet. Vier Großmütter und sechs Großväter verteilt zwischen Nassau, Göttingen, Wien, Konstantinopel und Manila prägen Sybils Essgewohnheiten. Keinen geringen Einfluss hatte auch eine Großtante. Diese führte nach dem frühen Tod ihrer Mutter den Haushalt und schrieb viele Rezepte und praktische Haushaltstipps in ein dickes rotes Buch, das Frau Schönfeldt irgendwie erbte. Das ist wunderbar, denn so erfahren wir von der Sandtorte, ein einfaches Backwerk, das gerne zu Teegesellschaften serviert wird. Ob es ihre gesellschaftliche Stellung ist – Adel verpflichtet bekanntlich – oder ob es ihr Alter ist, in welchem es gemeinhin keine zeitlichen Zwänge mehr geben soll, ist nicht zu eruieren; jedenfalls beginnt die Gräfin ihr Kochbuch mit Rezepten zu Teatime. Auch der Apfelkuchen passt wunderbar zu Tee und hat darüberhinaus den Vorteil, dass er kurzerhand eingefroren und später wieder aufgetaut genauso gut schmeckt. Deshalb sammelt Schönfeldt Aluformen in der Größe 20x15x5 cm, präventiv für ihre potenziellen Apfelkuchen. Drei nebeneinander passen auf den Backofenrost, und wenn die Kuchen gebacken sind, werden zwei davon meist gleich „kalt gestellt“. Das nennt sich nachhaltige Vorratshaltung und ist gleichzeitig vorteilhaft für die eigene Figur. 

Zwar werden heute im Hause Schönfeldt keine großen Teegesellschaften mehr gegeben aber Nachmittagskränzchen. Zum Earl Gray gibt es dann ein Stück Mandeltorte oder Zitronentorte. Die Vorzüglichkeit der Letzteren kann ich nur bestätigen, auch die Einfachheit dieser Backwerke. Der Heringssalat zwischen den Torten und Kuchen platziert, ist ein Ausreißer und nur deswegen da, weil er eines der ältesten Rezepte aus dem roten Buch ist. Ein Fastengericht, das ihre Familie immer am 24. Dezember als Letztes auftischte. Diesen Salat kann man sich auch zwischendurch genehmigen, einfach und gut und leicht in der Menge zu regulieren, ob für eine Person, zwei oder mehrere. Der Heringssalat auf Livländische Art enthält neben dem in Streifen geschnittenen Fisch Äpfel und gekochte Pellkartoffel zu gleichen Teilen.

Die Wurzeln des Schönfeldt Geschlechts sind weit verzweigt, bis hin nach Südostasien. Wundert sich hier jemand, dass noch ein Kochbuch existiert, ein Schwarzes? Das hat ihre deutsche Großmutter mit philippinischer Vergangenheit angelegt. Die ‚Manila-Oma‘ notierte damals und auch später nur die Zutaten, die Mengen hatte sie im Kopf. Übernommen hat Schönfeldt einige Reisgerichte aus dem schwarzen Kochbuch. Rezepte aus aller Herren Länder. Zwei Kedgeere Speisen dokumentieren koloniale Familienspuren, während Reis Méridon auf die Liebe zur französischen Esskultur verweist. In weiterer Folge verrät uns die Autorin noch andere Reisgerichte. Der gebratene Reis ist ein mit Gewürzen aromatisiertes einfaches Körnchengericht, während die Reis-Kette ein persönliches Arrangement der Autorin ist, d. h., größere Mengen gekochten Reises dienen als Basis für mehrere Gerichte, die zeitlich hintereinander geschaltet werden. Ein Verfahren, das 

a. einem Einpersonenhaushalt sehr entgegen kommt und

b. für mehrere Tage den Speiseplan bestimmt.

Das funktioniert auch mit anderen Lebensmitteln, z. B. mit Kartoffeln oder Quark vulgo Topfen. Die Prasselnocke ist Portion eins einer Quark-Kette. Am nächsten Tag zwei oder drei Nocken in etwas Butter auf schwacher Hitze wieder warm machen und dazu ein Gemüse. Quark ist eine vielfältig verwendbare Zutat und Rezepte dazu gibt es wie Sand am Meer. Der Aufstrich Schwarz-Weiß ist einfach und schnell gemacht, etwas aufwändiger dagegen sind die Gerichte Quarkblätterteig wie auch Caledonian Cream. Letzteres stammt von der Insel Islay, wo die Autorin eine Nacht lang nicht nur einen Reigen nach dem anderen getanzt, sondern auch das Rezept geschenkt bekommen hat. 

Schönfeldt verwebt ihre Essgeschichten immer mit Begegnungen, Erlebnissen aus dem reichen Erfahrungsschatz ihres Lebens. Fast beiläufig springt sie zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her, bettet sie in kulinarische Abenteuer ein, wobei das Rezept zu einer Art Bestätigung wird. Auch Trauriges hat in diesem Büchlein Platz. Menschen, die plötzlich allein mit dem Leben zu Rande kommen müssen, Erinnerungen an gemeinsame Reisen mit dem verstorbenen Mann. Das verändert lieb gewonnene Essgewohnheiten, lässt häufig Aufgetischtes wie den Porredge später zum Frühstückspartner mutieren. Und in Zeiten, als ihr Mann das Bett nicht mehr verlassen konnte, versuchte sie selbst aus einer Miniportion Porredge einen Kraftbissen zu machen. 

Heute ist Sybil Gräfin Schönfeldt 91 Jahre alt. In dem Kochbuch für die kleine alte Frau sind jene Rezepte versammelt die sie immer wieder kocht. Es sind bewährte, schmackhafte Gerichte – mit einem Wort: alltagstauglich. Im gewissen Sinne ist dieses unscheinbare Kochbüchlein auch eine Aufforderung, sich nicht aufzugeben, wenn man allein ist und allein isst. Das gelingt! Im Kochbuch für die kleine alte Frau werden viele einfache Mahlzeiten vorgestellt, die sich täglich bewähren. Und, mit diesem Kochbuch können auch alte Männer etwas anfangen.