Heute reisen wir durch das weihnachtliche EUROPA.
Unsere erste Station ist Graz, wo wir Taliman Sluga besuchen. Dieser, ein Enthusiast der österreichischen Küchenszene, ist ein ruheloser Vermittler für alles, was mit Kulinarik im weitesten Sinne zu tun hat. So ist er lange schon als Kochbuchautor tätig wie auch an Schulen lehrend und der Initiator der Kochbuchmesse Graz bzw. des Österreichischen Kochbuchpreises Prix Prato. Über ein Jahrzehnt beschäftigt sich Sluga nun schon mit Weihnachten als soziales und kulinarisches Ereignis. Das erfahren wir aus dem Vorwort seines neuesten Kochbuchs, das sich mit Weihnachten in Europa auseinandersetzt. Das Konzept und der Hintergrund für das Europäische Weihnachtskochbuch ist so einfach wie zündend. In Wagrain im Salzburger Land war Joseph Mohr Pfarrer. Von ihm stammt „Stille Nacht, heilige Nacht, …“ das wohl berühmteste Weihnachtslied der Welt. In der vierten Strophe geht es um „Jesus (und) die Völker der Welt“, was zum Ausgangspunkt wurde für das Projekt ‚Advent der Kulturen’. Da setzten sich die unterschiedlichsten Interessensgruppen aus Wagrain und Kleinarl mit weihnachtlichen Bräuchen inklusive Kulinarik und Kunsthandwerk auseinander. Öffentlich! Jedes Jahr wurde ein anderes Gastland präsentiert. Die Zusammenfassungen der nationalen Weihnachtstraditionen wie auch kulinarischen Gepflogenheiten sind nun im europäischen Weihnachtskochbuch geeint. Jedes Land bildet praktisch ein Kapitel. Von Albanien bis nach Zypern wird der weihnachtliche Bogen gespannt. Die länderspezifischen Ausführungen sind vor allem volkskundlich orientiert und lassen mehr als vermuten, welch enormer Arbeitsaufwand in der Recherche steckt. Dabei beschränkt sich das Erzählte nicht nur auf das eigentliche Fest, sondern bezieht auch das Rundherum wie Advent-Märkte und Besonderheiten, etwa Weihnachtskarten, Weihnachtsschwimmen, Weizen säen am 4. Dezember sowie Krippenbauen inklusive Figuren und anderes mit ein. So gelingt es dem Autor, die regionalen Unterschiede innerhalb der Länder so verständlich und einfühlsam zu verschränken, dass es ein wahres Lesevergnügen ist. Auf drei Seiten Text pro Land zusammengefasst sind die nationalen Weihnachtsfeste sehr gut herausgearbeitet. Ausgenommen Klein- und Zwergstaaten, einige jugoslawische Nachfolgestaaten und die östlichsten europäischen Länder, die mit ein, zwei Absätzen beschrieben sind.
Viel Neues wird man entdecken. Etwa, dass in Paris eine der größten Weihnachtskrippen der Welt steht oder dass in der Provence Krippenfiguren traditionell aus Porzellan hergestellt werden und mit rund 50 typischen Figuren alle Berufs- und Bevölkerungsgruppen dargestellt sind. Der Drei-Königs-Kuchen wird selbstverständlich zum Dreikönigsfest serviert und lässt erkennen, dass die weihnachtlichen Aktivitäten über Neujahr hinausgehen. Gleichzeitig wird auch der spielerische und pädagogische Bezug zum Christfest hergestellt. Z. Bsp. wenn in der Galettes de Rois eine Bohne versteckt ist und die Person, die sie findet, darf sich die Königskrone aufsetzen und ist für den Tag mit allen royalen Freiheiten ausgestattet, was immer das heißen mag. Dass das Rezept des Dreikönigs-Kuchens nicht verraten wird, nachdem sein Brauch relativ ausführlich beschrieben ist, finde ich schade.
Jedem Land werden mindestens drei Gerichte zugeordnet, manchen auch mehr. In Großbritannien gibt es Blätterteigpastetchen mit Hühnerfleisch-Füllung, Gebratenes Roastbeef mit Rosenkohl, Bratkartoffeln und Remouladensauce, Mince Pies, Christmas Cake und Christmas Pudding. Wer also Weihnachten wie die Briten feiern will, findet hier die entsprechenden Rezepte. Interessant ist, dass das britische Mince Pies viel üppiger ist als deren irische Version.
Dass wegen der Vielzahl an vorzustellenden Ländern die Weihnachtsbeschreibungen knapp gehalten sind, ist klar. Dennoch kommt Slugas erzählerisches Talent voll zur Geltung und man hat nach jeder Vorstellung eines Landes das Gefühl, jetzt weiß ich, wie dort Weihnachten gefeiert wird. Leider fehlen zu manchen Referenz-Gerichten, die im Ländertext vorkommen, die entsprechenden Rezepte. Zum Beispiel wird bei Norwegen Pinnekjott erwähnt, das sind gepökelte Lammrippen – und eines der beliebtesten Weihnachtsessen, vor allem im Westen des Landes. Klassisch wird es mit entrindeten Birkenzweigen (es geht auch ohne), die 5 cm hoch zwischen Topfboden und Fleisch geschichtet werden, zubereitet. Die Rippchen sind ein bäuerliches Festgericht, die mit Karottenpüree und Pellkartoffeln sowie gelegentlich Preiselbeermarmelade oder körnigem Senf serviert werden. Da hätte ich doch wirklich gerne das Rezept!
Voll ins weihnachtliche Skandinavierherz trifft der Mandelkranzkuchen, der in Norwegen und Dänemark gerne am Ende der Festtafel aufgetragen wird. Der Kranzkuchen ist ein prächtiges, mit kleinen Norweger-Fähnchen geschmücktes Gebäck, das auch zu Hochzeiten, Taufen und Silvester auf den Tisch kommt. Hinsichtlich der Zubereitung gibt es kleine nationale Unterschiede. Während in fast allen norwegischen Rezepten Mandeln blanchiert, getrocknet und gemahlen werden, verwendet man in Dänemark meistens die fertige Marzipanrohmasse. Es ist ein einfacher Kuchen, der aus 500 g Mandeln, 500 g Staubzucker und 3-4 Eiweiß besteht. Die durchschnittliche Backdauer der einzelnen Ringe beträgt etwa 20 Minuten bei 150 Grad. Wer sie etwas knuspriger will, der lässt sie länger im Ofen. Übrigens helfen Kinder mit Begeisterung mit, die unterschiedlich großen Ringe zu einem konischen Turm zusammenzubauen. Die meisten Norweger mögen ihren Kranzkuchen außen fest und innen schön weich und ein bisschen zäh. Bis Weihnachten haben Sie also noch genügend Zeit herauszufinden, wie Ihr Mandelkranzturm am besten gelingt.
Gänzlich anders aber nicht weniger bekömmlich ist das Weihnachtsmenü aus Schweden. Da gibt es zum Auftakt Ärter med Fläsk, das ist eine gelbe Erbsensuppe mit Schweinefleisch.
Dieser folgt Janssons Versuchung, ein Auflauf mit Kartoffeln und filetierten Sprotten. Zum Nachtisch gibt es Ris à la Malta, ein Milchreis oder Reispudding, der mit Milch und Wasser gekocht wird. Die schwedische Bezeichnung hat nichts mit der Mittelmeerinsel zu tun, sondern leitet sich wohl vom dänischen Dessertnamen Risalamande und dieser vom französischen riz à l’amande – Mandelreis – ab. Wer also ein schwedisches Weihnachtsessen servieren will, der schlage diese Seiten auf.
Unzählig und vielfältigst sind Slugas Angebote weihnachtlicher Festessen. Wenn ich hier mehr auf das nördliche Mitteleuropa eingegangen bin, so deshalb, um dem reflexartigen Verhalten, nach Italien und anderen südeuropäischen Ländern zu schauen, nicht nachzugeben. Und für uns Anwender ist auch die Gefahr groß, sich nicht entscheiden zu können, ob man das slowakische Menue, das rumänische, das portugiesische oder ein anderes für Weihnachten vorschlagen will.
Taliman Sluga hat eine Art Reisebuch mit kulturanthropologischen Feldnotizen samt Rezepten vorgelegt. Es ist eine Einladung, über den buchstäblichen Tellerrand zu schauen, den liebgewonnenen Essgewohnheiten und uns etwas Neues zuzumuten, das Weihnachtsessen europäisch zu gestalten. Das Europäische Weihnachtskochbuch, mit vielen Fotos und flüssig geschriebenen Texten, führt uns an den Weihnachtstisch vieler europäischer Länder.