Heute reisen wir nach BASEL.
In eine Stadt, die mit Chemie reich wurde. Die ganz großen Pharmakonzerne haben sich dort an den Ufern des Rheins angesiedelt. Kunsttempel wie das Tinguely-Museum oder die Foundation Beyeler sowie alte Zunfthäuser, auch die Basler Fasnacht und natürlich die berühmten strömungsgetriebenen Rheinfähren – sie alle und einiges mehr prägen das Bild dieser Stadt. Hier ist der Reichtum sichtbar; nicht aufdringlich, eher verhalten. Und obwohl diese Stadt von calvinistischen Lutheranern geprägt ist, gönnen sich die Bürger auch den Luxus des Ausgehens, wie die vielen Spitzenrestaurants und Starköche beweisen. Im Basler Hotel Les Trois Rois kocht Peter Knogl und im angesehenen Stucki ist Tanja Grandits Chef de Cuisine. Schweiz, du kleines Land großer Köchinnen, fällt mir spontan dazu ein. Grandits hat Niveau, gehört zu den experimentierfreudigen Jungen, die in Marianne Kaltenbach oder Rosa Tschudi ihre Vorbilder haben. Grandits ist Deutsche, die zwei Semester Chemie studierte, dann eine Kochlehre absolvierte und in Basel sesshaft wurde. Erste internationale Kocherfahrungen sammelte sie in London und in Südfrankreich. Im Stucki lebt sie die Liebe zum Essen, ganz im Sinne vom Restaurantgründer Hans Stucki. Sein Kochstil war schlicht, seine wichtigste Zutat die Vernunft. Für den Feinschmecker Stucki war Essen erstklassiger Genuss. Essen muss ein Fest für Auge, Nase und Gaumen sein. Tanja Grandits Küche steht in dieser Tradition. Sie ist das Zentrum ihres Lebens, wo der Tag beginnt und wieder aufhört. Aus dem Alltag gegriffen sind daher Grandits Lieblingsrezepte, die sie in Tanjas Kochbuch vereinigt, das im AT Verlag erschienen ist.
Vom Glück der einfachen Küche heißt es im Untertitel und meint die Schüssel in der Mitte des Tisches und ihrem verheißungsvollen Inhalt. Hier werden Werte vermittelt, zuerst die der Köchin an ihre 13-jährige Tochter Emma und in weiterer Folge uns Anwendern dieses Kochbuchs. Mit ihren Herzensrezepten plädiert Grandits für einen entspannten Umgang mit dem Essen. Also! Nehmen wir Tanjas Kochbuch zur Hand, lehnen uns zurück und blättern wir uns hinein in Grandits Glücks-Küche. Aber da ist zuerst Emma, die in Mamas Restaurant zu Hause ist. Naja, einen Stock drüber. Emma ist Tanjas erste und kritischste Testesserin. Sie nimmt vorweg, was ich und viele andere Kritiker nur bestätigen können, wenn sie meint: Ich habe das Gefühl, dass unser Essen auch deshalb so gesund ist, weil es so toll schmeckt. Oder umgekehrt?
In neun Kapiteln werden Gerichte präsentiert, die gut und gesund sind. Vor allem aber immer mit frischen Zutaten zubereitet werden. Das Stichwort lautet, zeitgemäß kochen und meint natürlich, ausgewogen, saisonal und nachhaltig ohne lustfeindliche, einschränkende Ideologien.
Für die Grandits ist das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages. Auch, weil sie das Frühstück zum gemeinsamen Ritual erhoben haben. Die Regel ist: Alles darf, nichts muss sein! Und – so spricht die Köchin – weil der Gaumen am Morgen noch frisch ist, nimmt er die Geschmacksnoten viel besser wahr als am Abend. Dieses Kapitel ist vielfältig und überraschend, cremig und knusprig – eine Fundgrube für Jung und Alt. Müslifans werden mit einer Sommer- und Winter-Variante bedient. In der warmen Jahreszeit finden sich darin Beeren und frische Früchte, die beliebig ausgetauscht werden können, sechs Monate später sind die exotischen Pendants an der Reihe. Das Kokos-Mango-Müsli ist üppig an Zutaten und schmeckte meiner Tochter Magda am besten. Ich habe es mehr mit der englischen Frühstückstradition und Porridge, zur Zeit zumindest. Das Kern & Korn-Porridge mit Grüntee-Birnen ist nicht nur ein Energiespender, es lässt Vorfreude aufkommen, wenn ich am Abend das kernige Power-Porridge einweiche für den nächsten Morgen. Hier blitzen die vielseitigen internationalen Erfahrungen einer Köchin auf. In den Frühstücksvorschlägen finden sich Spuren aus allen Weltküchen. Ob Pancakes mit Exoten-Kompott oder gebratener Frühstücksreis oder ein ausgiebiges Sonntagsfrühstück, bestehend aus Joghurt-Fladenbrot mit Guacamole & Co.; bei dieser Auswahl kommt jede und jeder in die Gänge. Für mich sind zur Zeit die Frühstückskekse mit Karamell-Gewürztee hoch im Kurs, während meine Liebste für das perfekte Butterbrot alles andere stehen lässt. Ich verstehe sie … allein der Duft vom Fenchelsamen, der dem frisch gebackenen Brot entströmt …
Im zweiten Kapitel geht es um Leckereien in flüssiger und fester Form für Unterwegs. Es ist eine schöne Geste, meint Grandits, jemandem etwas mitzugeben. Ihre Müsliriegel sind eine ideale Stärkung in allen Lebenslagen und die selbst gemachten Eistees viel gesünder als die gekauften.
Wenn an einem milden Sommer- oder an einem kühlen Winterabend ein paar Leute auf dem bunten Sofa oder an der langen Tafel zusammensitzen, dann gibt es im Hause Grandits Snacks und Aperitifs. Und zwar in einer Vielfalt, die keinen Wunsch offen lässt, mehr noch, sie garantieren zwanglose Plaudereien in heimeliger Umgebung. Die Zutaten reichen von Avocado bis Rucola. Ich habe mich für Holunderblütenküchlein mit Limetten-Crème-Frâiche entschieden. Endlich mal kann man mit Holunderblüten etwas Handfestes backen und nicht immer nur Sirup daraus machen. Des Weiteren lässt sich dieser Snack süß oder salzig gestalten. Ist dieses Kapitel schon sehr sehr grün hinsichtlich der Ausgangsprodukte, das nächste wird noch grüner. Salate sind für Tanja der Inbegriff von Geselligkeit, weil, wenn er in der Mitte der Tafel steht, sich jeder nach Lust und Laune bedienen kann. Aber es wäre nicht Tanja Grandits, würde sie nicht meine Farbvorgabe konterkarieren und Salate in wuchtigen Rot-, Orange- und Violetttönen präsentieren. Und so rette ich mich hinüber zu den Suppen. Seelennahrung sind sie für die Köchin. Ihr Repertoire schöpft sie aus vielen Länderküchen. Damit endet vorläufig das Rezeptangebot an Flüssigem.
Gemüse, schreibt die Autorin einleitend zum vegetarischen Kapitel, bildet die Grundlage meiner Küche. Die Farben, der Duft, die Vielfalt lassen in ihr sofort Ideen sprudeln. Deshalb überrascht es nicht, dass ich mich schwer entscheiden kann, was ich als Erstes ausprobieren will. Zwischen Spinatknödel mit Bergkäse und Basilikum und Miso-Auberginen mit Linsen-Salsa und Safran-Basmati pendelnd, habe ich mich letztlich für Rote-Bete-Kokos-Curry mit Gerste entschieden, nicht nur wegen dem schönen roten Farbton, sondern auch ein wenig, um dem alten Getreide meine Referenz zu erweisen.
Mit Fisch und Fleisch sind wir dann beim Höhepunkt des Kochens angelangt. Auch, weil sie in der Regel nicht viel Drumherum benötigt, wenn die Zubereitung nicht hochkompliziert ist. Etwas Feingefühl braucht man allerdings schon bei der Zubereitung der Pulpo-Liebe oder für Marcos Kalbshaxe, so unwahrscheinlich das klingt. Und weil wir uns auf keine Debatte einlassen, sondern einfach Tanja glauben, gehen wir weiter zum Ursprung des Kochens überhaupt. Aus dem Ofen beglücken wir uns mit einer Tomaten-Focaccia mit Ricotta und Rosmarin oder mit einer Pizza mit Datteln, Mandeln und Minze oder einer Fenchel-Ziegenkäse-Quiche oder einfach einem Mais-Buttermilch-Brot, das, mit Tomate und Spiegelei belegt, ein herrlicher Genuss ist.
Wenn Tanja Grandits behauptet, dass Desserts nicht zu ihren Stärken zählen, so will man das fast nicht glauben. Jedenfalls hält sie einige einfache und raffinierte Überraschungen bereit, die Augen zum Leuchten bringen ob der zu erwartenden Gaumenfreude. Auffällig ist die große Bandbreite, die vom hausgemachten Eis über cremige Reduktionen bis zu fruchtigem Backwerk reicht. Hier ist noch einiges auszuprobieren.
Zum Schluss wird es noch einmal richtig spannend. Da erfahren wir, was Tanja Grandits an Essenzen und Mischungen in ihrem Vorrat hat. Nicht alles halte ich für notwendig, aber einige Anregungen habe ich umgesetzt. Mit dem reinen Aufbewahren von getrockneten Orangen- und Zitronenzesten war ich nie sehr glücklich. Aber Orangenschalen zu Orangenpulver zu verarbeiten ist nicht nur eine prima Idee, sondern auch gut zu händeln, ebenso die eingelegten Zitronenzesten. Originell ist auch der Tipp, Marinaden für Fruchtsalate und Salatdressings mit selbst gebrauten Sirupen abzurunden. Farbenfroh und geschmacksfreudig präsentieren sich diese aus Zitrone, Ingwer, Honig, Thymian, diversen Blüten und anderen Ingredienzien hergestellten Fusionen. Die verschiedenen Senfkreationen mit Ananas, Basilikum und Blaubeeren nahm ich dann mehr als Anlass zum eigenen Herumexperimentieren. Schade, dass die Autorin nicht ihr Senfrezept preisgibt das für die Frucht- und Kräutersenfe als Basis dient. Sehr dankbar bin ich jedenfalls für das Rezept für Ingwer-Pickles. Sie haben sich als ideales Mitbringsel entpuppt. Überhaupt eignet sich einiges aus diesem Kapitel als kleine Überraschungs-Gabe. Vermisst habe ich lediglich die Haltbarkeitdaten.
Tanjas Kochbuch von Tanja Grandits ist ein Fundus an schnellen, meist einfachen Rezepten, die alle Altersstufen gleichermaßen begeistern. Dass hier eine Haubenköchin zugange ist, merkt man nur gelegentlich und das mehr zwischen den Zeilen. Dann wenn vorausgesetzt wird, was in einer Profiküche Standard ist. Aber hier kocht sie in ihrer privaten Küche, mit Augenzwinkern für ein junges Publikum. Das merkt man auch am Layout, das durch zeichnerische Randbemerkungen eine spielerische Leichtigkeit erhält. Die Zielgruppe sind Teenager à la Emma, sie sollen gutes Essen erfahren. Davon sind allerdings ältere Semester nicht ausgeschlossen, auch sie können noch dazulernen. Manchmal ufern Rezepte hinsichtlich der Zutatenmenge leicht aus, wie etwa bei der
Sellerie-Grüntee-Bouillon mit Kräuter-Tempura, angesichts des wenigen Etwas, das dann in einer Brühe schwimmt. Aber hier schimmert die Profiköchin durch, die beste Qualität einfordert, um intensive Aromen selbst aus einer einfachen Bouillon hervorzuzaubern. Ich schätze auch den Einfallsreichtum, mit dem sie ihre Rezepte entwickelt, die immer wieder überraschende Elemente enthalten. Zum Glück hat Tanja Grandits eine 13jährige Tochter, die ihre kulinarischen Vorlieben einfordert und uns mit diesem Kochbuch Lieblingsrezepte für jeden Tag beschert.