Tiko Tuskadze, Supra. Ein Fest der georgischen Küche

Aus dem Englischen übersetzt von Manuela Schomann
ars vivendi Verlag, Cadolzburg, 2018, 208 Seiten, 17.99 Euro
ISBN 978-3-86913-978-4
Vorgekostet

Heute reisen wir nach GEORGIEN.

In ein Land zwischen zwei Meeren, das wie ein Bindestrich den Orient vom Okzident trennt. In ein Land, das uns musikalisch mit seiner polyphonen Chortradition begeistert, das uns Orte melancholischer Stille vorführt mit seinen unvergleichlich grünen Landschaften. Es ist ein Land mit einer jungen Schriftstellergeneration, die die gesellschaftlichen Abgründe ihrer Heimat thematisieren und bekämpfen. Es geht in eine Region, wo Verrat, Tod und Aufbruch, Tradition und Moderne, Ost und West nahe beisammen liegen. Dort ist es „auch schön, dem kann ich nichts entgegensetzen“, schreibt Nino Haratischwili in Das achte Leben und charakterisiert mit wenigen Sätzen, wer oder was Georgien ist. Ein Land „mit steinigen Bergen und einer stei- nigen Küste am Schwarzen Meer: Die Küste ist zwar im Laufe des letzten Jahrhunderts um einiges geschrumpft, dank der großen Zahl an Bürgerkriegen, dämlichen politischen Entscheidungen, hasserfüllten Konflikten, aber ein schöner Teil davon ist noch da. … Ein Land, das bei seinen Bewohnern liebenswerte Eigenschaften wie die heilig gesprochene Gastfreundschaft begünstigt“. Und um diese geht es uns heute – im kulinarischen Sinne – beim Besuch Georgiens.

Tiko Tuskadze ist Georgierin, Köchin und sie betreibt das Restaurant Little Georgia in London. Also eine Kaukasierin in der Diaspora. Ihrer Großmutter verdankt sie die Liebe zum Essen, Ko- chen und Feiern. Der Duft der Jahreszeiten und der dazugehörigen Speisen löst bei ihr intensive Erinnerungen an das Leben in Georgien aus. Sie und ihre Landsleute sind Frohnaturen, denn sie finden immer einen Grund zum Feiern. Die Weggezogenen, die in der Fremde vielleicht noch mehr, gilt es doch das Heimweh mit gutem Essen und Freunden zu bekämpfen. In diesem Kontext hat Georgien sogar eine besondere Tradition – das georgische Bankett, Supra genannt.

Supra ist auch der Titel des Kochbuchs von Tiko Tuskadze, das im Verlag ars vivendi erschienen ist. Supra bedeutet Lebensfreude pur. Keine normalen Partys, sondern Zusammenkünfte, die das Leben selbst feiern, schreibt die Autorin in der Einführung. Das Supra wirkt therapeutisch sowohl auf die zuhause gebliebenen Georgier als auch auf die in der Fremde. Es ist ein Festmahl, das viele Stunden andauert. Ein Toastmaster (Tamada) moderiert das Supra, macht mit Trinksprüchen auf das Land, auf die Familie, auf Frauen und anderes Stimmung. Dabei wird viel geraucht und gesungen, georgischer Wein getrunken und unzählige Köstlichkeiten werden dabei verzehrt. Die Festtafel ist voll von Speisen, sodass sich die Platten biegen, eine Speisenfolge vorgegeben. Diese kann einfach geändert, den Anforderungen angepasst werden, da viele Gerichte in größeren Mengen vorbereitet sind. Am Anfang kommen Salate auf den Tisch, dazu jede Menge Saucen. Der Wein in kühlenden Tonkrügen steht bereit. Die Aromen von Koriander, Ringelblume und Bockshornklee, den typischen Kräutern Georgiens, schweben in der Luft.

Supra das georgische Kochbuch ist aufgebaut, wie die Speisen aufgetragen werden. Den Cremes, Pasten & Saucen folgt das Kapitel der Salate. Dann sind die Suppen an der Reihe, die von Brot & Käse begleitet werden. Jetzt kommen die Hauptgerichte wie Fleisch, Geflügel, Fisch und Vegetarisch, das Ende macht Fruchtig & süß. Den neun Gerichte-Kapiteln vorangestellt ist eine ausführliche Erklärung der Supra. Die Nachhut bilden sinnvolle Informationen über Zutaten & Fachbegriffe, Bezugsquellen & Händler, Adressen von Vereinen und Restaurants sowie ein ausführliches Register, das uns über die Rezepte als auch die Zutaten den Zugang zur georgischen Küche öffnet. Erfreulich sind die drei österreichischen Adressen, über die georgischer Wein und viele Gewürze und Spezialitäten Vorderasiens bezogen werden können.

Der Rezepte-Reigen beginnt mit Pasten und Saucen, und mittendrin die vielleicht wichtigste Tunke, die Würzsoße Tkemali, die für den Geschmack Georgiens steht. Die Bandbreite dieser Pflaumensauce reicht von leicht säuerlich bis sehr süß, je nachdem, wann die Pflaumen geerntet wurden. Tkemali passt wunderbar zu Fleisch und Fisch. Wie überhaupt Pflaumen, ob als Frucht oder gedörrt, fast einen Nationalstatus in Georgien besitzen. Das beste Huhn, das ich je gegessen habe, ist Huhn mit Backpflaumen nach einem georgischen Rezept. Die Cremes und Pasten, die im ersten Kapitel beschrieben werden, sind ein Hit, weil sie unabhängig von Supra vielfältigst einsetzbar sind. Die Spinatpaste aufs Brot geschmiert ist eine Jause für sich. Die Rote-Bete-Paste ist nicht nur ein farbenfroher Augenschmaus, nein, hier juchzen die Geschmackssinne bei jedem Bissen. Oder die Karottenpaste oder die Grüne-Bohnen-Creme oder die Granatapfelsauce, sie alle begleiten auf wunderbare Weise die Salate als auch späteren Gänge. Ein wichtiges georgisches Grundnahrungsmittel ist Lobio, das sind Bohnen. Ein Nahrungsmittel, das vielen Georgiern die Bürgerkriegszeiten überleben half. Unzählig sind die Rezepte, die einfallsreiche Frauen mit den Hülsenfrüchten kreierten. Auch Tikos Großmutter brachte so ihre Familie durch Georgiens schwierige Zeiten. Werden dem sommerlichen Kidneybohnensalat frische Kräuter beigemengt, so geben dem winterlichen Kidneybohnensalat Koriander und Zimt jene wärmenden Aromen, die uns die kalten Tage leichter ertragen lassen. Und auf Festen serviert man Kidneybohnensalat mit Walnüssen. Im Winter wird vielerorts eine herzhafte Bohnensuppe aufgetragen. Natürlich gibt es auch Borschtsch, die berühmte Rote-Bete-Suppe, die in unzähligen Variationen von Russland bis Asserbeidschan in den Töpfen still vor sich hin köcheln. Tuskadze verfeinert diese Suppe mit einer Fenchelknolle, das verleiht ihr einen Hauch von Anis – köstlich.

Eine Sonderstellung nimmt das Brot in der georgischen Küche ein. Während die Westgeorgier zu Käse und Bohnen vorwiegend Maisfladenbrot essen, bevorzugen die Osseten ein Fladenbrot mit eingebackenem Käse. Letzteres ist sowohl Vorspeise als auch eine eigenständige Mahlzeit. Aber Vorsicht: Das Ossetische Käsefladenbrot kann süchtig machen und zuviel davon … na, Sie wissen schon. Auch hier gibt es noch unzählige Spielarten wie das Gurische Käsefladenbrot, in das neben Käse auch hartgekochte Eier eingebacken werden, oder Kubdari, das mit Rind- und Schweinefleisch gefüllt ist.

Die Autorin lässt immer wieder Hintergrundinformationen einfließen, die auch persönliche Erfahrungen beinhalten. Mit Kubdari verbindet sie eine unvergessliche Reise in die Bergwelt Nordwestgeorigens, an Bebias Supi  sind Duftnoten mit Großmutters Suppen geknüpft, und beim Aroma von Ajabsandali, dem Aubergineneintopf werden die Erinnerungen an die Jugend wach, an die Zeiten, die Tuskadze bei ihrer Familie verbrachte. Es waren Zeiten scheinbar nie endender Sommerferien, schreibt sie im Vorspann zum Gericht. Und weil dieser Aubergineneintopf an den Geschmack des verrinnenden Sommers erinnert, werden Sie das Rezept erfahren.

Endlos ist die Liste georgischer Schmankerln. So werden in den Kapiteln der Hauptspeisen Eintöpfe neben Gebratenem, in Teigtaschen verstecktes Allerlei, zu Bällchen geformtes Verhacktes, in der Pfanne Gebratenes, in Pfannkuchen Eingerolltes, mit Käse Überbackenes u.v.a. angeboten. Hier fällt es schwer, das eine oder andere hervorzuheben, bei jedem Gericht läuft einem das Wasser im Munde zusammen.

Vom Nachtisch zu erzählen will ich gar nicht erst beginnen. Nur eins: den georgischen Apfelkuchen nahm ich zur Chorprobe mit und der ward nach dem Singen in Nullkommanix verputzt. Polyphones Schmatzen mit genussvollen Seufzereinlagen bildete den Schlussakkord.

Supra von Tiko Tuskadze ist ein wunderbares Kochbuch. Vielfältig an Rezepten, die keine Vorlieben auslassen. Für Aufheiterung sorgen eingestreute Zeichnungen, die Tamara Melikishvili, die Schwägerin der Autorin, beisteuerte. Die farbenprächtigen Speiseabbildungen und historischen Aufnahmen stammen von Familienmitgliedern und der Autorin selbst. Supra, das Fest, ist ethnopolitisch gesehen ein konservatives Gesellschaftsritual, das dazu diente, sich gegen die russische Volkskultur abzugrenzen. Heute wirkt es identitätsstiftend und damit abschottend gegen die Globalisierung, das muss klar gesagt werden. Aber das Konzept von Supra ist genial. Ein Ereignis vom Geburtstag bis zum individuellen Hungerstillen für zwei, vier, zwölf, hundert und mehr Leute mit Essen und Trinksprüchen zu feiern. Denn die Rezepte aus dem Kochbuch Supra können sowohl als einzelne Mahlzeit als auch als Mosaik vieler Gerichte zusammengesetzt serviert werden. Und außerdem präsentiert Tiko Tuskadze uns die georgische Küche als eine, die fast alle Register des Speisens bedient, quasi als kulinarisches Potpourri der Aromen. Abenteuer pur, was will man mehr?

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