Ulf Tietge, Lisa Rudiger, Schwarzwald reloaded 3

Kuchen, Torten, Plätzle fürs ganze Jahr

Fotografiert von Dimitri Dell
Team Tietge Verlag, Offenburg, 2021, 288 Seiten, 29.80 Euro
ISBN 978-3-949346-01-9
Vorgekostet

Heute reisen wir in den SCHWARZWALD.

Um dorthin zu  gelangen, muss ich gar nicht weit fahren. Denn schon bei meinem Lebensmittelhändler an der Wursttheke erwartet mich ein strahlend dunkelroter Schwarzwälder Schinken, schmackhafter Ausdruck seiner süddeutschen heimatlichen Gebirgsregion und Landschaft die auch häufig mit den Märchen der Gebrüder Grimm in Verbindung gebracht wird. Die Schwarzwaldhauptstadt Freiburg im Breisgau ist sogar Innsbrucks Partnerstadt. Und wer am Freiburger Münstermarkt an den Ständen entlang flaniert, kommt nicht umhin, Stefans Käsekuchen zu probieren. 

Kuchen sind Leckerbissen, sonst wären sie nicht so beliebt; ein simpler Teig, bestehend aus Butter, Zucker, Ei und Mehl. Zum Leben erwachen sie durch einen Spritzer Zitrone, einer Füllung aus Frischkäse, Mascarpone und Quark oder Obst das versteckt im Teig wie auch an der Oberfläche ‚lümmelnd‘ sich präsentiert wie auf einer Schaubühne. Naheliegend, dass auf Teufel komm raus gebacken wird im Schwarzwald, und die Kreationen traditioneller wie auch experimenteller Backkunst in einem Buch zusammengefasst sind. Schwarzwald relouded 3 birgt viele süße und einige herzhafte Rezepturen, mit dem Ziel, Schwarzwälder Backwerke bekannter zu machen und vor allem sie zu vernaschen. Im großen Schlemmen – dem ersten Kapitel – erzählen die Autoren, wie sie den Urlaub vor der Haustür gestalten … an diesem strahlend schönen Altweibersommertag in den Hügeln über Offenburg. Omas Tischdecke spannt sich mal wieder über den breiten Gartentisch und Lisa (Rudiger) stellt eine Leckerei nach der anderen zwischen Tassen und Teller: eine Schokosahne mit Karamell, Beerenküchle, selbst gemachte Macarons und ein paar Cakepops … Was für ein paradiesisch schöner Sonntag! Eigentlich müsste man so etwas doch viel häufiger machen, oder? Einfach mal einen Tisch in den Garten stellen oder eine Decke in den Park legen und back-nicken.

Das machen wir denn auch und sitzen lachend vor Tellern mit verführerisch duftenden Stücken Schwarzwälder Naschereien. 

Der Schwarzwälder Kirschhügel hat nichts mit dem altmodischen Zauber des Biskuitkuchens gemein, wohl eher mit einer Trutzburg, die hier ihre sahnige Kirschfüllung nicht so leichtfertig herzeigt. Anders die Kinder an dieser Tafel, die in ihrer Vorfreude lachend auf die gehamsterten Stücke zeigen, ehe sie ihnen den Garaus machen.

Lisa Rudigers Kirschtorte, ihre ‚schönste Schwarzwälder‘, wird mittig auf den Tisch gestellt. Schokoladensplitter, aneinandergereiht wie ein Palisadenzaun, stellen sich schützend vor das Tortenrund. Zwischen zwei Böden versteckt die gelatineversteifte Sahne. Ob das gesund ist? fragen sich die Autoren und antworten: Nicht, wenn jeden Tag Sonntag wäre. Die Black Forest Cupcakes, deren Vanillesahnehaupt eine Kirsche krönt, verstecken ihr wahres Innere hinter Papierförmchen. Auf einer Etagère aufgestellt im Kreis, kokettieren sie um die Gunst der Gesellschaft. Hier gilt die Devise, frei nach Forrest Gump: Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man kriegt! Anders sieht es bei der Schwarzwälder Kirsch-Roulade aus, sie kehrt ihr Innerstes verführerisch nach außen. Nicht gerührt oder geschüttelt, sondern gerollt. Und inhaltlich?, gleich wie der Klassiker in Rund, nur von allem etwas weniger. Ist das ‚M‘, die die Roulade anschneidet? Kirschen in jeglicher Form also dominieren das erste Kapitel dieses Heimat-Backbuches. Selbst die Linzer Torte, die hier etwas pummelig daherkommt, wird mit Sauerkirschen angefüllt und mit Kirschwasser aufmunitioniert. Auch hier gilt wie für die Schwarzwälder Kirschtorte: Varianten von der Linzer Torte gibt es wie Sand am Meer. Nicht so hochprozentig fällt der Kirschplotzer aus, der kinderfreundlich mit Kirschsaft aromatisiert wird. Zusammen mit dem Schneewittchenkuchen ideal für Kindergeburtstage. Hoch hinaus dagegen will der dreistöckige Holunder-Kirsch Naked-Cake, ein Schichtwerk, das, mit Holunderblüten dekoriert, nicht nur eine imposante Erscheinung abgibt. Mit einigen Millilitern von Holundersirup getränkt, entfaltet sich die Frühlingsnote mit jedem Bissen neu. Der Sahneanteil ist zwar immer noch erheblich, aber schon reduziert.

Kein Schwarzwald-Kochbuch kommt ohne irgendeinen Hinweis auf die Schwarzwälder Kirschtorte aus. So erfahren wir in einem Beitrag, dass die berühmte Schwarzwälderin gar nicht aus dem Schwarzwald stammt, sondern bei Bonn erfunden wurde. 1915 kredenzte der Schwabe Josef Keller sie zum ersten Mal im Café Agner in Bad Godesberg. Erst 1929 wurde das Rezept von seinem ehemaligen Lehrling Claus Schäfer dorthin gebracht, wo es namentlich auch hingehört. Handschriftlich festgehalten ist das Originalrezept in einem alten, vergilbten Rezeptbüchlein, das die Nachkommen erst in den 1960er Jahren entdeckten. Das Allerwichtigste, verrät Schäfers Sohn: Das Kirschwasser muss in die Sahne. Nur so bekommt die Schwarzwälder ihr allumfassendes Aroma. Und ob nun die Black Forest Cherry Cake weltberühmter ist oder die Sacher Torte, lassen wir andere entscheiden.

Schwarzwald relouded 3 nähert sich in 10 Themenkapiteln den Kuchen, Torten und Plätzle der Region an, mit Blick auf neue Strömungen und Impulse der Feinbäckerei. Am Anfang steht die Kirsche bis hin zu beschwipsten Ausführungen, die von jahreszeitlich geprägten Kreationen und speziellen Zugängen wie Outdoor-Backen, Schokoladiges sowie Lisas Backschule abgelöst werden. Den herzhaften Gebäcken ist ein eigenes kurzes Kapitel gewidmet.

Besonders gefallen hat mir der gedeckte Apfelkuchen, der ausgewogen mit geraspelten Äpfeln und gehackten Nüssen, wenig Sahne resch und fast zärtlich bei jedem Bissen sich dem Gaumen anschmiegte. Den Anteil des Puddingpulvers hatte ich reduziert. Mit den Wein-Apfel-Törtle im Filoteig punktete ich bei meinen Gästen, die von manchen wegen ihrer anmutenden Schönheit gar nicht gegessen wurden. Sie platzierten sie wie Rosenblüten neben ihren Tellern.

Ganz anders erging es dem herzhaften Kürbis-Strudel, der bis zum letzten Teigfitzerl aufgegessen wurde.

Schwarzwald reloaded 3 ist ein sehr verführerisches Backbuch. Dimitri Dells Fotos sind von einladender Brillianz und zeigen Menschen hinterm Ofen und beim Verzehren der Gutzi, wie die Österreicher zum Naschzeug sagen, wie auch die Objekte der Begierde selbst. Einziger Wermutstropfen ist der Basic-Abschnitt. Hier hätten die Ausführungen vor allem zu Mehl sowie Butter & Co. ruhig ausführlicher sein können. Dagegen sind die Rezepte sehr übersichtlich gestaltet. Auch wird auf exotische Zutaten und backtechnische Extravaganzen verzichtet, was die Umsetzung der Rezepte sehr vereinfacht. Wer noch nie im Schwarzwald war, wird staunen wie ein Kind, insbesondere im Abschnitt Naschwerk, ob der Vielfalt an schwarzwälderischem Backwerks, das sich hier anbietet zum Nachbacken und Back-nicken.