Heute reisen wir nach SIZILIEN.
Bis Mitte des 18. Jhdts war Neapel der südlichste Reisepunkt für die Menschen aus dem Norden. Erst ab den 1770er Jahren erschließt sich mit Sizilien ein noch ferner Süden. Italien ohne Sizilien, schreibt Johann Wolfgang von Goethe in seinem Tagebuch, macht gar kein Bild in der Seele: hier ist erst der Schlüssel zu allem. Und natürlich steigt er auch auf den Ätna. Zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, denn vom Osten kam der Sturm über das herrliche Land, das nah und fern bis ans Meer unter mir lag, wie er am 5. Mai 1787 notiert. Wegen des stürmenden Morgenwinds mehr mit sich selbst beschäftigt, sah er wenig von der üppigen Fruchtbarkeit auf den Lavahängen. Von den Orangen- und Zitronenhainen sowie den Oliven- und Feigenbäumen. Auch nicht die Pistazienpflanzungen am Fuße des Vulkans nahe der Stadt Bronte.
Rund 200 Jahre später begleitet Ursula Ferrigno ihren Vater, einen Obst- und Gemüsehändler, auf einer Geschäftsreise nach Sizilien. Auf der Fähre macht sie in der Cafeteria die erste Bekanntschaft mit der sizilianischen Kochkunst: Frittierte Reis-Bällchen, die zu kleinen Kegeln angehäuft, sie an den Ätna erinnerten. Die Arancini, wie sie die Sizilianer nennen, gaben ihr eine Vorahnung von den Menschen, auf die sie bald treffen sollte. Und sie ist fasziniert von der Küche der Insel, die einzigartig, üppig, erdig und von der Intensität der sizilianischen Sonne durchdrungen ist, wie sie im Vorwort ihres Jahre später erscheinenden Kochbuchs „Flavors of Sicily“ schreibt. Die deutsche Ausgabe Cucina Siciliana erschien nun 2020 im Köhler Verlag.
Im Untertitel ‚Mediterrane Lebensfreude in 70 Rezepten‘ fasst Ferrignos ihr Anliegen etwas weiter, werden aber manche Mittelmeerkulturen in ihre Rezepte einfließen. Im Fokus jedoch sind es die Gerichte, wie sie in sizilianischen Trattorias und Restaurants serviert werden, aber auch traditionelle Hausmannskost und sizilianisches Streetfood.
Ferrignos sizilianische Küche ist in sechs Kapitel gegliedert. Den Vorspeisen folgen Salate und gefülltes Gemüse. Im dritten Kapitel sind Suppen und Pasta zusammengefasst, die von Fisch- und Fleischgerichten abgelöst werden. Dem Brot wird ein eigenes Kapitel gewidmet, denn ohne Brot geht gar nichts. Sizilien war als Brotkorb des römischen Reiches bekannt, die Kornkammer Roms. Damals wurden jährlich etwa 3 Mio Tonnen Weizen ausgeführt, was zur Veränderung der Landschaft bei Raddusa und zum Verschwinden der Wälder führte. Ausführlich beschreibt die Autorin in ihrem Brot-Exkurs also die geradezu sakrosankte Rolle des Brotes auf Sizilien. Das letzte Kapitel gilt den Dolci.
Angemerkt sei, dass jedem Kapitel ein doppelseitiger Exkurs eingefügt ist, in dem detail- und kenntnisreich über sizilianischen Wein, Zitrusfrüchte, Thun- und Schwertfisch-Vorkommen vor Sizilien, über die Tradition des Aperitivo sowie die sizilianische Eis-Creme berichtet wird.
Beginnen wir mit den Antipasti. Beim Durchblättern fällt auf, dass Ferrigno viele frittierte Vorspeisen auftischt. Da gibt es frittierte Kichererbsen mit Kräutern, frittierte Gemüse mit Tomatensauce, frittierte Zucchiniblüten, frittierte Gnocchi mit Salami und frittierter Provolone mit Olivenöl. Dazwischen schmuggeln sich Panelle, eine Art Crackers, mit Kichererbsenmehl wie auch Arancini di riso, um zwei aufzuzählen.
Die Caponata aus Spinat und Broccoli ist ein palermitanisches Rezept. Meistens wird dieses Pfannengericht mit Auberginen zubereitet und vor dem Servieren mit Oliven, Sardellen und Kapern angereichert. Ferrigno begnügt sich mit Kapern, ist jedoch großzügig mit dem Gemüse, nicht an Quantität sondern mit den grünen Fünf; Mangold, Spinat, Brokkoli, Sellerie und Frühkohl, die hier gegart werden.
Ein tolles Rezept ist der Salat mit (schwarzen) Feigen, Mozzarella und Basilikum, der idealerweise Ende September zubereitet wird, wenn die Feigen am reifsten sind.
Paradeiser der etwas anderen Art sind die im Ofen gebackenen Tomaten, mit Reis und Parmesan gefüllt, welche uns mit der tiefroten sizilianischen Sorte Pachino die Sonne des Südens kosten lassen. Diese Tomate aus der Gegend von Syrakus ist von kirsch- bis zu paprikagroß auf allen Marktständen Siziliens zu finden. Wer jemals vor Ort sizilianische Tomaten gegessen hat wird den reifen Geschmack der puren Sonne nie vergessen. Und wenn schon von Tomaten gesprochen wird, dann sollte auch das Tomatenpüree erwähnt werden, das in Sizilien einfach Strattu genannt wird, nach einem Dialektwort für Tomatenmark. Strattu muss man kaufen, denn der Prozess des Eindickens ist zeitintensiv, dauert vier Tage. Und Ferrignos Tipp für Gerichte mit Tomatensauce ist, immer einen Klacks Strattu hinzuzufügen.
Begeistert bin ich von der Blumenkohlsuppe. Sie ist der Tradition der Cucina povera zuzuordnen. Ein einfaches Süppchen von feinem Geschmack; ihre Wurzeln liegen in der barocken Stadt Ragusa.
Die Pasta mit Sardinen ist ein Klassiker, die in Palermo mit Dill, Rosinen, Pinienkernen und Safran zubereitet wird, aber ohne Tomatensauce. Das wichtigste in diesem Gericht ist neben den Sardinen aber der wilde Fenchel. Dieses saisonale Gericht köchelt von März bis September auf den Herden Siziliens, wenn die Produkte fang- und erntefrisch auf dem Markt sind. Welche Zutaten im Originalrezept der Pasta con a sardine verwendet werden, darüber führen viele Sizilianer hitzige Debatten. Und wenn Ferrigno für die Marinade Bröseln von offenporigem Sauerteigbrot ohne Kruste verwendet, dann sollten diese wohl der Pasta noch den nötigen Kick verleihen. Hier halte ich es mit den sizilianischen Köchinnen und röste einfach gute Semmelbrösel, bis sie eine leicht gold-bronzene Farbe annehmen. Fertig.
Siziliens Pasta-Himmel hängt voller Nudel-Gerichte. Und natürlich darf die Pasta alla Norma nicht fehlen, die zu Ehren der gleichnamigen Oper von Vincenzo Bellini kreiert wurde. Das faszinierende an dieser Pasta ist, dass so viel in sie hineingeheimnisst wird. So verknüpfen viele Italiener die Farben der fünf Zutaten symbolisch mit jenen von Catania, wo der Komponist geboren wurde. Bspw. assoziieren sie die schwarzvioletten Auberginen mit der Lava des Ätna und an die Schneehänge am Vulkan erinnert der Ricotta. Das Besondere an diesem Gericht sind die überreifen Pflaumentomaten, schreibt Ferrigno im Vorspann. Zusammen mit den übergroßen Rigatoni ist die Pasta alla Norma eine Gaumenfreude und der Gedanke an die nationale Farbsymbolik bereits nach dem ersten Bissen entschwunden.
Ein leichtes Sommergericht ist das geschmorte Zitronenhähnchen das mit Blattspinat und Semolina, einem Bergbrot, serviert wird. Auf italienisch heißt das Brötchen Pane ricominati, was auf den feinen Hartweizengrieß Semola ricaminati hinweist. Dieses Brot, semmelgroß geformt eignet sich für Burger, fest und kompakt, zugleich aber auch weich. Hier wie auch beim Brot mit Oliven, Rosmarin und Salami wird über die Kruste Sesamsamen gestreut, offensichtlich ein Relikt griechischer Einwanderer.
Weitere typische Zutaten in sizilianischen Gerichten sind die Orange und der Thunfisch. Für das Thunfisch Carpacchio benötigen Sie die Hilfe des Fischhändlers, der mit scharfem Messer den frischen Thun in ganz dünne Scheiben schneidet. Dieses Gericht funktioniert auch mit Schwertfisch oder Wolfsbarsch. Der gefüllte Thunfisch mit Kirschtomaten nach sizilianischer Art ist arabischen Ursprungs. Überhaupt verdankt die Insel den Arabern einige kulinarische Feinheiten. Über Nordafrika kommend, revolutionierten sie die Landwirtschaft mit neuen Bewässerungstechniken und brachten unbekannte Obst- und Gemüsesorten wie Auberginen, Datteln, Melonen u.a. mit. Es waren auch die Araber, die den Pistazienbaum auf den trockenen und zerklüfteten Lavaböden am Fuße des Ätna kultivierten. Pistazien aus Bronte sind berühmt und angeblich die besten der Welt. Diese grünen Diamanten sind echte Südländer, intensiv in Geruch und Farbe. Sie verfeinern Süßes und Salziges, werden hemmungslos hinein verarbeitet in Würste, Käse und Kuchen. Am bekanntesten dürfte das Pistazieneis sein. Wer sich darin versuchen will, auf Seite 148 findet sich Ferrignos Pistazien-Eiscreme. Und sollten Sie Palermo besuchen, dann gehen Sie zu Mario Spinnato, dort habe ich das beste Pistazieneis gegessen. Mehrere Rezepte, vom Pistazien-Pesto bis zu den Zimtschnecken mit Pistazien-Creme-Füllung streichen die Bedeutung dieser kleinen Nuss in der sizilianischen Küche heraus.
Wenn man durch Palermo spaziert, ist man umgeben von barocker Architektur. Und dieser Stil, finde ich, kennzeichnet auch die sizilianische Küche, vor allem die Dolci und Pasticceria. Das Mandelgebäck ist noch einfach zuzubereiten. Anspruchsvoller und eine kleine Herausforderung in der Herstellung sind die Cannoli, die äußerlich den Schaumrollen ein wenig ähneln. Der Höhepunkt jeden sizilianischen Festes ist aber die Cassata, mächtig an Form und Spezereien, die sich unterhalb der Amaretto-Sahne-Hülle verbergen. Es ist jedoch die sizilianische Zitronenlimonade, die für mich das Flair der Insel spiegelt und die heißen Sonnentage erträglich macht.
Cucina Siciliana von Ursula Ferrigno ist eine gute Einführung in die Küche Siziliens. Manchmal etwas überbetont hinsichtlich zu verwendender Zutaten wie die schon erwähnten Brotkrumen aus offenporigem Sauerteigbrot ohne Kruste für die Pasta con le sarde. Oder wenn sie für die gebackenen Zwiebeln in Marsala Racalia Olivenöl vorschreibt, eine Marke, die in Westsizilien produziert wird und sich nicht wirklich von anderem hochwertigen Olivenöl unterscheidet. Aber das sind Marginalien. Hervorzuheben sind die Fotos von David Munns, der die Gerichte wie auch die Landschaften Siziliens wunderschön abbildet, eben nicht gestylt und touristisch aufgemotzt. Interessanterweise fehlt der Timballo, eine mit Makkaroni gefüllte Pastete,
wie sie Guiseppe Tomasi di Lampedusa in seinem Roman Der Leopard beschreibt. Aber hier gilt, weniger ist mehr. Und Ferrigno versteht es, mit ihren 70 Rezepten die vielschichtigen Aromen Siziliens einzufangen und uns nahezubringen.