Vidar Bergum, Hummus & Granatapfel

Köstlichkeiten aus der Türkei und dem Nahen Osten

Fotos von Bahar Kitapci
Aus dem Norwegischen übersetzt von Melanie Schirdewahn
Lifestyle BusseSeewald, Stuttgart, 2020, 256 Seiten, 25.70 Euro
ISBN 978-3-7724-7268-8
Vorgekostet

Heute reisen wir in die TÜRKEI.

Und auch weiter in den Nahen Osten. Unser Ausgangspunkt ist aber Istanbul oder Konstantinopel, wie früher das letzte Bollwerk des römischen Imperiums hieß. Eine Stadt am Ende der Seidenstraße, von deren Reichtum die vielen Villen entlang des Bosporus zeugen; überladene Bauten mit holzgeschnitzten Balkonen, bunten Gärten und Terrassen, die aufs Wasser schauen. Istanbul ist immer noch eine schöne, quirlige Stadt und manche Stadtteile erinnern an das alte Barcelona. Die Märkte sind voll von Menschen, Düften und Verlockungen, die Stände quellen über von Milch und Honig, Gewürzen, Hühnern und Fischen, tausenderlei Gemüse und Obst. Mitten am Tag rufen überall Lautsprecher zum Gebet, berichtet Geert Mak. Istanbul muss mit ihren unterschiedlichen Identitäten ins Reine kommen, ohne sich für die eine oder andere zu entscheiden. Hier leben Moslems und orthodoxe Christen friedlich nebeneinander, prägen unzählige Ethnien das Stadtbild. Das drückt sich auch im Essen aus: Verschiedene Kochwelten treffen hier aufeinander. Eine Vielfalt, die fasziniert und magisch anziehend wirkt.

So erging es jedenfalls Vidar Bergum, als er in die Türkei zog. Vidar ist Norweger, der seinen guten Job in London an den Nagel hängte und nach Istanbul übersiedelte. Seine Essgewohnheiten waren skandinavisch geprägt, seine Kochversuche auf exotische Fertiggerichte beschränkt. Und dann wird ihm in der neuen Heimat als Erstes Auberginensalat vorgesetzt, damals ein no go für seinen Gaumen. Aber er kostet zumindest, erst einen Bissen, dann mehr und es schmeckt. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich noch nie Gemüse gegessen, das so schmackhaft zubereitet war, gesteht er später. Inzwischen bereitet er diesen Salat wie im Schlafe zu. Mittlerweile sind Jahre vergangen, ist sein beruflicher Werdegang eng mit Essen verknüpft. Ja, mehr noch, ist es sein Ehrgeiz, im Okzident die beliebtesten Gerichte der Türkei und des Nahen Ostens zu verbreiten. Deshalb betreibt er auch den Blog A kitchen in Istanbul in welchem er die kulinarischen Genüsse des Orients vorstellt. Nun hat er eine Auswahl und viele unveröffentlichte Rezepte von Freunden und Verwandten in einem Kochbuch zusammengetragen. Hummus & Granatapfel, so der Titel, ist im Lifestil BusseSeewald Verlag erschienen. Der Anspruch ist kein enzyklopädischer, aber sehr wohl ein küchen-pädagogischer, wenn man so will, nämlich die Einfachheit türkischen Essens aufzuzeigen. Für Vidar beweisen das Millionen von Hausfrauen in der Türkei und im Nahen Osten tagtäglich, wenn sie für ihre Familie kochen und das mit minimalster Küchenausstattung. Ein Teil der Rezepte basiert auf traditionellen Gerichten, die recht schnell gemacht sind. Wichtig ist für ihn auch, dass sämtliche frische Zutaten und die allermeisten Trockenwaren im Supermarkt erhältlich sind.

In seiner Einleitung – mehr historischer Diskurs über die Entwicklung der Esskultur in der Türkei und im Nahen Osten – skizziert Vidar anhand einiger Beispiele die gegenseitige Beeinflussung der Ethnien bzw. Nationen in ihrer Alltagsküche. So ist bspw. Börek, ein strudelähnliches Backwerk, in Bosnien, Israel und Libanon ein ebenso wichtiger Bestandteil der kulinarischen Identität wie in der Türkei und vor allem Anatolien. Dieser Esskultur ohne Grenzen stehen andererseits wiederum lokale Varianten und Spezialitäten gegenüber, was den Reiz dieser Küchentraditionen so unwiderstehlich macht.

Bergum beschäftigt sich im weitesten Sinne mit der osmanischen Küche und im speziellen mit der levantinischen. Typisch für Letztere sind die vielen kleinen Speisen, Meze genannt, die zu Beginn einer Mahlzeit in der Mitte des Tisches angerichtet werden. Es sind überwiegend einfache Rezepte mit wenigen Zutaten. Aufwändig wird es dann, wenn viele Meze zubereitet werden. Für besonders wichtige Anlässe werden gerne viele kleine Gerichte serviert. Dann, wenn es um das Zusammensein geht, das Teilen und um frische, gute Produkte. Meze ist der Geschmack im Gaumen und die Freude für das Auge, behauptet die Künstlerin und Meze-Spezialistin Gabi Kopp, die auf den Spuren von Meze die Levante bereiste. Und Vidar ließ zum ersten Kennenlernen seiner Eltern und der seines Freundes im Istanbuler Restaurant Umit Usta einen ganzen Tisch mit vielen kleinen farbenfrohen Gerichten decken. Lebensfreude pur. Wir bekommen einen kleinen Vorgeschmack davon beim Durchblättern des Meze-Kapitels. Da löst ein Dip den anderen ab, werden unzählige kleine, frische Köstlichkeiten vorgestellt. Z. B., Wassermelonen-Käse-Salat, Fattoush, Labneh mit Kräutern, Hummus mit Tomaten und Pinienkernen, Blumenkohl mit Haselnüssen und Tahinisauce  usw. Da werden Auberginen, Bulgur, Granatapfel, Kichererbsen, Walnüsse und einiges mehr, farbenfroh miteinander zu kleinen Häppchen vermengt. Das schöne an den Meze-Rezepten ist, dass man bei den meisten nur die Menge verändern muss, um daraus ein Hauptgericht zu machen. Zu vielen Meze-Gerichten wird Brot gereicht. Eine Mahlzeit ohne Brot ist in den Regionen des östlichen Mittelmeeres undenkbar. Deshalb beginnt Vidar seine kulinarische Entfaltung in diesem Kochbuch mit Brot & Backwerk. Dazu gehören das Pitabrot genauso wie das türkische Fladenbrot . Diesen runden Brot-Diskus mit Gittermuster und schwarzem Sesam kennt man, während Teigtaschen mit Spinat- oder Käsefüllung schon weniger bekannt sein dürften. Diese, wie offene Boote geformten Backwerke nennt man Fatayer. Im Libanon werden sie gerne als Vorspeise serviert. Ein Vorteil der Teigtaschen ist, dass sie, in größerer Stückzahl produziert, sich gut einfrieren lassen. Zum Backwerk zählen auch herzhafte Pasteten, die unter dem türkischen Oberbegriff Börek zu- sammengefasst sind. Vidar stellt uns Börek mit Hirtenkäse und Spinat vor. Ein Leckerbissen, den ich in einer Teestube bei Izmir kennen lernte und hungrig, wie ich nach der langen Radtour war, habe ich den Tschai schlürfenden Männern dort fast alle Börek-Schnitten weggegessen. Der Autor gibt als Käse beyaz peynir an, das ist 45 – 55 prozentiger Weißkäse aus Kuh-, Ziegen oder Schafmilch. Während Hirtenkäse nur aus Kuhmilch hergestellt wird. D.h., man kann für Vidars Börek auch Feta oder einen anderen in Salzlake gereiften Käse verwenden. Börek könnte man auch gut zu einem Teller Suppe essen. Allerdings sind Vidars Suppen so gehaltvoll, dass sie sich als eigenständige Mahlzeit behaupten. Die Linsensuppe mit Bulgur und Reis wird mit einer Scheibe Brot und einer Zitronenspalte serviert. Spannend find ich die säuerliche Suppe mit Hackfleischbällchen, die mit frischem Spinat angereichert sich leicht weiter verändern lässt, indem man bspw. Kartoffeln oder Nudeln dazugibt. Das interessanteste Rezept im zweiten Kapitel war für mich jedoch Aubergine mit Kreuzkümmeljoghurt, weil die scheibenförmigen Eierfrüchtchen im Ofen gebacken wie Toastbrote zum neutralen Träger der darauf gehäuften Joghurtcreme werden.

Meze, das wurde schon erwähnt, haben eine zentrale Bedeutung in der türkischen und nahöstlichen Esskultur. Deshalb ist Meze in Vidars Kochbuch auch kapitelmäßig mittig platziert. Diesem folgen dann Vegetarisches und weiters Fleisch sowie Süßes & Desserts. Angehängt sind noch einige Grundrezepte, die Essenzielles vermitteln: das Garen von Kichererbsen und Bohnen, die perfekte Reiszubereitung auf türkische und levantinische Art, Bulgur als Reisalternative, ebenfalls wie die Chilipaste Harissa sowie Hühner- als auch schnelle Gemüsebrühe zubereitet wird. Diese Basics sind ein guter Einstieg für Neulinge der orientalischen Küche und hilfreich bei der Essens-Planung.

Bergums Küchenherz gehört dem Gemüse. Und dass er dem Vegetarischen ein eigenes Kapitel widmet, nachdem die Vorspeisen und Meze-Gerichte sehr pflanzenlastig sind, hängt vielleicht damit zusammen, dass bei ihm zuhause fleischloses Essen am häufigsten auf dem Tisch steht. Blumenkohl und Linsen sind hier die Protagonisten, aber auch weniger geläufiges wie Freekeh. Freekeh- Salat besteht in erster Linie aus unreifem Weizen – eben Freekeh -, Kirschto- maten und Kichererbsen, wobei das Raucharoma des gerösteten Weizen nicht jedermanns Sache ist. Dennoch passt er wunderbar zu Gegrilltem.

In der Fleischabteilung stürze ich mich auf Hähnchenschenkel mit Sumach und Frühlingszwiebeln. Dieses Gericht ist so unkompliziert zuzubereiten, dass es eine wahre Freude ist. Wer will auf diesen herrlich säuerlichen Geschmack des Sumach verzichten, der die Schenkel erst richtig zur Geltung bringt? Ich nicht. Und als Nachtisch gibt es Sütlac. Das ist türkischer Milchreis, der hier als türkischer Reispudding firmiert.

Hummus & Granatapfel von Vidar Bergum ist ein sehr schön aufgemachtes Kochbuch. Die Auswahl der Rezepte ist kapitelmäßig ausgewogen. Einige glaubt man zu kennen, wären da nicht die Vidar’schen Interpretationen, die die Speisen zu einem neuen Erlebnis werden lassen. Ausführlichst beschreibt er die Gerichte im Kontext der Alltagsküche, lässt kochtechnisches wie auch Geschichten und Legenden darüber einfließen. Jedem Kapitel ist eine ausführliche Einführung mit zum Teil sehr persönlichen Erfahrungen vorangestellt. Szenische Fotos von Vidar beim Einkaufen auf dem Markt, beim Hantieren in der Kühe und in anderen Alltagssituationen geben uns das Gefühl, direkt dabei zu sein. Überhaupt sind die Abbildungen, auch die der Rezepte, excellent. Und die Gestaltung des Kochbuchs trägt wesentlich zu meiner Begeisterung bei. Wie auch die Begeisterung des Autors für die östliche Mittelmeerküche, die in jeder Zeile spürbar ist. Hummus & Granatapfel macht nicht nur neugierig, es verspricht Genuss für Augen und Gaumen.