Viola Raheb, Marwan Abado, Zeit der Feigen

Die arabische Küche von Bethlehem bis Damaskus

Mit Illustrationen von Linda Wolfsgruber
Mandelbaum Verlag, Wien, 2018, 4. Auflage, 178 Seiten, 24.90 Euro
ISBN 978-3-85476-569-1
Vorgekostet

Heute reisen wir in die LEVANTE.

Mit im Gepäck ein schmales Büchlein. Zeit der Feigen von Viola Raheb und Marwan Abado, das im Mandelbaum Verlag erschienen ist.

Die Autoren sind Palästinänser, Flüchtlinge, die es nach Wien verschlagen hat. Das war noch vor der Jahrtausendwende. Sie sind also mittlerweile gut eingebürgerte Wiener. Das nehmen wir an. Zwei Intellektuelle, mit einem soziokulturellen Anspruch, nämlich uns Europäern ihre Heimatküche näher zu bringen. Es ist eine Erkundung der arabischen Küche, in dessen Brennpunkt die nahöstliche Region des Bilad al-scham liegt. Was früher etwas verallgemeinert als Levante bezeichnet wurde und östlich von Italien bedeutete. Konkret war Groß-Syrien gemeint, ein geographischer Raum, der sich von der Sinai-Halbinsel bis zum Euphrat erstreckt. Ein Schmelztiegel von Kulturen, die auch von äußeren Einflüssen geprägt sind, die die Kochtraditionen bereicherten. Hereingeschwappt sind diese von friedlichen und streitbaren Durchreisenden der Seidenstraße. Die Gerichte weisen nach Persien, Armenien und in die Türkei, mit Gewürzen, die aus Südostasien stammen. Dazu zählen etwa gefüllte Weinblätter, diverse Teigtaschen, luftgetrocknetes Rindfleisch (Basterma), würzige Würste und einiges mehr. Das erfährt man in der Einleitung. Viola, sie studierte Pädagogik und Theologie, und den Musiker Marwan eint nicht nur ihre Herkunft, sondern auch die Leidenschaft fürs Kochen. Ihre Liebe zum Essen reicht zurück in ihre Kindheiten, die geprägt sind von großfamiliären Ereignissen, in denen Essen eine essentielle Rolle spielt. Linsen und immer wieder Linsen oder Weizenschrot und immer wieder Weizenschrot (Bulgur) beherrschten die Küche der Flüchtlinge, die zum Kochen nur einfache Zutaten besaßen. Es ist die breit gefächerte Geruchsgemeinschaft der Flüchtlingslager im Libanon und Westbeiruts, die Marwans Koch- und Küchenerfahrungen prägte. Der Duft frisch gerösteter Kaffeebohnen, der Sonntagstisch mit Speisen aus frisch geschlachtetem Fleisch. Und wenn sie, die Kinder, brav waren, bekamen sie als Belohnung „Talaami“, ein Fladenbrot, das mit Kristallzucker bestreut ist. Berührend sind diese Einblicke in den Familienalltag, die auch einen Teil dieses Kochbuchs ausmachen und immer im Kontext von Kochen und Essen stehen. Es ist also Marwan, der mehr die bäuerliche Küchenkultur einbringt. Den Rest offensichtlich Viola.

Herausgekommen ist ein Jahreszeiten-Kochbuch. Vier Rezeptkapitel sind leitmotivisch die umfangreichsten, in die vertiefende Unterkapitel einfließen über Gastfreundschaft, Kochen und Essen in der arabischen Sprache, den Olivenbaum sowie hintergründiges Wissen über Trauben, Wein, Gewürze, Kräuter, Kaffee usw. Die Kapitel beginnen mit einfühlsamen Farbskizzen, so die grasenden Schafe, die den Frühling ankündigen, oder roter Klatschmohn in olivgrüner Landschaft. Pastellzeichnungen, die uns ins Morgenland entführen, nach Bethlehem und in die Berge Galiläas. Der Frühling ist geprägt vo aufsprießendem Grün, von Wildpflanzen wie Thymian, Löwenzahn aber auch frühen Kulturpflanzen und Milchprodukten. Die Salate dominieren als Vorspeise, sowohl im Frühlings-, Sommer- als auch im Winterkapitel. Einfache Gerichte sind es, die den Stellenwert der Vorspeisen in der orientalischen Kultur herausstreichen.

Die arabische Esstradition ist ans Gespräch gebunden. Entsprechend viele Vorspeisen in unendlichen Mengen stehen auf dem palästinensischen Familientisch und die Zeit ist ausgehebelt. Dass die Autoren in Zeit der Feigen die Rezepte auf vier Personen auslegen, ist quasi der Brückenschlag zur europäischen Esskultur. Das Zucchiniomelett war mein Einstieg. Einfach und sehr gut. Für dieses Rezept bräuchte man eigentlich arabische Zucchini, die viel kleiner und kürzer als die europäischen sind. Dieses Omelett eignet sich bestens für ein orientalisches Frühstück bzw. einen ausgiebigen Brunch. Die Za’atar-Pizza erinnert stark an Manakeesh, das Za’atar-Brot wie es bspw. in Nazareth am Wochenende gerne zum Frühstück gegessen wird. Dieses Rezept enthält gleich zwei basics, das Grundrezept für den pizzaähnlichen Fatayer-Teig und die Gewürzmischung Za’atar, die im wesentlichen aus Sumach, Thymian, Oregano und gerösteten Sesamsamen besteht. Eine Gewürzmischung, die auf Märkten und in türkischen Geschäften erhältlich ist, und man sollte von ihr gleich eine größere Menge kaufen. Im Anhang, das sei hier eingeschoben, sind noch weitere Gewürzmischungen wie die Kubbeh- und 7-Gewürzmischung, als Grundrezepte für Fleischbällchen, für Kaftas und Teige wiedergegeben.

Beachtenswert finde ich das Rezept für armenische Würste, die Maqaneq genannt werden.

Am Ende des Frühlings-, wie auch der übrigen Jahreszeitenkapitel gibt es eine Menüzusammenstellung.

Dass die palästinensische Küche sehr viele vegetarische Gerichte anbietet, ist nicht selbstverständlich. Denn in der Vorstellung arabischer Essenskultur gehört Fleisch auf den Tisch, vor allem dann, wenn Gäste zu Besuch sind. Und die Köchinnen und Köche sind wahre Meister in der Erfindungsgabe, wie Hühnerkeulen, Lammfleisch und Faschiertes zubereitet werden können. Z. B. Hühnerkeulen im Brotmantel mit Sumach oder der Lammeintopf mit grünen Fisolen oder das Faschierte nach Aleppo-Art, wobei nicht verraten wird, wie sich diese von den anderen Arten unterscheidet. Vielleicht sollte man Aleppo-Pfeffer verwenden. Zur Hochform läuft die orientalische Küche auf, wenn es um Füllungen jeglicher Art geht. Ob gefüllte Zucchini mit Fleisch oder gefüllter Hokkaidokürbis, diese Rezepte sind einfach in der Zubereitung, ergiebig in der Quantität und äußerst schmackhaft. Den gefüllten Kürbis setzte ich meiner Familienrunde vor, die betört vom Duft, der aus dem Backrohr stieg, es kaum erwarten konnte, den Kürbis anzuschneiden. Im Vergleich zur langen Garzeit ward der Kürbis in Null-Komma-Nix aufgegessen – so kam es mir vor.

Zwei sehr schöne Abschnitte sind den Sprichwörtern und dem Olivenbaum gewidmet. Und es ist ein Sprichwort, das dem Buch zu seinem wunderschönen Titel verhalf. In der Zeit der Feigen wird kein Brot zubereitet, in der Zeit der Wassermelonen wird nicht gekocht. Und wenn gekocht wird, dann mit Olivenöl, dem Gold der Palästinenser. Der Olivenbaum enthält auch politische Brisanz, sind es doch die Israelis, die immer wieder den palästinensischen Bauern ihre Olivenbäume ausreißen. Aber davon wird hier nicht berichtet, es bleibt die politische Situation außen vor und nur die schönen Momente des laventinischen Lebensallltags werden präsentiert. Dazu zählt für mich der Milchreis aus der Abteilung Süßigkeiten. Hier kommt auch mein Sohn Benjamin ins Spiel, der ein ausgewiesener Kenner von Milchreis aus unterschiedlichen Kulturen ist. Sein Kommentar, „Den machen wir wieder!“ Warum uns dieses Gericht überzeugte, ist, dass es nicht mit Schlagsahne, Schmand und ähnlichem verfeinert wird. Denn Pistazzien und Orangenblütenwasser verleihen diesem Reisgericht eine feine Note mit mediterran-orientalischer Verve.

Wären wir Gast in einer großen palästinensischen Gesellschaft, dann gäbe es zum Abschluss Kaffee und eine Kaffeesatzleserin würde unsere Zukunft wahrsagen. Da es so nicht ist, können wir nur nachlesen, was das Autorenpaar davon hält und die Anleitung, arabischen Kaffee nach Art der Beduinen oder nach städtischer Art zu brühen.

Ein ausführliches Register, dem ein österreichisch-deutsches Glossar vorangestellt ist, lässt erahnen, wie vielseitig die palästinensische Küche ist.

Zeit der Feigen ist ein kleines Schatzkästlein. Es enthält berührende Lebensgeschichten, nicht alltägliche Einblicke in die arabische Esskultur und viele Rezepte, um den Duft und Geschmack des Orients auszukosten Wer sich darauf einlässt, wird verzaubert.

Nachsatz:

Wer sich von Zeit der Feigen mehrere Rezepte mit der titelgebenden Frucht erhofft, wird enttäuscht sein. Allerdings sind die gekochten grünen Feigen ein, mit Mastix verfeinerter, wunderbarer Nachtisch.

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