Vivi D‘Angelo, Antje de Vries, BALI

Essen mit den Göttern

Fotos von Vivi D’Angelo
Südwest Verlag, München, 2021, 304 Seiten, 37.10 Euro
ISBN 978-3-517-09923-1
Vorgekostet

Heute reisen wir nach BALI.

Eine Insel im Indischen Ozean, die etwa halb so groß ist wie Tirol. Aber sechsmal so viele Einwohner leben auf ihr. Während sich in unserem Alpenland der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft mehr oder weniger auf Null zu bewegt, liegt er in der indonesischen Inselrepublik bei 60 %. Das heißt, mehr als jeder zweite Balinese arbeitet auf Reisfeldern, auf Kokospflanzungen oder in Gärten und Parks. Für die Nassreisfelder im Zentrum der Insel schlägt das Herz der Balinesen, Reisanbau bestimmt ihr Leben. Er veränderte im Laufe der Jahrhunderte die Landschaft wie auch die politische Struktur der Insulaner. Die Landwirtschaft dominiert und prägt die Gesellschaft, eine Kultur, die sich farbenprächtig und mit viel Singsang präsentiert. Die Menschen auf Bali sind herzlich und tief religiös. Sie leben eine lebendige Art von Spiritualität, die bei uns längst verloren gegangen ist. Vielleicht ist deshalb Bali ein Sehnsuchtsort für viele Europäer. Zwei Frauen, eine Italienerin und eine Deutsche, sind auf der Suche dort angestrandet. War es Glück oder doch der Gott des Meeres, der Vivi D’Angelo und Antje de Vries nach Bali geführt hat? Jedenfalls sind beide hingerissen vom Inselleben, von den Balinesen und ihrem Essen. Es sind Begegnungen, die überraschend und zufällig scheinen; Augenblicke, die festgehalten wurden schriftlich und fotografisch. In ihrem Reisebericht und Kochbuch, erzählen sie vom Essen mit den Göttern – wort- und bildgewaltig. BALI, so einfach und kurz der Titel, ist im Südwest Verlag erschienen.

In acht Kapiteln nähern sich die Autorinnen dem balinesischen Alltag an. Ungewöhnlich viel ist für uns Europäer dieser von Zeremonien und Opfergaben bestimmt. Am Anfang aber steht der Kalender. Landwirtschaftlich geprägte Kulturen leben im Rhythmus der Jahreszeiten und die sind auf Bali festgehalten in zwei Kalendersystemen. Sie bestimmen jegliches Geschehen. Daher folgen die weiteren Kapiteleinteilungen den wichtigsten Stationen und sozialen Orten in einem balinesischen Leben. Das beginnt bei der Geburt und endet mit dem Tod. Nein, das ist in diesem Fall auch nicht richtig. Das letzte Kapitel widmet sich dem modernen Tourismus, der auf Bali Einzug gehalten hat und das Land ändern wird.

In Schlagworten lässt sich der rote Faden des Buches umreißen mit Baby, Nachbarschaft, Markt, Meer, Haus, Sterben und Tourismus.

Vivi und Antje lassen sich richtig hineinfallen in diese fremde Kultur, erzählen von ihren Erlebnisen in epischer Breite und ergänzen sie mit Bildern. Dort, wo die Sprache nicht mehr ausreicht, stehen fantastische Fotos. Auf Bali existieren Tod und Leben friedlich und ohne Tabus nebeneinander. So heißt es: Oma ist noch nicht zu Ende verbrannt, und nebenan wird schon Eis geschleckt. Und es sind diese irdischen Bedürfnisse, die uns besonders interessieren.

Rujak Gula, ein süß-scharfer Fruchtsalat eröffnet den kulinarischen Reigen. Es sind Kleinigkeiten, die auch als Street Food angeboten werden. Snacks, mit und ohne Sambals, die aus Garnelenpaste, Chilis, Limettensaft oder Kaffir-Limettenblätttern hergestellt werden. Noch ein Wort zu den dickflüssigen Würzsoßen Sambal. Sie geben den balinesischen Speisen eine eigenwillige Note, an die sich unser Gaumen erst gewöhnen muss. Und Vorsicht, die Paste ist nicht nur intensiv, sondern kann auch feurig scharf sein. Und womit die Autorinnen recht haben: Sambals machen süchtig.

Zur indonesischen Küche gehört unbedingt auch Lawar, ein Schlachtgericht, wenn auch heute nicht mehr frisches Blut hinein verarbeitet wird. Angeboten wird dieses Gericht aus Gemüse, Kokosnuss und Hackfleisch mit vielen Kräutern und Gewürzen in Restaurants und Warangs. Letztere sind eine Art Büdchen, die von Familien wie ein Hofladen betrieben werden.

Wir sind jetzt mitten im Geschehen, lassen uns mitreißen von der Entdeckerlust der beiden Autorinnen. Ihre Suche nach Authenzität hat allerdings zwei Seiten. Da ist zunächst das exotische, unbekannte, aufregende, hastige und gleichzeitig zeitlose Spektakel, das allgegenwärtig zu sein scheint; irgendwann stolpert man immer in eine Zeremonie hinein, erstarrt und lauscht ehrfurchtsvoll dem Singsang der Zeremonienmeister wie auch Gongs, Metallo- und Xylophonen der Musikensembles. Das wird wunderbar dokumentiert in diesem Buch. Die zweite Seite ist der versuchte Blick hinter das Geschehen; diese ethnologische Sicht gelingt den beiden Autorinnen erstaunlich gut. Ein schönes Beispiel ist die Beschreibung eines Übergangsritus, das bedeutendste Erlebnis, das einem Baby nach drei balinesischen Monaten, also im Alter von 105 Tagen widerfährt. Der Anlass ist so bedeutend, dass für die Reinigungsriten ein Brahmanenpriester eingeladen wird. Daran lässt sich der Status quo der Familie ablesen, denn das kostet. Orakeln ermitteln, welche Güter in Hülle und Fülle dem Kind die Zukunft bringt und das wird in einer besonderen Geste noch gefestigt, dann, wenn die rechte Hand des Kleinkindes in ein wassergefülltes Becken eingetaucht wird, in dem kleine Fische, Silber- und Goldschmuck, Geldstücke und Reishalme schwimmen. Das Kind greift natürlich zu und hält Geld und Gold in der kleinen Faust, bestimmt so sein künftiges Schicksal mit Reichtum. Und, es darf endlich den Boden berühren, denn bis dahin wurde es von Angehörigen der Familie oder älteren Kindern herumgetragen, kam niemals in Berührung mit dem Element Erde. In dieser fotografierten Übergangszeremonie blicken sich ein lachender Brahmane und ein staunendes Kleinkind an, im Hintergrund glückliche Eltern und Opfergeschenke. Ein Bild, das höchstes Glück ausdrückt. Die Fotografin ist oft so dicht an den Menschen, dass leicht sensationshungrige Gedanken aufkommen könnten. Und sie wird auch konfrontiert damit von einem Onkel: … du machst jetzt Fotos von uns allen und gehst dann zurück in dein Land und machst dort viel Geld damit. Kritische Momente, denn Bali zeigt sich hier nicht von seiner ewig lächelnden Seite. Der Konflikt entschärfte sich, als die Kindesmutter sich einbringt: Ich bin sehr froh, dass du heute hier bist und fotografierst. Dass ich dir mein Dorf zeigen kann (…) dass du diese Zeremonie siehst.

Die Autorin und die Fotografin lassen uns Rezipienten ihre Reise miterleben, als wären wir unmittelbar dabei. Der Anteil an Beschreibungen balinesischer Kultur inklusive Fotos ist wesentlich höher als die der Rezepte. So gesehen, ist dieses Buch eine gute Einführung für jene die Bali besuchen wollen. Und auf Bali gibt es natürlich auch einige Hotspots des Klischeetourismus, wo die Spaßlaune und der Gaumen australischer und westlicher Besucher zufriedengestellt werden. Die kritischen Töne dazu sind eher leise und verhalten, die kommen in diesem Buch ganz am Schluss. In vielen Dörfern mussten Reisanbauflächen touristischen Projekten weichen. Deshalb kamen in der Corona-Pandemie nur jene Balinesen halbwegs über die Runden, die nicht ausschließlich auf den Fremdenverkehr als Einnahmequelle setzten. Aber das ist eine andere Geschichte.

An einer meiner Lieblingsstellen im Balibuch offenbart Antje, warum ihr diese Insel so gefällt: »Suda makan?«, »Hast du schon gegessen?«, die schönste Frage, die ich am liebsten immer mit Nein beantwortet hätte. Und einige Zeilen weiter erfahren wir, dass sie für Soto Ayam ein Faible hat. Damit ist sie wahrscheinlich nicht allein. Auch mir schmeckt diese kräftige Hühnersuppe ausgezeichnet, die zudem unkompliziert zuzubereiten ist. Für dieses Gericht werden nur wenige exotische Zutaten wie Zitronengras, Kaffir-Limonenblätter, Mungbohnensprossen, Kokosöl und Krupuk verwendet, die in größeren Lebensmittelgeschäften wie auch in Asia-Shops zu beziehen sind. Schwieriger zu besorgen sind dagegen Drachenfrucht, die Kemirinuss (für Bumbu Babi Galing), die eigentlich eine Steinfrucht und keine Nuss ist, oder frische Pandanblätter (für Klepon Hijau) oder junge Jackfruit oder Ketjap Manis, eine süße Sojasoße, die man selbst leicht herstellen kann. Die Anzahl der verwendeten Exoten aus der indonesischen Küche ist überschaubar, aber ein Glossar und Ersatzhinweise wäre beim Nachkochen mancher Rezepte hilfreich. Zugegeben, Antje de Vries hat keine schwierigen Gerichte vorgestellt. Wir zögern zu Unrecht die balinesische Küche nachzukochen, weil wir sie nicht kennen. Denn deren Markenzeichen sind Gerichte, mit frischen Früchten, Gemüsen, Gewürzen, Schweinefleisch und vor allem Fischen, die gegrillt, frittiert, gedämpft zubereitet und mit einem ‚sambal‘ serviert werden. Als Einstieg empfehle ich Ihnen Pisang Goreng, das sind Bananen im Teigmantel. Sie denken dabei wahrscheinlich an ein Dessert, aber in Bali genießt man diese Leckereien auch zum Frühstück oder als Imbiss für Zwischendurch. In Bali wird eine süße Sorte namens ‚raja‘ favorisiert, und Antje schwärmt von dieser Banane wegen der feinen Säure, die deswegen noch besser mit dem Geschmack von frittiertem Teig harmoniert. Ein Gericht, das Sie überraschen wird wie auch Ihre Gäste.

Wer seine Hemmschwelle zum Nachkochen überwindet, wird verblüfft ob der Aromenfülle die sich eröffnet. Überraschungen sind nicht ausgeschlossen, wie das Fischgericht Nasi Ikan oder die Puffer bzw. Frikadellen Perkedel Jagung eine göttlichen Verstrickung von Mais und Kaffir-Limette.

BALI von Vivi D‘Angelo und Antje de Vries, ist zweifelsohne ein anspruchsvolles Buch. Man muss sich Zeit nehmen zum Lesen, zum Schauen und zum Nachkochen. Dieses stimmungsvolle Reise-Kochbuch bewegt sich auf der westlichsten der kleinen Sunda-Inseln entlang spiritueller Gegebenheiten ohne in voyoristischer Verzückung zu verfallen. Die präsentierten Gerichte sind an Zahl überschaubar und gut nachzubauen. Die Texte sind sehr persönlich und feinfühlig gegenüber dem Neuen, Fremdem. Erzählen von Frauen, die den Alltag stemmen, und Männern, die sich dem Transzendenten Geistigen widmen, eine erstaunliche Welt.