Yvette van Boven, HOME BAKED

Mit Fotografien von Oof Verschuren
Aus dem Holländischen übersetzt von Sandra Schluchter
DuMont Verlag, Köln, 2015, 432 Seiten, mit zwei Lesebändchen, 35.-- Euro
ISBN 978-3-8321-9494-9
Vorgekostet

Heute reisen wir nach AMSTERDAM.

Nach Amsterdam, ins Restaurant “Aan de Amstel”, wohin mich noch vor einigen Jahren mein erster Weg geführt hätte. Denn dort schaffte Yvette van Boven als Köchin. Das Lokal gibt es leider nicht mehr. Aber dass Yvette dort wirkte und mit ihren Kochkünsten zur Bekanntheit dieses Gasthauses beitrug, davon zeugen unzählige Artikel und Kommentare, die im Internet kursieren. Es sind vor allem ihre Kochbücher, die diese Zeit mit Rezepten und Fotos dokumentieren. Entstanden ist dort auch ein Backbuch der etwas anderen Art. HOME BAKED, so der Titel, ist nicht nur eine Ansammlung von diversen Backrezepten. Nein, es ist die Verkörperung von Leidenschaft, die sich in einer großartigen Backvielfalt ausdrückt.

„Schürze an, Schüssel raus: Wir backen!“

– heißt es auf der Buchrückseite. Diese Ansage ist Programm. Ratsam jedoch ist, vorher sich noch einzulesen, denn die ersten Seiten enthalten allerhand Interessantes und Wissenswertes. Da geht es um immer wiederkehrende Fragen, die beim Backen anfallen, jene täglichen Arbeiten, die gut vorbereitet sein müssen, eben ‚Mise en place‘. Da werden die wichtigsten Dinge, die man im Haus haben sollte, vorgestellt, wie auch elementare Backtipps kurz und prägnant erklärt. Zum Beispiel: Den Teig schlagen oder unterheben, Zutaten zimmerwarm, wo im Ofen wird gebacken usw. Yvette entzaubert im gewissen Sinne das Mysterium Backen, erklärt einfach und gut verständlich, mit Augenzwinkern, alles Wichtige. Welche Mehlsorten sind zu verwenden, welche Backtriebmittel gibt es oder wie macht man Backpulver selber. Was ist schneller und langsamer Zucker, wie rechnet man frische Hefe in Trockenhefe um. Allein dieses erste Kapitel macht das Werk zu einem Grundlagen Backbuch für AnfängerInnen.

Und dann geht es los mit Schüssel, Schürze und Backen.

Kapitel zwei bereitet Gebackenes fürs Frühstück auf. Dem folgt das Brot in vielen Variationen. Vom Sauerteigbrot bis zum Knäckebrot und Türkischem Pide. Den Cakes gehört das vierte Kapitel, das von Blechkuchen abgelöst wird und mit Bars & Slices überschriftet ist. Den Keksen und Plätzchen sind 40 Seiten gewidmet. Im 7. Kapitel wird es amerikanisch: Pies sind angesagt, die von festlichen und süßen, gerollten und gestapelten Torten abgelöst werden. Das, was in keines der anderen Kapitel passt, wird im vorletzten zusammengetragen. Im letzten Abschnitt kommt Yvette auf den Hund. Do not forget the dog heißt es da und wartet mit drei Leckerli – für welchen Hund auch immer – auf. Ein ausführliches Inhaltsverzeichnis, dreigeteilt in Rezept-, Sach- und ein Spezial-Register für Menschen mit einer Allergie, rundet diesen dicken Schmöker ab. Im wahrsten Sinne, denn, man kann sich beim Reinlesen darin verlieren. Verloren habe ich mich nicht, sondern vieles ausprobiert.

Zuerst versuchten meine Tochter Magdalena und ich die Luxus-Scones, die wir anlässlich eines Familienbrunch buken. Zu wenig! So einfach und klar, fiel das Urteil der Scones-Liebhaber aus.

Dann bot sich mir die Gelegenheit, sieben Aufführungen lang, das Ensemble der Theatergruppe ‚Ohne Vorhang‘ mit Gebackenem zu verwöhnen. Dazu kamen noch zwei Geburtstage von Mitgliedern, die mit einem Extrakuchen überrascht wurden. Das war die eigentliche Feuer- bzw. Backtaufe von HOME BAKED.

Als Auftakt zur Generalprobe des Stückes „Weil’s wahr ist“, servierte ich den Schauspielerinnen und -spielern den einfachen Rührkuchen. Der kam so gut an, das sie gleich zur Premiere einen zweiten bestellten. Nach der zweiten Vorstellung gab es den leichten Stachelbeerkuchen mit Custard-Schicht. Ein Objekt der Begierde, denn die Kuchenstücke waren so schnell vom Kuchenteller gefegt, dass für mich nicht einmal ein Krümel zum Kosten übrig blieb. Von nun wurde das Anschnittstück für den Kuchenbäcker reserviert. Das war gut so, denn sonst hätte ich von all den wunderbaren Backwerken nie erfahren wie sie schmecken. Die SchauspielerInnen waren nicht nur süchtig nach Theaterspielen, sondern auch nach Yvettes Zuckerstücken.

Mit dem umgekehrten Pflaumen-Haselnusskuchen schob sich ein saftiger Obstkuchen ins Bühnenlicht. Der Vorteil dieses Kuchens ist die Unabhängigkeit von den Jahreszeiten, denn er lässt sich auch mit tiefgefrorenen Pflaumen herstellen. Im konkreten Fall waren es jedoch Stanzer Zwetschken, frisch vom Baum. Mit ungesüßter Cremè fraiche serviert, ließ dieser Kuchen die SchauspielerInnen schnell die kleinen „Patzer“ in der Aufführung vergessen.

Der Olivenölkuchen mit Mandarine & Rosmarin war schon etwas Besonderes. Grazil und keck sein äußeres Erscheinungsbild, erinnert er mich an formvollendete Autokarosserien der 50er Jahre. Maria hatte allerdings ganz andere Vorstellungen und freute sich über dieses hübsche Geburtstagsbackwerk.

Lustig wurde es mit dem Pastinaken-Apfelkuchen. Auf meine Frage, welche Zutaten könnt ihr rausschmecken, meldete sich eine zaghafte Stimme: Wurzelgemüse und Kokosraspeln, was mich wiederum sehr verblüffte und mich fast neidisch machte auf den Er-Schnüffler dieser Aromen.

Beim Korinthenkuchen mit Süßkartoffeln & Ingwer war ich anfangs etwas skeptisch. Wie wird er wohl ankommen? Interessanterweise waren es aber nicht die Süßkartoffeln und der Ingwer, die geschmacklich aneckten, sondern die Rosinen. Dennoch, der Kuchen wurde komplett aufgegessen.

Stolz war ich auf die Erdbeer-Thymian-Tarte. Ein Hingucker! Wie kleine Bergspitzen recken sich die hochkantig geschnittenen Erdbeerviertel über den Tarterand hinaus. Die lustvollen Seufzer galten aber den Kostproben, wohl auch, weil der Thymian-Custard, in welchem die Erdbeeren eingebettet sind, dem Kuchen erst die besondere Note verleiht. Dazu kommt noch eine wohlige Frische von den darübergestreuten Thymianblättchen.

Alle Kuchen fanden vor der Theatergruppe großen Beifall, wurden genüsslich verschlungen nach Proben und Auftritten. Allerdings gab es einen Favoriten, den ausnahmslos alle noch einmal anforderten: die Himbeerrahmtarte die ich allerdings mit Heidelbeeren zubereitete. Von diesem Kuchen wollten alle auch das Rezept.

Es war aufwändig, für jede Vorstellung immer einen neuen Kuchen zu backen, aber es trug wesentlich zur guten Stimmung in der Truppe bei. Und es bewahrheitete sich was Yvette im Vorwort anklingen lässt: „Backen macht nicht nur sehr glücklich, du wirst dafür auch enorm geliebt.“

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer, dass das Werkzeug zum Glück das Backbuch HOME BAKED ist. Ein gewichtiges und inhaltsreiches Werk mit fast 400 Seiten. Schön gestaltet mit pastellfarbenen Hintergründen und lustigen, skurrilen Zeichnungen der Autorin, wie auch Fotos, die uns effektvoll in Yvettes Backwelten entführen. Neben Klassikern samt Abwandlungen finden sich darin auch Bovensche Rezepturen, die den Ansprüchen gesunden Backwerks folgen und vielfach gluten-, laktose-, weizen- sowie zuckerfrei sind. Auch kann man in Home Baked einige irische Rezepturen ausfindig machen, wohl in Anlehnung an Yvettes Kindheit, die sie auf der grünen Insel verbrachte. Aus den verwendeten Zutaten ist auch ersichtlich, dass Yvettes Backambitionen nicht regional beschränkt, sondern international ausgerichtet sind. Mitunter verknüpft sie beides, wie beim irischen Vollkornbrot, wo das klassische Soda Bread mit Dattel-Sirup – also südliches Mittelmeer – aromatisiert wird. Besonders gefreut habe ich mich über jene kleine Köstlichkeiten wie Lemon Curd, Clotted Cream oder selbst gemachtes Nutella, deren Rezepte in herkömmlichen Backbüchern nicht zu finden sind. Die Bandbreite der Backideen lässt keine Fragen unbeantwortet, sodass selbst Backneulinge hier zu ungekrönten Backköniginnen und -königen werden.