Yvette van Boven, Weihnachten in Amsterdam

Das Kochbuch für ein entspanntes Fest

Fotografien von Oof Verschuren
Aus dem Niederländischen übersetzt von Linda Marie Schulhof
DuMont Verlag, Köln, 2019, 304 Seiten, 35.- Euro
ISBN 978-3-8321-9964-7
Vorgekostet

Heute reisen wir zu Weihnachten nach HOLLAND.

Nicht wegen Weihnachten pilgern Jahr für Jahr Millionen von Besuchern, zu denen auch wir gehören, nach Amsterdam. Viele kommen nur eines Bildes wegen in diese Stadt am Ijsselmeer. Sie quetschen sich ins Amsterdamer Rijksmuseum und sind glückselig, wenn sie einen kurzen Blick auf Rembrandts ‚Nachtwache‘ erhaschen. Andere gehen auf den Wall, Rotlicht schauen. Sie tappen staunend von Fenster zu Fenster, hinter denen sich freizügige Frauen verführerisch in Stellung bringen. Und wenn sie sich dann endlich losreißen von den Amazonen der Nacht, bummeln sie wahrscheinlich die Heren-, Keizers- oder Prinsengracht entlang, backsteinige Baudenkmäler beäugend und stürmen von Zeit zu Zeit die kleinen Shops, individuelle Winkels, wo alles mögliche, von Kommodengriffen bis zu Designerschuhen, angeboten wird. Wir aber wollen dem touristischen Trubel entgehen und eine alte Freundin besuchen, Yvette van Boven. Sie kochte in dem kleinen Restaurant An de Amstel, aber das gibt es nicht mehr.

Also suchen wir unseren alten Freund Piet auf, der im Jordaanviertel, dem alten Arbeiterquartier wohnt. Unterm Arm ein Kochbuch für ein entspanntes Fest. Weihnachten in Amsterdam von Yvette van Boven, das im DuMont Verlag erschienen ist.

Überraschend ist, dass nach Jahren der Stille Yvette wieder ein Lebenszeichen von sich gibt. Und noch überraschender ist, dass sie ein Weihnachts-Kochbuch geschrieben hat. Denn für superkitschige Weihnachtsfeste hat sie nichts übrig. Aber sie mag das weihnachtliche Amsterdam mit den festlich geschmückten Grachten, manchmal auch schneebedeckten Hausbooten und vor allem diesen Moment, wenn die Familie zusammenfindet und füreinander Zeit hat. Bei den van Bovens kommen zum großen Fest auch viele Freunde. Da wird gemeinsam gekocht und gegessen. Das bedarf einer wochenlangen Planung, es wird mit Akribie am weihnachtlichen Familiendinner gefeilt. Über die Jahre ist eine Sammlung von Gerichten entstanden, die nun mit diesem Kochbuch gedruckt vorliegen. Das Weihnachts-Kochbuch ist die Fortsetzung ihrer Kochbücher ‚Home Made‘ und mehr oder weniger eine Ergänzung zu ‚Home Made Winter‘. In ihm werden viele Rezepte vereint, die uns den winterlichen Alltag und die Feiertage kulinarisch versüßen. Aber es wäre kein Kochbuch von Yvette, wären da nicht zuerst praktische Tipps und Stress vermeidende Hinweise aufgelistet. Lustige kleine Zeichnungen von ihr garnieren humorvoll manche Seite. So erinnert uns bspw. ein Piepmatz mit Weihnachtsmannmütze daran, dass wir Müllbeutel kaufen sollen. Truthähne, Katzen, Küken, Schneemänner, Weihnachtspakete, Messer, Eulen, schlaksige Hirsche und viele andere verteilen sich locker eingestreut im Buch und bringen uns immer wieder zum Schmunzeln. Die Tipps reichen von Maßeinheiten bis zur Aufforderung, Hilfe anzunehmen und dem vielleicht wichtigsten Hinweis: Weniger ist mehr! Nützlich ist auch die Checkliste, die ein großes Dinner ohne gröbere Probleme zu einer schönen Erinnerung werden lässt. Bewährt hat sich auch die fotografische Zusammenarbeit mit ihrem Mann Oof Verschuren, der dem Werk eine bildhafte Leichtigkeit verschafft und in uns die Sehnsucht nach dem weihnachtlichen Amsterdam weckt. Und wer nun glaubt, dass Yvette schön brav uns ein klassisches Weihnachtsessen beschert, vielleicht mit Speckpfannkuchen und Preistamppot, einen Rindsbraten mit Püree und Pilzen, der irrt.

Es beginnt mit ‚Am Morgen‘, dem ersten Kapitel, in welchem sie uns Vorschläge serviert, die auf ein sehr herzhaftes Frühstück zusteuern. Ist ja klar, dass nach einem ausgedehnten Spaziergang Yvettes mit ihrem Hund Marie Kaffeedurst und Morgen-Hunger gestillt werden müssen. Dafür empfiehlt sie uns Briocheschnecken mit roten Früchten und Ricottaglasur, herzhafte Arme Ritter im Tannenbaum-Outfit, einen weihnachtlichen Brotkranz, talergroße Mince Pies, Kürbisbrot mit Feta und Salbei, Apfel-Cranberry-Brötchen, Würstchen im Schlafrock mit Fenchel, Schottische Eier … Halt, Halt, natürlich nicht alles auf einmal. Und was gibt es zum Trinken? Wie wär‘s mit warmem Ingwer-Kakao mit gerösteten Marshmallows oder eine Champagnerbowle mit Granberrys, Granatapfel und Mandarinen oder Sloe Gin oder verdünntem Tannensirup und und und. Man erkennt, Yvette tickt anders, sie weicht ab vom Mainstream mit ihren Vorschlägen, ist Überraschung pur mit ihren kulinarischen Einfällen. Obwohl sie, wirft man einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis, sehr klar und fast traditionell ihre Kapitel aufbaut. Dem Frühstück folgen Appetithäppchen, die von Suppen abgelöst werden. Zwischen diesen und den Hauptgerichten und Beilagen werden kleine Gerichte eingeschoben. Am Ende gibt‘s eine große Auswahl an Desserts. Ultimativ beschließt das Werk aber ein Dreigestirn von Kapiteln. Angeführt vom Vorratsschrank, der uns unzählige Basics wie Brühen, Cremes, Kompotte und Eingelegtes wie Rote Bete oder Mincemeat nach Van Boven präsentiert. Diesem folgen 15 Menüvorschläge. Den krönenden Abschluss aber bildet das Register, das uns über verschiedene Zugänge die vielen Rezepte erschließt und kaum einen Wunsch offen lässt. Dabei fällt mir auf, dass van Boven mit Fleisch und Co.-Rezepten sehr zurückhaltend ist, auch der Anteil an Fisch und Meeresfrüchte eher bescheiden ausfällt. Um ein paar zu nennen: Austern mit Jalapenodressing, Kaninchen- oder Hühner-Rillettes, Lachsfilet mit Fenchel, Zitrone und Brunnenkresse-Miso-Mayo, Hirschschmortopf mit Blätterteighaube usw..

Yvettes besondere Begabung ist neben all den faszinierenden Rezept-Kreationen ihr Sprachgefühl. Einfach und gut verständlich werden selbst komplizierte Sachverhalte dargelegt. Gelegentlich ist das eine oder andere Rezept mit einem persönlichen Kommentar versehen. So merkt sie beim Lachsfilet mit Fenchel Folgendes an: ‚… Ich rate Ihnen, den Lachs wirklich nur kurz zu garen, die Oberseite darf noch fast roh sein; er braucht nur geradeso warm zu sein: Zu lange gegarter Lachs ist trocken, langweilig und dadurch eine Sünde. Man erkennt den „Zu lang gegart“-Moment sofort am geronnenen Eiweiß, das auf dem Fisch zu sehen ist. In unserem Fall wäre das jedoch unvermeidlich, da Sie ein ganzes Filet garen und der Fisch nicht überall gleich dick ist. Darum bedecken Sie den dünneren Schwanz mit Fenchelscheiben und garen den Fisch nur kurz. Dann wird alles gut.’ Im übertragenen Sinn ist, „alles wird gut“ auf alle Rezepte in diesem Buch anwendbar. Überhaupt gab es bisher noch kein Gericht aus Yvettes Kochbüchern, das mir nicht geschmeckt hätte.

Nun müssen wir uns noch der Frage stellen: Wie kommt Weihnachten in dieses Kochbuch? Manchmal über Worte wie Weihnachts-Negroni einem Cocktail mit Campari, Wermut, Gin, Tannensirup und Wacholderbeeren. Manchmal über Zutaten wie Sternanis, der großartig aus der Kürbiscremesuppe mit Flusskrebsschwänzen herauskommt. Manchmal wegen der Rezepte für das romantische Winteressen zu zweit, für die Silvesterparty mit Freunden, in welchen weihnachtliche Wehmut mitschwingt. Bei mir war es die Rote-Bete-Suppe mit Portwein, Ziegenkäse und knusprigen Saatencräckern, die mich an Weihnachten meiner Kindheit erinnerte … So einfach kann Weihnachten sein und so gut.

Weihnachten in Amsterdam ist für Yvette van Boven-Fans ein klares Bekenntnis. Ebenso für Amsterdam- und Holland-Fans. Zudem entführt uns dieses Buch mit seinen Foto-Impressionen in ein Amsterdam, das wenig bekannt ist. Zugegeben, sind nicht alle Rezepturen per se holländisch geprägt, es kommt auch ein Quäntchen Irland und weite Welt dazu, Stationen ihres Lebens. So gesehen, ist es Yvettes Begeisterung fürs Kochen, die sie mit uns teilen will. Und wer Weihnachten auf das zurechtrückt, was es immer war, auf Zusammensein mit den Liebsten, Freunden und Nachbarn, der findet in diesem Kochbuch sicher ein Gericht, um das gemeinsam zu genießen. Und so freut sich Piet auf ein Weihnachtsessen mit mir!