Heute geht es nach China.
Li Hong ist in Peking aufgewachsen. Sie hat in China und in Hamburg Malerei und Illustration studiert. Hierbei ihren fast 2m großen deutschen Mann Daniel kennengelernt. Jetzt lebt sie als Buchillustratorin in Berlin. Doch es war für sie in Deutschland nicht leicht, Fuß zu fassen. Die anfängliche Sprachbarriere meisterte sie mit Händen und Füßen und kleinen Zeichnungen. Die deutschen Essgewohnheiten schockierten sie, wie sollte sie bspw. den von Daniel gekochten ganzen Blumenkohl mit den Stäbchen essen, sie, die die chinesische Kochkultur gewohnt ist, in der alles Essbare kleingeschnitten serviert wird. Und dann plagte noch das Heimweh und die tröstende Familie war so weit weg. Chinesinnen und Chinesen sind Familienmenschen. Und Essen – das viele für die Seele Chinas halten – ist sprichwörtlich der Himmel. Ein altes chinesisches Märchen erzählt von einem Maler, der einen Kuchen malte, und als das Bild fertig war, hatte er keinen Hunger mehr.
Li Hong fing irgendwann an die alten Familienrezepte zu sammeln und kochte so gegen das Heimweh an. Mit diesen Gerichten, ergänzt um alte Fotos, Illustrationen zu chinesischen Alltagssituationen und kurzen Geschichten aus der eigenen Familie entstand ein kleines kulinarisch-poetisches Kunstwerk. Es ist Kochbuch und gleichzeitig eine Reise in die Vergangenheit der Familie Hong. Man erfährt, dass für ihren Vater die Familie ein Baum und die Herkunft, dort wo man aufgewachsen, die Wurzel ist. Deshalb reisen die Eltern immer wieder in den Süden nach Anhui, der Heimat des Vaters. Berühmt wegen seiner Architektur und der feinen Küche.
Am Anfang aber steht Li Hongs Erinnerung an Heimat und Kindheit: „Mühsam strecke ich einen Löffel voller Suppe in Richtung meiner Eltern, damit sie für mich pusten. (…) Die Suppe wärmt mich von innen.“ In Etappen, die geprägt sind von persönlichen Erlebnissen, eilt die Autorin dann durch die Dekaden dreier Generationen. Eingebettet zwischen farbenfrohen Illustrationen, die ein wenig an chinesische Tuschmalerei erinnern, wechseln sich wunderbare Geschichten und Rezepte ab. Da erinnert sich der Vater wie er als Zwölfjähriger tief in den Bergen Holzkohle brennen musste, damit er das Schulgeld zahlen konnte. Für einhundert Kilogramm Kohle bekam er am Markt wenig Geld. Es reichte gerade mal für 3,5 kg Reis. Auf dem Nachhauseweg sprang er oft in das kühle Wasser des Gebirgsbachs und fing mit einem halben Bambusstamm die aufgescheuchten Forellen. Die großen verkaufte er an Restaurants und die kleinen bereitete seine Mutter zu einem kleinen Festschmaus. Entweder einfach, zart und natürlich frisch mit Sojasoße und Öl übergossen als gedämpfter Fisch, oder im Wok zu Fisch mit Hackfleischfüllung schmorend. Auch Bambussprossen sammelt ihr Vater seit seiner Kindheit. In der Küche werden sie dann, in feine Streifen geschnitten, zu Bambussprossen mit Huhn. Oder zu Hühnersuppe mit Bambus veredelt. Der Duft verführt in die Welt südöstlicher chinesischer Esskultur. Das Essen dort ist heute noch phantasievoll, sehr aromatisch, gut gewürzt. Schmackhaft und beliebt sind die Gerichte mit tiefbraunen Saucen. Die Verwendung von Zucker in einigen Gerichten gibt ihnen eine Andeutung von Süße. Auffällig auch ist die vielfältige Kombination von Hackfleisch mit Zutaten wie Fisch oder Tofu. Köstlich hier das Mapo-Tofu. Wie diese Speise zubereitet wird, erfahren Sie am Ende.
Spätestens mit der Heirat Li Hongs Eltern erweitert sich der Kochhorizont um die Schärfe aus der südöstlichen Kochtradition Sichuans, woher die Mutter stammt. Und dann spielt noch der Einfluss Nordchinas hinein. Nicht so ausgeprägt, aber bestimmt von einem Gericht, das allein der nördlichen Küche zu Weltruhm verholfen hat. Die Pekingente mit der lackroten Haut, dem saftig zarten Fleisch und der originellen Art, die mundgerechten Hautstücke in kleine Pfannkuchen mit Dow sa, einer süßen Soße, und Frühlingszwiebeln zu wickeln. Im Kapitel Leben in Peking tauchen erstmals, eher angedeutet als klar artikuliert, Schilderungen politischer Missstände im China der 70er Jahre auf. Stundenlang musste man damals vor den Markthallen in der Fisch-, oder in der Hühnchen- oder Trockenfrüchteschlange anstehen, um dann meist leer auszugehen. Es überwiegen aber die glücklichen Kinheits-Erinnerungen. Offizielle und familiäre Feste nehmen zu. Eindrücklich schildert die Autorin das Frühlingsfest. Ein chinesisches Silvester mit Geschenken, rituellen Gebeten und Opfern zu Ehren der Ahnen, mit Alkohol und dem traditionellen chinesischen Feuertopfessen (hier Peking-Feuertopf), sowie Chinesischen Teigtaschen und einiges mehr.
Es folgen Abschnitte wie das Mondfes, meine Tante, Azalee und Kürbiskuchen, Nordchinesischer Bauernhof, Mein Mann und ich sowie Mein Mann in China Das Buch schließt ab mit einem ausführlichen Glossar, sieben Menüvorschlägen und der Liste der Rezepte. Das letzte Rezept ist Baozi, das sind Hefeknödel mit einer Gemüse-Hackfleisch-Füllung, die etwas zeitintensiver in der Zubereitung sind, aber wahnsinnig gut. Übrigens das Lieblingsessen des Ehemanns Daniel, denn Hühnerhälse und -füße sind nicht so seins.
Gut ausgewogen ist die Auswahl der 56 Rezepte, die einen ersten Einblick in die wunderbare chinesische Kochtradition geben. Schade, dass keine Zubereitungszeiten angegeben sind. Bestens gelungen ist der Autorin die Verknüpfung von persönlicher Familiengeschichte mit dem Land China. Nicht zuletzt wegen der phantastischen Illustrationen, durchaus auch kräftig und bestimmend, in Pastelltönen, welche mir eine chinesische Kultur und Esstradition vermittelt, die mir gefällt. Ich habe zwei Kapitel meiner Frau vorgelesen. Sie will mehr hören.